Luftpost 69: Stalldrang

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

Am Ende eines langen Arbeitstages freut sich der Mensch auf den Feierabend, denn er ist meist müde und sehnt sich nach Hotel, Pool und Entspannung, bzw. auf das eigene Heim und die Familie. Piloten steht zu diesem Zeitpunkt aber noch einmal eine Phase höchster Konzentration bevor: Die Landung. In den allermeisten Fällen ist das Routine, Anflug und Landung werden oft sogar vom Bordcomputer übernommen. Das Flugzeug setzt flockig auf, man rollt zum Gate, erledigt noch den Papierkram, übergibt das Flugzeug der Ground Crew, und dann steht dem verdienten Feierabend nichts mehr im Weg, außer vielleicht der Stau auf der Straße.

Wenn aber das Wetter am Zielflughafen nicht mitspielt, wenn es stark regnet, wenn ein Gewitter im Anmarsch ist, dann wird in dieser Phase noch einmal alles abgefordert, was ein Pilot im Laufe seines Lebens gelernt hat. Und in dieser Situation wird er sich auch entscheiden müssen, ob er die Landung überhaupt durchführt, oder ob er nicht besser zum Ausweichflughafen weiterfliegt, der meist ein paar hundert Kilometer weit weg ist. Das könnte bedeuten, dass es noch lange nichts wird mit dem Feierabend, vielleicht wird er dort warten, bis sich das Wetter am eigentlichen Bestimmungsflughafen gelichtet hat, um die Passagiere doch noch an ihr Ziel zu bringen. Vielleicht ist dann aber auch schon die Maximum Crew Duty Time aufgebraucht, und man kommt von dort nicht mehr weg. Vielleicht sind dort schon mehrere Crews mit Passagieren liegen geblieben und alle Hotels sind ausgebucht?

Am 1. Juni 1999 befand sich die Crew von American Airlines Flight 1420 in so einer schwierigen Situation. Die Crew war am Vormittag in Chicago gestartet und nach Salt Lake City geflogen. Am Nachmittag flog sie nach Dallas weiter. Abends um 20:28 sollte sie wieder raus für einen Flug nach Little Rock, Arkansas. Doch der Abflug verzögerte sich aus technischen Gründen bis 22:40 Uhr. Über Arkansas brauten sich Gewitterzellen zusammen. Um 23:27 befand sich die MD-82 im Anflug auf Little Rock. Blitze zuckten am Himmel, Seitenwindböen mit bis zu 44 Knoten machten es schwer, den Kurs zu halten. Als Ausweichflughafen standen Nashville und Dallas zur Verfügung, von wo man vor einer Dreiviertelstunde gestartet war. Doch Käpten Buschmann war darauf fixiert, den Flug hier und jetzt zu Ende zu bringen. Trotz des Seitenwindlimits von 20 Knoten bei nasser Piste kämpften sie sich durch die Wolken und Böen, aber sie sahen den Flughafen nicht. Der Cockpit Voice Recorder zeichnete die Unterhaltung der Piloten auf: “Siehst Du die Runway? Ich sehe nichts.” “Ja, ich sehe sie. Da unten.” Der Käpten antwortete, „sag mir einfach wohin ich fliegen soll. Ich mach derweil mal etwas langsam.” Um 23:42:55 bemerkte der Kopilot, dass das Gewitter genau über dem Flughafen steht. „Ich sehe den Flughafen, hier hart rechts, bei etwa vier Meilen.“ Eine Minute später: „Du fliegst genau darauf zu.“ „Ich sehe ihn nicht“, antwortete der Käpten. „Hier rechts unter mir.“ „Ich sehe nichts. Sag mir wohin ich fliegen soll.” Und gleich darauf, “das wird nichts, wir können nicht nach Sicht landen.“ Und wieder eine Minute später, “Mensch, wir fliegen genau in diese Waschküche.“ Die Fluglotsen boten eine andere Piste an. Die Sicht war mittlerweile unter 800 Meter. „Wir können so nicht landen“, stellte der Käpten fest. Aber die Crew gab nicht auf. Die Möglichkeit an einen der Ausweichflughäfen zu fliegen, wurde schon längst nicht mehr diskutiert, so waren die Piloten darauf fixiert, trotz heftigen Gewitters, trotz Scherwinden und Sturmböen, trotz peitschendem Regen, trotz schlechter Sicht zu landen.

Foto: Bildarchiv Fecker

Es kam wie es kommen musste. Beim Kampf gegen die Elemente wurden die Bremsklappen vergessen, nach dem Aufsetzen rutschte das Flugzeug, Umkehrschub und Radbremsen wirkten asymmetrisch, die Maschine schlitterte fast ungebremst über die glatte Asphaltpiste in die Betonsockel der Befeuerung und zerbrach. Der Käpten bezahlte seinen Stalldrang mit seinem Leben und dem von zehn Passagieren und zahlreichen Verletzten.

Also, sollten Sie als Passagiere jemals damit konfrontiert werden, dass Sie nicht an ihrem gebuchten Zielflughafen herauskommen, es war ganz sicher zu Ihrem Besten. Soviel Vertrauen muss sein. Der beschriebene Unfall geriet zum Paradebeispiel in der Pilotenschulung. Und wenn wir Leser mal ganz ehrlich sind: Es gibt auch im erdgebundenen Alltagsleben Situationen, wo wir auf ein bestimmtes Vorhaben fixiert sind, das zu missraten droht. Gleichwohl sind wir nicht in der Lage, klar zu denken, gegebenenfalls einen Fehler einzugestehen und die Notbremse zu ziehen, weil wir es verpasst haben, uns zu fragen, „WAS MACHE ICH HIER EIGENTLICH?“

von Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 69: Stalldrang”

  1. Aus aktuellem Anlass will ich noch einen Gedanken hinzufügen. Ich beginne mit meinem letzten Satz:
    „Gleichwohl sind wir nicht in der Lage, klar zu denken, gegebenenfalls einen Fehler einzugestehen und die Notbremse zu ziehen, weil wir es verpasst haben, uns zu fragen, „WAS MACHE ICH HIER EIGENTLICH?““
    Passt das nicht zu dem derzeit laufenden Pilotenstreik? Hat die Vereinigung Cockpit womöglich den Zeitpunkt verpasst, sich auf das große Ganze zu besinnen? Es dürfte doch möglich sein, eine Übergangsregelung für den Ruhestand von Altgedienten und Neueinsteigern zu finden!
    Hier verspielen, nein zerstören die Lufthansapiloten den guten Ruf ihrer eigenen Airline. Die Lufthansa gilt als eine der besten und solidesten Airlines der Welt. Ich vermisse den Stolz zu dieser Familie zu gehören. „Made in Germany“ war über viele Jahrzehnte das Qualitätssiegel unseres Landes. Jetzt werden Kunden, Mitarbeiter und Arbeitgeber in Geiselhaft genommen. Der Arbeitgeber versucht nichts anderes, als in einer schweren Zeit gegen Billigkonkurrenz und staatlich subventionierte Luxusflieger zu bestehen. Und ausgerechnet die eigenen Mitarbeiter legen sich quer.
    Die Gefahr besteht, dass deshalb Kunden abwandern und nicht mehr zurückkommen, wie die Zahnpasta, die man nicht mehr in die Tube zurückbekommt! Was sicherlich mal gut gedacht und sozial begründet war, hat sich zu einem Gespenst entwickelt, das noch viel zerstören wird. Der Mensch muss irgendwann erkennen, wann der Karren in die falsche Richtung läuft. Und Sie als Piloten erst recht!
    Also, kneift Euch, wacht auf und startet Euren Missed Approach!