Luftpost 386: Katastrophenvorsorge

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„Einer trage des andern Last“ – Foto: Archiv Fecker

Teile dieses Textes habe ich vor sechs Jahren schon mal als Luftpost 098 unter dem Titel „Krisenmanagement“ veröffentlicht (09. Mai 2015). Damals hatte ich besonders die harmlosen Ursachen angeführt, die unser Land in eine Krise stürzen können. Und schon damals hatte ich befürchtet, dass wir mit unserer sorglosen Bräsigkeit irgendwann einmal in eine Katastrophe hineinlaufen werden. Deshalb komme ich auch an der aktuellen Situation nicht vorbei. Damals schrieb ich:

Es bedarf nicht viel, um unser Land in Chaos zu stürzen. Oft genügt schon ein einfacher Ferienbeginn und schon stauen sich die Autos bisweilen über 100 km. Oder ein Bahnstreik. Oder ein Streik der Piloten oder Fluglotsen. Erinnern wir uns an die Aschewolke von 2010? Trotz blauen Himmels standen unsere Flughäfen still, die Straßen waren voll, Züge quollen über, nirgendwo war mehr ein Taxi oder ein Mietwagen zu bekommen. In den Supermärkten leerten sich langsam die Regale. Plötzlich quietschte es in der Versorgung unserer Just-in-Time-Gesellschaft. Dabei dürfte es dazu keinerlei Anlass geben; keine eingestürzten Brücken, Häuser, Ministerien, Kasernen, keine Erdrutsche, keine Risse in den Landebahnen, keine geborstenen Wasserleitungen, keine Stromausfälle, kein Ascheteppich, der sich zentimeterdick über alles öffentliche Leben legt. Unsere Polizei, Rettungsdienste, Katastrophenschutz sind intakt, unsere Bundeswehr hat schweres Gerät und große Hubschrauber. Kurzum, wir sind eigentlich gerüstet.

Sind wir das wirklich? Wenn unser tägliches Leben schon durch kleinste äußere Einflüsse aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann, wie sähe es dann bei einer plötzlich eintretenden Katastrophe aus? Städte und Gemeinden müssten sich auch darauf vorbereiten, dass sie unvermittelt für eine begrenzte Zeit von der öffentlichen Versorgung abgeschnitten werden. Trinkwasser, Brennstoffe, Rettungsgeräte und Notvorräte müssen vorgehalten, gepflegt und erneuert werden. Je größer die Gemeinde, umso sorgfältiger müssen diese Pläne ausgearbeitet sein.

Und weiter:

Da aber speziell Bevorratung und regelmäßiger Ersatz von abgefülltem Wasser- und Lebensmittelvorräten wegen der Haltbarkeit eine teure Angelegenheit ist, wird hier gerne gespart. Der Bürger würde es nicht einsehen, wenn knappes Geld an verderbliche Waren verschwendet würde, die über Jahrzehnte sowieso nie gebraucht wurden. Da ist sogar schnell das in immer kürzeren Abständen auftretende „Jahrhunderthochwasser“ vergessen. Aber wehe, der Ernstfall tritt ein, dann wird wieder über „die Politiker“ gelästert, die „mal wieder nicht vorgesorgt hatten“. Die 50 Jahre alten Großhubschrauber der Bundeswehr unterliegen derzeit übrigens auch größeren Einschränkungen.

Soviel zu meinem Text von 2015. Das Szenario wiederholt sich nach jedem großen Elementarereignis in fast jedem Land der Erde. Die unvermeidliche post-katastrophale Chaos-Phase dauert meist eine Woche. Denn Chaos droht immer dann, wenn Menschen plötzlich mit dem Tod von Angehörigen und Obdachverlust, mit Hunger, Durst, Kälte, Hitze und Verletzungen konfrontiert werden, und Bund, Länder, Gemeinden, Rettungsdienste und Armee versuchen, in unkoordinierten Weise Hilfe vor Ort zu leisten. Der Schock sitzt tief, Telefon und Mobilfunk funktionieren nicht, Ladegeräte sind nutzlos, weil kein Strom vorhanden ist. Die Trinkwasserversorgung ist zusammengebrochen, Abwasser steht in den Straßen und in den Kellern, wärmende Kleidung ist durchnässt, Verwaltungen sind verschüttet, Krankenhäuser vielleicht zerstört, Tankstellen ohne Sprit, die gewohnten Handlungsstrukturen sind genauso unterbrochen, wie Straßen, Strom, Internet und Telefon. Die Hilfe kommt nicht zu den Menschen, eine Koordination findet erst einmal nicht statt.

Es gilt also stets, so schnell wie möglich eine Befehlsstruktur herzustellen. Solange die Zufahrtswege und Brücken nicht zumindest notdürftig instandgesetzt sind, ist die Hilfe aus der Luft unerlässlich. Die Logistik muss aufgebaut, Verpflegung, Notunterkünfte und medizinische Versorgung organisiert, die Kommunikation hergestellt, die Reste der Verwaltung wieder arbeitsfähig gemacht und die Helfer untergebracht werden. Unvermeidlich in dieser Situation sind auch Unverständnis über die scheinbar kurzsichtige Einstellung von Behörden und Politikern. Das gipfelt bisweilen in wüsten Beschimpfungen und Protesten.

Katastrophentaugliches Gerät, Kettenfahrzeuge, Bergepanzer, Brückenlegepanzer, Schlauchboote, Transporthubschrauber, Flugzeuge zur Waldbrandbekämpfung, Stromgeneratoren, Zelte, Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung lassen sich mühelos im Wehretat unterbringen, der ja sowieso dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO nähergebracht werden soll. Auch die Anlage von Depots dienen der Zivilverteidigung. Diese Aufwendungen sind der Bevölkerung leicht vermittelbar. Ich werbe daher bei Politikern, NGOs und Bürgern um mehr Mut und Vertrauen für vorausschauendes Handeln, Weitsicht und aktive Teilnahme an Übungen, um die Resilienz zu stärken. Und ich werbe für die Rückkehr der Sirenen, die leider nach Ende des Kalten Krieges weitgehend abgeschafft wurden. Elementarereignisse wie Dürren, Flächenbrände oder Fluten möchten wir alle gerne ausschließen. Trotzdem müssen wir uns auf die Bewältigung von unübersichtlichen Großschadenslagen vorbereiten. Hackerangriffe können solche Zivilkrisen noch verstärken. Katastrophen sind Bewährungsproben für ein Gemeinwesen. Sie sind aber auch Chancen für die Menschheit, Vorurteile und Egoismen zu überwinden und Menschlichkeit und Zusammenhalt zu demonstrieren.

Andreas Fecker