In diesem Buch über das Leben einer ausgeprägten Persönlichkeit war ich nur Co-Autor mit einer Handvoll Geschichten, die ich hier erzählen möchte. Hanskarl Rotzinger war einer der Menschen, die mein Leben geprägt haben, als Sportler, Freund, Vorbild, Pfadfinder und Ministrant.
Karfreitag
In der Karwoche vor Ostern gab es ja kein Kirchengeläut. Dafür wurden große Ratschen benutzt, die offenbar schon damals bei empfindlichen Mitmenschen zu Lärmbeschwerden geführt hatten. Der Pfarrer ist davor eingeknickt und schloss die Ratschen weg. Daraufhin stiegen zwei Ministranten mit Holzkisten auf den Kirchturm und trommelten mit Schlegeln zur vollen Stunde. Wer war da wohl dabei? Natürlich Hanskarl! (Und mein großer Bruder Alexander)
PS: Heute ist die Karwochenratsche übrigens immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO!
Sardinien
Noch zu Pfadfinderzeiten war Hanskarl mit meinem Bruder Edwin unterwegs von Konstanz nach Sardinien. Jeder hatte einen Motorroller und einiges an Gepäck, darunter eine Gitarre. Auf der Fähre von Genua nach Porto Torres saßen die beiden auf dem Achterdeck und sangen Pfadfinderlieder zur Gitarrenbegleitung. Ein Song hieß „Der Hahn ist tot, der Hahn ist tot. Er kann nicht mehr krähen Coco-di coco-da. Coco coco coco-di coco-da.“
Da näherte sich ein junger Pfarrer, stellte sich vor als Don Cocco und fragte, was sie denn da sängen. Sie freundeten sich an und Don Cocco lud sie ein, ihn in seiner Pfarrei in Perdaxius zu besuchen, im Süden Sardiniens. Eine Woche später rollten Hanskarl und Edwin in Perdaxius ein. Schon von weitem hatten sie eine schwarze Rauchsäule über dem Dorf gesehen, irgendwo brannte etwas. Ein Haus in der Nähe der Kirche stand in Flammen. Das Dach war offenbar frisch gedeckt, denn die Dachziegel schienen wie neu. Alle Dorfbewohner standen offenbar ratlos um das Haus, so sie nicht Wasser schleppten und wichtige Dinge aus dem Haus holten.
„Jeden Tag eine gute Tat“ war doch der Leitgedanke der Pfadfinder, „retten wir dem Mann wenigstens seine Dachziegel!“ Hanskarl kletterte aufs Dach und hob einen Ziegel nach dem anderen heraus und warf ihn nach unten, wo Edwin ihn auffing und einen Stapel aufschichtete. Da die Ziegel immer heißer wurden, legte sie Edwin immer schneller weg, was trotz der Katastrophe zur Erheiterung der umstehenden Sarden beitrug. Schließlich war nichts mehr zu machen und die beiden Deutschen standen erschöpft, mit brandschwarzem Gesicht neben einem Haufen wiederverwendbaren Dachziegeln.
Es ist müßig zu berichten, dass die beiden danach Gäste des ganzen Dorfes waren! Sie wurden weitergereicht von Familie zu Familie, Ziegen und Schafe wurden geschlachtet, Wein floss in Strömen. Don Cocco besuchte uns Jahre später in Konstanz. Als ich 1985 als Soldat mit Familie nach Sardinien versetzt wurde, besuchte ich natürlich Perdaxius und stellte ihm Frau und Kinder vor. Er nahm mich mit zu Nachbarn, die die Ähnlichkeit mit meinem sechs Jahre älteren Bruder erkannten, und mich begrüßte mit: „Il fratello di Edwino!“ Und schon war das Osterlamm fällig. So profitierte ich 25 Jahre später vom unvergessenen Feuereinsatz von Hanskarl und Edwin.
Andreas Fecker
Eine wunderbare Geschichte. Danke lieber Freund Andy.
Grüße Wolfgang