Nach dem gescheiterten Terrorangriff durch einen islamistischen Einzeltäter im Thalys von Amsterdam nach Paris am 22.08.2015, der von drei mutigen Amerikanern und einem Briten vereitelt wurde, reagieren die Behörden mit Zug-Patrouillen durch die Polizei. Eine Woche später trafen sich die Innen- und Verkehrsminister der EU in Paris um über erweiterte Sicherheitsmaßnahmen im Zugverkehr zu beraten. Von bewaffnetem Begleitpersonal in Schnellzügen ist es nur noch ein kleiner Schritt zu flughafenähnlichen Schleusen, personalisierten Zugtickets, verschlossenen Waggons, Gepäckkontrollen, Metalldetektoren oder gar Körperscannern, zumindest auf großen Bahnhöfen. Dass dieses System Lücken haben wird, dass man Millionen von Vorstadtpendlern und Bahnreisenden nicht vor durchgeknallten Terroristen schützen kann, dürfte jedem klar sein. Die Luftfahrtbehörden haben nach dem 11. September 2001 auf Flughäfen und bei Airlines mit einer Vielzahl von offenen und verdeckten Maßnahmen reagiert. Besonders die als stark gefährdet geltenden US-Airlines nehmen das sehr ernst. Auf vielen Routen sind zivil gekleidete Sky Marshals an Bord, die sich unauffällig unter die Passagiere mischen. Wagen wir einmal ein kleines Resümee über den Alltag dieser Undercover Agents.
Es gab mal eine Zeit, da war der US Marshal ein respektierter und von Verbrechern gefürchteter Vertreter des Gesetzes. Die ersten 13 wurden von Präsident George Washington persönlich ernannt. Sie hatten Bundesrecht durchzusetzen, sie begleiteten zum Beispiel schwarze Schülerinnen in den Südstaaten auf ihrem Schulweg zum Schutz gegen rassistische Angriffe. Vor dem 11. September gab es 33 Sky Marshals in den USA. Jetzt beschäftigt der Federal Air Marshal Service etwa 3000 Männer und Frauen. Anfangs schien es logisch, dass diese Air- oder Sky Marshals so nah am Cockpit sitzen sollten, wie möglich. Und da ist üblicherweise die Erste Klasse. Und damit sie nicht auffielen, wurden sie genauso fürstlich verpflegt, wie die zahlenden Premium Passagiere auch. Es ist ja auch nicht besonders prickelnd, sich von Berufs wegen den Hintern breit zu sitzen. Da war ein bequemer Sessel das mindeste, was eine Fluglinie in ihre Sicherheit investieren konnte. Aber, wie das immer so ist im Leben, kaum ist die ärgste Gefahr gebannt, fällt den Airlines ein, dass jeder Sky Marshal einen Premium Sitz belegt, den man eigentlich lieber verkaufen würde. Mit dem Argument, dass die Cockpittüren ja jetzt gepanzert seien, versuchte man die Undercover Agenten in die Economyklasse zu versetzen. Und die ist ja nicht gerade berühmt für entspanntes Sitzen auf Langstreckenflügen. So wurde der Job nach und nach immer unattraktiver. Ob das auch das Niveau der Sky Marshals drückte, ist schwer zu sagen. Sky Marshals fliegen zwei bis drei Wochen pro Monat und kämpfen fast täglich gegen den Jet-Lag. Ihr Einsatzprofil wird nicht öffentlich gemacht. Manche Insider beklagen, dass keine besondere Qualifikationen erforderlich sind. Auch die körperlichen und fachlichen Anforderungen seien minimal. Es gäbe sogar Kollegen, die wegen ihres Körperumfangs eine Sitzgurtverlängerung benötigen! Auch die dreimonatige Ausbildung und das Schießtraining seien einfach nicht genug.
