Luftpost 403: Falsche Runway!

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Foto: Fecker

»Wrong Runway! Wrong Runway! Pull up! Pull up! « Fünf bange Sekunden sank das Flugzeug weiter in Richtung Aufsetzpunkt bis die Maschine wieder Schub aufnahm, schwerfällig durchstartete und über die Bagger und Baumaschinen hinweg flog.
Begonnen hatte die Geschichte eine Woche vorher.
»Herr Fecker, haben Sie kommenden Freitag Spätschicht? «
»Ja. Warum? «
»Der Base Commander und ich kommen mit zwei Maschinen am Freitagnachmittag aus der Türkei zurück. Aus politischen Gründen können wir nicht in Griechenland zum Tanken zwischenlanden. Wir werden ganz sparsam fliegen, aber wir brauchen einen Straight-In Approach mit kontinuierlichem Sinkflug aus dem oberen Luftraum bis zur Runway. Wir werden ganz knapp an Sprit sein. Da darf nichts dazwischen kommen. Könnten Sie das einrichten? «
»Mach ich. «
»Danke. «

Freitagnachmittag, 16:00 Uhr. Der erste Anruf kam ganz schwach.
»Deci Tower, GAF 2031. «
»GAF 2031, Deci Tower, go ahead. «
»We’re hundred Miles out FL 350. Please arrange for continuous descent. «
»GAF 2031, RWY 35 Left in use, QNH 1020, VMC, continuous descent is arranged.ۛ«
»Thanks. 35 Left, 1020, call you back soon. 2031. «
Erfreulicherweise hatten wir zu dieser Zeit kaum Verkehr, das Wochenende stand bevor, und mit den Bauarbeiten auf der Hauptpiste 35 Right, die einen neuen Startbahnbelag bekommen sollte, war der Flugbetrieb sowieso reduziert. Ein paar Minuten später war es dann soweit, die beiden Starfighter wurden von Approach zum Tower übergeben.
»Deci Tower, GAF 2031, 20 Miles Final. «
»GAF 2031, Deci Tower, align with 35 Left, report five Miles gear down. Wind calm. Surface Temperature 39 degrees Celsius. «
»Gear will come short final, GAF 2031. «
»Roger. «
»Bravo take spacing. «
»Bravo is off. «

Es war heiß in Sardinien. 39 Grad im Schatten, wenn man welchen fand. Kein Lüftchen regte sich. Die Luft über dem Asphalt flimmerte. Schaute man flach darüber hinweg, meinte man über eine Wasserfläche zu blicken. Ich beobachtete wie die zweite Maschine langsamer wurde und sich hinter den Formationsführer zurückfallen ließ, bis der Abstand zwischen ihnen etwa eine halbe Meile betrug. Klar, dass der Flugzeugführer das Fahrwerk erst so spät wie möglich fahren wollte, denn der Luftwiderstand würde mehr Treibstoff kosten. ‚Mann, was müssen die leer sein!’ dachte ich bei mir. ‚Hoffentlich haben sie noch genügend Sprit um nach der Landung zum Abstellplatz zu rollen!’
»GAF 2031 Alpha is short final, gear down, Fullstop. «
»GAF 2031 Alpha, wind calm, cleared to land runway 35 Left, recheck gear. «
»Gear rechecked, cleared to land, 2031 Alpha. «
Ich beobachtete die anfliegende Maschine. Irgendetwas stimmte nicht. Er ist irgendwie zu hoch, oder? Vom abseits stehenden Tower blickte man in Anflugrichtung über Vorfeld und Rollwege hinweg zu den dicht nebeneinander liegenden Startbahnköpfen in anderthalb Kilometer Entfernung. Entweder er war zu hoch, oder er flog auf die hintere Piste an! Shit! Falsche Piste!

»Wrong Runway! Wrong Runway! Pull up! Pull up! «
Fast schien es, als würde überhaupt nichts passieren.
»Pull up! 31 Alpha, discontinue! Go around! « rief ich noch mal ins Mikrofon. Im Geist sah ich bereits den Feuerball auf der Piste, wenn die Maschine die Bagger rammen würde. Die heiße Luft erschwerte den Auftrieb des Starfighters, der sowieso nur kleine Stummelflügel hatte. Doch schließlich zündete der Nachbrenner und die Maschine zog über die Baumaschinen hinweg. Auch der Bravo wäre auf die falsche Bahn angeflogen. Auch er brach den Anflug ab und folgte seinem Leader, der in einer engen Kurve in die Platzrunde einflog.
»Alpha is Base, Gear down, land on 35 Left. «
»2031 Alpha cleared to land on 35 Left. Recheck gear and acknowledge runway again. «
»Cleared to land Runway 35 Left. Gear rechecked, 2031 Alpha.”

Der Rest war Routine. Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon. Der Base Commander war am Apparat und bat mich zu ihm ins Office zu kommen. Als ich sein Büro betrat, stand ein ziemlich derangierter, aber glücklicher Mann in nass geschwitzter Fliegerkombi vor mir. Er reichte mir die Hand und sagte:
»Ich  denke, ich habe Ihnen mein Leben zu verdanken. «
»Keine Ursache. Ist mein Job. «
»Darf ich Ihnen einen Cognac anbieten? «
»Ich bin im Dienst, Sir. Und ich glaube, den brauchen Sie selbst.«
»Nehmen Sie die ganze Flasche und trinken Sie ihn, wann Sie wollen. «
»Danke, Sir. «
»Eine Sache noch. Ich will mir die Peinlichkeit einer Tonbandabschrift ersparen. Sind Sie sicher, dass sie mich von Anfang an auf die 35 Left gecleared haben? «
»Hundertprozentig, Sir. «
»Na ja. Ich war einfach zu sehr auf Spritsparen fixiert. Und die flimmernde Luft…«
Es ist ein schönes Gefühl, nach einem solchen Tag nach Hause zu fahren.

Andreas Fecker

2 Antworten zu “Luftpost 403: Falsche Runway!”

  1. Andreas Fecker sagt:

    Nachruf
    Es war nur eines der vielen Highlights in meinem Leben, aber ich konnte einen Menschen retten. Manche Zwischenfälle verfolgen mich bis heute in meinen Träumen, aus denen ich schweißgebadet aufwache. Doch dieser erfüllt mich mit Frieden. Zu meinem Bedauern starb der Pilot zehn Jahre nach diesem Zwischenfall an Leukämie. Er war zu jeder Zeit ein bescheidener, selbstloser, nachsichtiger und hilfsbereiter Freund, bisweilen etwas chaotisch, aber ein „Officer und Gentleman“. Er war ein Vorgesetzter im ursprünglichen Sinn des Wortes. Oberst Johannes Glowka stand nicht hinter seinen Männern, sondern vor ihnen.

  2. Fritz Schmitz sagt:

    Ich erinnere mich gerne an Oberst Glowka. Besonders denke ich daran, dass er Sonntags in der Kirche immer ganz hinten stand und draußen nicht wegging ohne seinen Männern die Hand gedrückt zu haben und ein freundliches Wort zu wechseln. So denken viele Kameraden an ihn.