Im Laufe eines langen, erfüllten Lebens gibt es immer mal Geschichten, die einen auch Jahre später noch beschäftigen. Und wann immer ein Hurricane in der Nähe von New Orleans auf die Golfküste trifft, erwachen diese Erinnerungen. Ich will sie hier ungeschönt aufschreiben, damit zumindest meine Leser in emotionalen Sitationen ihre Zunge im Zaum halten.
Irgendwann ausgangs der 1990er Jahre war ich auf Dienstreise in Biloxi, in der Nähe von New Orleans. Eine kleine Delegation deutscher Offizierskameraden sollte drei Tage später folgen. Ich bereitete für den Abend nach ihrer Ankunft ein festliches Abendessen in einem Open Air Restaurant unter einer weit ausladenden tausendjährigen Eiche vor, die sternengleich mit einem Meer von LED Lichtern geschmückt war. Ich schwärmte schon beim Frühstück von der romantischen Atmosphäre des Restaurants.
Dann begann das Informationsprogramm, die Leiterin des technischen Wetterdienstes, Dienstgrad Major, begleitete uns durch die Air Base, wo die Hurricaneflieger auf ihre waghalsigen Einsätze in das Innere der Sturmsysteme geschickt werden. Wir hörten uns Vorträge über Wettervorhersagen, Sturmprognosen und Messungen an. Zur Mittagszeit begaben wir uns ins Casino. Da setzte sich ein Herr in Zivil an unseren Tisch, stellte sich als pensionierten Colonel der US Army vor, geboren in Deutschland. Während wir aßen, redete der Colonel fast ohne Luft zu holen, erzählte von Vietnam und anderen Kriegseinsätzen. Als Frau Major vorsichtig daran erinnerte, dass wir zum nächsten Vortrag müssen, schloss der pensionierte Colonel mit der Frage: „Fein. Habt ihr für heute Abend schon etwas vor? Nein? Dann gehen wir in ein Restaurant im Nachbarort, dort gibt es gutes Essen. Sagen wir 19 Uhr.“ Damit stand er auf und verabschiedete sich. Zackig und keinen Widerspruch duldend. Meine Kollegen schauten mich betreten an. Ich zuckte sprachlos mit den Schultern. Ich war schockiert und zutiefst enttäuscht, nein wütend! Alle meine schönen Pläne und Vorbereitungen waren durchkreuzt.
Im Auto der Frau Major brach es aus mir heraus: „Müssen wir uns nun den ganzen Abend die Kriegsgeschichten eines abgehalfterten Colonels anhören?“ „Na ja“, antwortete sie erschrocken, „vielleicht ist es ja interessant?“ Am Nachmittag, als wir in einer Pause mal zusammenstanden, erfuhr ich, dass unsere Frau Major mit dem deutsch-amerikanischen Colonel verheiratet war! Autsch!
Am Abend dann setzte ich mich bewusst neben ihn. In der ersten Viertelstunde sprach er kein Wort. Ich begann dann, ihm Fragen zu stellen, die er auch kompetent, aber zurückhaltend beantwortete. Es dauerte noch eine Weile, bis sich seine Erstarrung löste, und er sich freundlich, offen und engagiert an der Unterhaltung beteiligte, ohne sie zu dominieren. Als die Rechnung kam, übernahm ich seinen Teil. Auf seine Frage, warum ich das tue, antwortete ich: „Weil es ein wunderschöner Abend war, weil ich Ihre Gegenwart genossen habe, und weil ich glaube, dass ich Ihnen das schuldig bin.“
Sein versöhnlicher Händedruck sagte mir, wir wären noch gute Freunde geworden, hätte ich nicht am nächsten Tag wieder abreisen müssen. Was habe ich daraus für mein Leben gelernt? Vorsicht, Geduld, Selbstbeherrschung, Flexibilität, Verständnis, Nachsicht. Die Welt muss nicht nach MEINER Pfeife tanzen.
Andreas Fecker
Lieber Andy,
da schreibst Du eine Geschichte und mir wird sofort klar: da war ich selbst dabei, in Biloxi.
Ich erinnere mich an so viele Sachen, doch vieles von dem, was du geschrieben hast, ist mir erst beim Lesen wieder in Erinnerung gekommen. Ja, dieser Colonel!
Aber von dieser Reise gäbe es noch andere Geschichten von Andy zu erzählen, denn es war jedesmal eine erlebnis- und geschichtenreiche Tour, wenn man mit ANDY unterwegs war.
Beste Grüße