Luftpost 396: Canadian North

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Foto: Andreas Fecker

Bald nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten die Vereinigten Staaten entlang der Eismeerküste Kanadas die DEW-Line (Distant Early Warning), ein Frühwarnsystem, das die USA und ihre Verbündeten vor einem drohenden Angriff der Sowjetunion über den Nordpol hinweg warnen sollte. Russell Bradley, ein Fluglehrer aus Ottawa erkannte schnell das Potential, das ein solches Unterfangen mit sich brächte. Mit vier Cessna 180 dehnte er seinen Bradley Air Service in den hohen Norden Kanadas aus und unternahm Vermessungs- und Logistikflüge für die örtlichen Bauunternehmer. Russell verlegte das operative Zentrum seiner Flüge bald nach Frobisher Bay, dem heutigen Iqaluit, während die Verwaltung in der Nähe des Regierungssitzes der Hauptstadt Ottawa verblieb.

Natürlich lag es auf der Hand, dass man Bradley Air Service auch die Flüge zur Versorgung der bemannten Stationen antrug. Seine Flugzeuge operierten mit Schwimmern, Kufen und Rädern zu den entlegensten Orten der Northwest Territories. Und während sich Bradley immer mehr auf den Flugbetrieb in der Arktis spezialisierte, war es selbstverständlich, dass er bald alle wichtigen Orte und Siedlungen der Inuit im kanadischen Norden mit regelmäßigen Flügen bediente. In den 1960er Jahren wurde die Erforschung und Vermessung der arktischen Inseln vorangetrieben, und Bradleys Air Service war dabei die logische Wahl für den Transport. 1968 unterzeichnete Bradley einen exklusiven Vertrag mit der kanadischen Regierung, der ihm die Logistik des „Polar Continental Shelf Project“ sichern würde, ein Forschungsauftrag über das gesamte Gebiet der kanadischen Arktis, von Alaska bis Grönland und vom Nordpol bis in die wärmeren Zonen Kanadas.

Das Streckennetz der Canadian North. Im Insert bekommt man eine Ahnung, was es heißt, dort zu fliegen. – Karte: NASA, Overlay: Fecker

Die Inuit Kanadas nennen sich „First Nation“. Da lag es nahe, dass die Airline in ihrem Territorium zu First Air umbenannt wurde. Sie strotzte ebenfalls vor Selbstbewusstsein. Die US Navy engagierte sie nicht nur für Projekte in Grönlands Norden, sondern wegen ihrer Arktiserfahrung sogar auf dem Shelf-Eis der Antarktis. Als der alte Pionier starb, kaufte einer der Piloten, John G. Jamieson, das Unternehmen. Unterdessen hatte sich eine weitere Airline entwickelt, die für First Air zur Konkurrenz zu werden drohte: Nordair mit Basis in Montreal. 1978 kauft Jamieson alle Nordair-Strecken aus Frobisher Bay.

Jamieson arbeitete auf allen Töpfen. Er flog Charter, Linie, Post, Fracht, Passagiere, Forscher und Politiker. Er kümmerte sich um das ganze nördliche Territorium Kanadas. 1980 richtete die Airline regelmäßige Dienste nach Nuuk, in die Hauptstadt Grönlands ein, während ihre kleinen Twin Otters an der grönländischen Nordküste die Techniker der Station Nord versorgten. 1986 kaufte First Air eine gebrauchte Boeing 727-90QC. Die Maschine wurde rund um die Uhr ausgelastet: Dreimal die Woche flog sie von Toronto in die Northwest Territories, an den Wochenenden flog sie im Auftrag von Nordair Charter zwischen Toronto und Florida. Nachts mietete Air Canada die 727, um Fracht zwischen Winnipeg, Toronto und Montreal zu fliegen. Und schließlich flog sie während der Wintermonate Feriencharter zwischen Toronto und Puerto Vallarta, Montego Bay und Caracas. Als im Dezember 1988 in Armenien die Erde bebte und 25.000 Menschen dabei ums Leben kamen, gehörte die Boeing 727 zu den ersten Flugzeugen, die Hilfsgüter in Form von Winterzelten und arktischer Kleidung ins Land flogen.

Wie aus dem Ei gepellt steht das Flagschiff der First Air am Gate in Ottawa. Das Flugzeug hatte damals schon 39 Jahre auf dem Buckel und war noch immer im täglichen Einsatz. – Foto: Andreas Fecker

1993 wurde der Service nach Grönland ausgebaut. Im Auftrag von Greenlandair flog eine der mittlerweile drei Boeing 727 zwischen Ottawa und Pituffik (ehemals Thule Air Base) via Montreal, Iqaluit und Kangerlussuaq. 1996 war First Air auf der Höhe seines Erfolgs. 115.000 Passagiere pro Jahr, 31 Tonnen Fracht, Getreide, Milch, Kiwi und Bananen nach Norden; Speckstein, Lachs und Kariboufleisch nach Süden, Schneemobile nach Grönland, Ersatzteile kreuz und quer, Patienten, Schulkinder, Touristen, Wissenschaftler und Geschäftsleute von einem Ort zum nächsten.

Im gleichen Jahr kaufte ein Inuit-Unternehmen die Airline und vereinigte sie mit den Ptarmigan Airways aus Yellowknife. First Air und ihr Vorgänger Bradley Air Service haben das Fliegen in der Arktis geprägt. Und es gab Pionierleistungen zuhauf. So kamen 1958 erstmals Ballonreifen zum Einsatz. Nie zuvor konnte man ein Flugticket nach Eureka kaufen, auf 80° nördlicher Breite. Diese Boeing 727-200 „stretch“ ist das einzige Flugzeug seiner Art, das zu diesem Ziel kombiniert als Passagier- und Cargo-Flugzeug verwendet werden kann. First Air hatte mit 24 Zielen im Hohen Norden Kanadas das umfangreichste arktische Streckennetz aller kanadischen Airlines. Es ist über Edmonton, Winnipeg, Ottawa und Montreal mit den Netzen der anderen Airlines verknüpft. Die kombinierten Mehr-Stopp-Pax/Cargo-Flüge mit der konvertierbaren 727 sind eine logistische Meisterleistung, denn um große Fracht zuladen zu können, müssen Sitzreihen hinzugefügt oder entfernt werden.

Seit den 1970er Jahren sind alle Airlines im Norden Kanadas in Händen der Inuit. Airlines leben von ausgebuchten Flugzeugen. Aber hohe Sitzladefaktoren sind in dem riesigen Gebiet mit 60.000 Einwohnern nicht zu erreichen. 2021 vereinigte sich First Air mit der geschichtsträchtigen Canadian North Airlines und übernahm auch deren Namen. Canadian North lässt sich bis auf das Jahr 1926 zurückverfolgen, als die Canadian Airways gegründet wurde. Sie ging später in die legendäre Canadian Pacific Air Lines über und wurde dann zusammen mit Western Pacific zu Canadian Airlines International (CAI).  1998 wurde die Northern Division der CAI an die NorTerra, die zu gleichen Teilen den Ureinwohnern Inuvialuit und den Inuit gehört, verkauft.

Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 396: Canadian North”

  1. Porgy sagt:

    Hallo Andy,
    super Bericht über ein Thema, mit dem man sich bei uns überhaupt nicht befasst.
    Viele Grüße aus der Schweiz