Oft fehlt dann auch das zwischenmenschliche Geschick, gepaart mit amerikanisch-buchstabentreuer Auslegung von Vorschriften. So gab es zum Beispiel die ’30 Minuten Regel‘. Beim Anflug auf Washingtoner Flughäfen durfte man nach dem 11. September jahrelang 30 Minuten vor der Landung nicht mehr zur Toilette. Da aber die Anzahl der Bordtoiletten bei einigen Airlines zugunsten weiterer Sitzreihen reduziert worden war, bildeten sich schon vor Beginn der ‚Toilettensperre‘ lange Schlangen. ‚Bathroom Queues‘ stellen in den Augen des FBI aber ein Sicherheitsrisiko dar, weshalb Passagiere, die weitab einer Toilette saßen schon vorher keine Chance mehr hatten, ihre Getränke wie Bier, Kaffee oder Tomatensaft zu entsorgen. Nun war es keineswegs sicher, dass das Flugzeug 30 Minuten später auch wirklich landete. Bisweilen wurden ja auch mal 15 Minuten lang Warteschleifen geflogen. Und nach der Landung ist man oft auch nicht gleich am Gate! Es wurden Fälle bekannt, in denen Passagiere nach der Landung geschlagene 45 Minuten daran gehindert wurden, ihre Blase zu entleeren! Und die Sky Marshals setzten das rigoros durch. Auf einem Flug zwangen sie einen Passagier mit vorgehaltener Waffe, sich auf den Boden zu legen. Er wollte ganz einfach zur Toilette, weil er es nicht länger aushielt. Erst vier Jahre später wurde diese Regel aufgehoben.
Bei der Zunahme von streitsüchtigen und unbeherrschten Passagieren ist es für das Kabinenpersonal wie für die Reisenden sicherlich ein Gewinn, Sky Marshals an Bord zu wissen. Da das Hauptziel die Abschreckung ist, lässt sich nicht sagen, wie viele größere Zwischenfälle dadurch vereitelt wurden. Jedenfalls wurden nach 2001 keine Entführungen amerikanischer Flugzeuge mehr bekannt. Der einzig nennenswerte Anschlagsversuch geschah durch den Unterhosenbomber auf Northwest Airlines 2009, der aber (wieder einmal) von einem Mitreisenden sofort verhindert wurde. Insofern ist der Einsatz von Air Marshals also ein voller Erfolg. Gleichwohl gibt es menschliche Pannen, die nicht vorkommen sollten. So fand ein Passagier eines Tages die Pistole eines Sky Marshals in der Bordtoilette, eine andere Sky-Marshal-Waffe wurde auf der Toilette im Sicherheitsbereich eines Flughafens entdeckt.
Geradezu pikant war die Begebenheit vom 1. Oktober 2010, die das Zeug zu einem internationalen Zwischenfall hatte: Eine 50-jährige Brasilianerin auf dem Continental Airlines Flug von Houston nach Rio de Janeiro hatte während der Essensverteilung geschlafen. Als eine Stunde später keine der Flugbegleiterinnen auf ihren Rufknopf reagierte, ging sie in die Galley, um mit einer Stewardess zu sprechen. Da aber auch dort niemand war, bediente sie sich am offenen Getränkewagen. Eine Flugbegleiterin ‚erwischte‘ sie dabei und wies sie zurecht. Es entspann sich ein Streitgespräch. Zwei Sky Marshals eilten herbei, fragten auch nicht lange sondern fesselten die erregte Frau. Während des Handgemenges soll sie einen der Agenten in die Hand gebissen haben. Vier Stunden verbrachte Fabiola Rodrigues Fantinato in Handschellen auf ihrem Sitz und schäumte vor sich hin. Nach der Landung in Rio übergaben die Sky Marshals die Dame der Polizei. Doch plötzlich wendete sich das Blatt. Die beiden Amerikaner mussten noch am Flughafen ihre Waffen und ihre Pässe abgeben. Sie durften den Airport und das Land nicht verlassen und sollten sich für eine behördliche Klärung zur Verfügung halten. Señora Fabiola war nämlich die Gattin von João Marcos Fantinato, Bundesrichter an Brasiliens oberstem Gerichtshof. Natürlich kursierte auch eine amerikanische Version des Vorfalls, der man aber vor Ort nicht viel Glauben schenken wollte. Sicherheitshalber stahlen sich die beiden glücklosen Sky Marshals von einem Nachbargate in ein amerikanisches Flugzeug, entkamen so einer peinlichen Verhandlung und ersparten beiden Ländern und allen Beteiligten eine Blamage.
Von Andreas Fecker
Wie ich mittlerweile den Gerichtsakten entnehmen konnte, hat der 19. Strafsenat von Rio de Janeiro Continental Airlines am 15. Januar 2013 zur Zahlung von umgerechnet 7000 Euro an Frau Fantinato verurteilt, zuzüglich 1% Zinsen für jeden Monat seit dem Vorfall.