Bestimmt erinnert sich jeder Leser an die Verzögerungen beim 787 Dreamliners von Boeing, besonders an das Drama mit den Nieten. Die ganze Welt machte sich damals über Boeing lustig. Beim Bau wurden Aluminiumteile und Kohlenfaserstoffe verwendet, die natürlich miteinander verbunden werden mussten. Traditioneller Flugzeugbau mit Bolzen und Nieten traf auf die Neuzeit, in der geklebt, geheftet und punktgeschweißt wird. Trotzdem gab es noch einen hohen Bedarf an Nieten. Da es aber nur eine Handvoll Hersteller auf dem Weltmarkt gibt, ließ sich der Bedarf nicht kurzfristig decken. Und da diese Nieten von den Luftfahrtbehörden zertifiziert sein müssen, konnte man auch nicht mal eben zum Baumarkt an der Ecke gehen und die Bestände aufkaufen. Kurioserweise war es genau das, was Boeing machte, um den feierlich anvisierten Termin für den ersten Roll-Out ihres neuen Flaggschiffs zu ermöglichen. Der erste Dreamliner wurde provisorisch zusammengeschraubt und lackiert, damit er der Weltöffentlichkeit pünktlich vorgeführt werden konnte. Danach schob man ihn wieder in die Halle, wusch die Farbe ab und zerlegte ihn wieder in seine Einzelteile. Ich war damals gerade mit einem Dutzend Journalisten in Everett bei Boeing. Wir wurden überall herumgeführt, nur nicht in der Dreamliner-Halle.
Da gleichzeitig andere Typen, wie die Boeing 737 und 777, die verschiedenen Airbus Modelle und der A380 einen hohen Bedarf an diesen Nieten und Bolzen hatten, ließ sich die Produktion nicht weiter steigern.
Boeing erklärte die peinliche Panne mit der komplizierten Logistik und den unterschiedlichen Zulieferern aus vielen Teilen der USA und dem Rest der Welt, von Japan bis Italien.
Es handelt sich hierbei also nicht um Nieten wie an unseren Jeans, sondern um luftfahrtzertifizierte, selbstanziehende, korrosionsfeste Titan-Bolzen mit einem Stückgewicht von bis zu 100 Gramm. Diese Nieten, Bolzen, Schrauben, Befestiger halten das Flugzeug zusammen, halten die Tragflächen an ihrer Stelle, das Leitwerk in seiner Position, die Elektronik in ihrer Verankerung und die Böden dort wo sie hingehören. Die Konstrukteure hatten zwar errechnet, dass für den Bau jedes Dreamliners 50.000 Nieten eingespart werden können, eine Gewichtsersparnis von fünf Tonnen pro Flugzeug. Vorausgesetzt die Alternative ist mindestens so sicher wie die herkömmliche Bauweise, so benötigte die 787 trotzdem noch zigtausende dieser Titan-Bolzen. Denn ein Großraumflugzeug im Flug muss nicht nur Blitz und Donner, Sturm und Hagel aushalten, sondern es zerren Aufwinde, Abwinde und Turbulenzen mit gewaltigen G-Kräften an der Konstruktion, es treten Verwindungen und Biegemomente auf, die die Zelle aufs Äußerste belasten.
Trotzdem ist die Gewichtsersparnis geradezu dramatisch! Die alte DC-3 hatte mit 25 Passagieren ein Startgewicht von 12.700 kg. Voll beladen hatte sie eine Reichweite von 563 km, das sind 900 Gramm pro Passagierkilometer. Die Boeing 787 hat ein Startgewicht von 228.000 kg, befördert aber 250 Passagiere. Bei voller Beladung hat sie eine Reichweite von 15.200 km, das sind etwa 60 Gramm pro Passagierkilometer. Eine Performance von 1500%!
Vergleicht man den Dreamliner mit der DC-9-50 (54.885 kg, 97 Passagiere, 3.325 km) erhält man immerhin noch 170 Gramm pro Passagierkilometer. Das ist dann nur noch eine Performance von 529%. Der Airbus A380 (560.000 kg, 555 Pax, 14.800 km) kommt auf 68 Gramm pro Passagierkilometer.
Aber auch wenn die Titanverbinder dazu dienten, Kohlefaserverbundstoffe unverrückbar miteinander zu verbinden, tauchte ein neues Problem auf: Bei den Tests im Hochspannungslabor wurde beobachtet, dass bei Blitzschlag die zahlreichen metallischen Bolzen die Hochspannung in das Innere des Flugzeugs leiteten. Das war nicht der Fall, als die gesamte Außenhaut des Flugzeugs noch aus Metall war und als Faraday’scher Käfig fungierte. Funken sprangen jetzt vom inneren Ende der in kurzen Abständen gesetzten Bolzen über. Die hohe Temperatur veränderte die molekulare Zusammensetzung des umgebenden Composite-Materials. Befürchtungen wurden genährt, dass die Festigkeit des Materials entlang der Verschraubungen porös werden könnte. Außerdem bestand die Gefahr, dass sich an kritischen Stellen vorhandene Treibstoffdämpfe entzünden könnten.
Also flocht man feine Kohlenstoff-Nanoröhren (CNT) oder feine Kupfernetze in die Außenseite des Verbundgewebes ein. Außerdem wurden die Bolzen an den kritischen Stellen isoliert, die Nietenköpfe wurden verändert. Nach jedem Arbeitsschritt testeten die Ingenieure das Ergebnis im Hochspannungslabor. Kein Wunder also, dass jeder noch so optimistische Fertigstellungstermin überschritten wurde. Und mal ganz im Ernst: Das war bei jedem neuen Flugzeug so, egal, wer es gebaut hat.
Auszug aus „Technik im Flugzeugbau“ von Andreas Fecker im Motorbuchverlag