Luftpost 372: Verpatzte Landungen

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Foto: Fecker

I. Scherben
Ich werde den Teufel tun und verraten, welchem NATO-Partner das passiert ist. „In der guten alten Zeit“, als jedes Jetgeschwader der NATO noch um die hundert Jets hatte und die einzelnen Luftwaffen noch lebhaften Austausch untereinander pflegten, deckten sich die Piloten vor dem Rückflug in die Heimat noch steuerfrei mit Hochprozentigem ein. Natürlich kannten die Zollbeauftragten die Gepäckfächer und Hohlräume der Flugzeuge. In einem Fall riskierte es einer der Piloten, die Klappe für den Bremsschirm als Versteck zu benutzen. Das Bremsschirmpaket blieb vor Ort, das Fach wurde stattdessen mit Whiskeykisten gefüllt. Mit niedriger Anfluggeschwindigkeit, frühem Aufsetzen und aerodynamischem Bremsen, konnte man diesen Flugzeugtyp auch ohne Bremsschirm auf einer 3 km langen Piste zum Stehen bringen. Die Flugstrecke war weit, unterwegs war deshalb eine Zwischenlandung zum Aufttanken geplant. Eine vorsichtige Landung sollte kein Problem sein. Soweit der Plan.

Dann folgte die Wirklichkeit. Wie das meistens ist, kamen mehrere widrige Umstände zusammen. Wegen Erdarbeiten kurz vor der Piste hatte man den Aufsetzpunkt um 300 m nach innen verlegt, von den 3000 m Pistenlänge standen dadurch nur 2700 m zur Verfügung. Der Wind blies böig aus wechselnden Richtungen, weitere kostbare Meter wurden verschenkt. Bald erkannte unser Pilot, seine Maschine war zu schnell, die Radbremsen glühten bereits, sie würden wohl nicht mehr ausreichen. Als die verbleibende Ausrollstrecke immer kürzer wurde, zog der Pilot instinktiv doch noch den Bremsschirm, wie er es schon tausend Mal gemacht hatte. Die Bremsschirmklappe öffnet sich nach unten, aber statt dem gewohnten Entfaltungsstoß rutschten mehrere Kisten Whiskey heraus und knallten auf den Beton. Jim Beam, Canadian Club und Johnny Walker verteilten sich mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 150 Knoten über 400 m Betonpiste. Der Jet kam zwar dank Hakenfanganlage unbeschädigt vor dem Pistenende zum Stehen, aber man kann nicht sagen, dass dieser langgezogene Scherbenhaufen seinem Verteiler viel Glück oder Segen eingebracht hätte. Der Flugplatz wurde fürs erste geschlossen. Es dauerte Stunden, bis alle Scherben zusammengekehrt waren. Es dauerte Monate bis der Spott seiner Kameraden nachließ. Und es dauerte Jahre, bis er seine Karriere wieder in die Spur gebracht hatte. Als wäre der Schaden nicht groß genug gewesen, kam auch zur Strafe noch eine Rechnung: Der Zoll hatte nämlich die Labels gesammelt und kassierte die Importsteuer. Wie das edle Getränk „ausgeschenkt“ wird, ist dem Zoll ja egal. Whiskey on asphalt. Wohl bekomm’s.

II. Maulwurfhügel
Ich wurde im Laufe meiner Arbeit aber auch Zeuge anderer Zwischenfälle, die zwar haarsträubend waren, aber gut ausgingen. Als die Schweizer Luftwaffe zum Üben von Abfangeinsätzen einst nach Decimomannu (Sardinien) verlegte, wurde die Hauptpiste 17/35 gerade einer Sanierung unterzogen. Die oberste Betonschicht wurde abgefräst, sie war danach mit tiefen, kantigen Querrinnen durchzogen, die Bitumenschicht dazwischen war wie von Maulwürfen aufgehäufelt. Die Schweizer Luftwaffe kam mit vier Maschinen von einer Abfangübung zurück, zwei F-5 und zwei Mirage. Von der Viererformation landeten die Nummer 1, 2 und 3 auf der 17R. Aus unerfindlichen Gründen landete die Nummer 4 auf der aufgerissenen Hauptpiste 17L. Sie ratterte über die Asphalthaufen, knallte durch die Gräben und blieb in der Mitte der Piste stehen. Unbeschädigt!!! Pilot war ausgerechnet der Kommandoführer selbst.

III. Top Gun
Und noch etwas passierte am betriebsreichsten NATO-Flughafen Europas, was ich nicht vergessen werde. In Decimomannu waren vier Nationen permanent vertreten: Italiener, Briten, Amerikaner und Deutsche. Die Amerikaner waren natürlich die Taffsten und Besten, so zumindest sahen sie sich selbst. Sie hatten eine Elitestaffel aufgestellt, die russische Flugtaktiken simulierte, die Aggressors. Ihre Piloten trugen russische Fliegerkombis, Halstücher und Helme waren mit Hammer und Sichel dekoriert. Auch sonst blieben sie gerne unter sich. Piloten anderer Geschwader wurden für jeweils vier Wochen nach Decimomannu kommandiert und mussten im Luftkampf gegen diese Top-Gun Piloten fliegen. Eines Tages wurde ein Youngster zu den Aggressors hinzuversetzt, der in Nellis AFB gerade als Kursbester die Decimomannu-Qualifikation bestanden hatte. Er startete an seinem ersten Tag als Nummer fünf einer Formation, um die Örtlichkeiten kennenzulernen. Sein Kommandeur führte den Schwarm. Als die fünf Flugzeuge zurück zur Landung kamen, landeten Nummer 1 bis 4 auf der 35R, nahmen den ersten Exit und rollten über der Parallelbahn zurück zu ihrem Abstellplatz. Der Youngster landete – warum auch immer – auf der falschen Bahn (35L) und konnte seine F-5 gerade noch zum Stehen bringen, als ihm sein neuer Kommandeur Face-to-Face entgegen rollte. Der Hot Shot packte noch am selben Abend seinen Seesack und musste am nächsten Tag in die USA zurück!

Andreas Fecker