Auf dem Flug der Royal Air Maroc von Casablanca nach Bologna brachte eine hochschwangere Frau vergangene Woche einen Jungen zur Welt. Zufällig befand sich eine Hebamme an Bord der Maschine. Als die Wehen einsetzten, entschied sich die Crew auf halber Strecke zwischenzulanden. Mutter und Baby waren aber bereits wohlauf, als die Maschine in Barcelona von einem Arzt empfangen wurde. Obwohl die Geburt in spanischem Luftraum stattfand, erhält ein Neugeborenes nicht automatisch die spanische Staatsbürgerschaft. Man unterscheidet zwischen Bodenrecht und Blutsrecht. Das Kind einer deutschen Mutter hat zum Beispiel automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft.
In den USA wie in einigen anderen Ländern herrscht das Bodenrecht: Wird das Baby an Bord eines Flugzeuges im amerikanischen Luftraum einschließlich der 18 Meilen Zone geboren, hat es automatisch (auch) die amerikanische Staatsbürgerschaft. Befindet sich das Flugzeug nicht über amerikanischem Territorium, erhält es laut dem Chicagoer Abkommen die Staatsbürgerschaft von dem Land, in dem das Flugzeug registriert ist. Manchmal sind das typische Steueroasen wie Bermuda, Bahamas, Kaimaninseln oder Aruba. Befindet sich ein in den USA registriertes Flugzeug unterwegs in die Vereinigten Staaten, ist aber noch über dem Hoheitsgebiet eines Drittlandes, ist das Neugeborene nach amerikanischem Recht US-Bürger. Allerdings könnten in dem betreffenden Drittland konkurrierende Gesetze gelten. Diesen Rechtsstreit müssten dann die Eltern nach der Landung selbst ausfechten, wenn sie darauf Wert legen. Als Geburtsort ist nach internationalem Recht die Position des Flugzeuges mit Längen und Breitengrad einzutragen.
Doch diese Rechnung geht nicht immer auf: Eine hochschwangere Mutter von den Philippinen befand sich 2011 mit ihren drei Kindern auf dem Weg von Manila in die USA. Sie wollte ihr Baby bei ihrer Tante in Massachusetts zur Welt bringen. Über die amerikanische Staatsbürgerschaft des kleinen Sprösslings erhoffte sich die ganze Familie die komplikationslose Einbürgerung in die USA. Doch das Baby wollte nicht warten und erblickte das Licht der Welt bereits vier Stunden vor der Landung in San Francisco. Das mit der Staatsbürgerschaft und der Einbürgerung wurde nix, denn es war ein Codeshareflug, der von Philippine Airlines durchgeführt wurde, und das Baby kam über internationalen Gewässern zur Welt!
Soviel zum gesetzlichen Aspekt. Eine Geburt ist aber auch immer eine hochemotionale Angelegenheit, welche die Mütter, die Crews, die Passagiere und die Airlines verkraften müssen. 2012 brachte eine andere Mutter ihren Jungen an Bord eines Emirates Fluges von Dubai nach Manila zur Welt. Der neue Erdenbürger wurde von den mitreisenden Passagieren mit begeistertem Applaus empfangen, obwohl das Flugzeug nach Saigon umgeleitet wurde, um Mutter und Kind ärztlich zu versorgen. Die Mutter nannte ihren Sohn aus lauter Dankbarkeit nach dem Airline-Code von Emirates Airlines. Der Junge hört fortan auf den Namen „EK“. Eine dankbare Armenierin brachte per Sturzgeburt an Bord der Armavia zwischen Novosibirsk und Yerevan ein Mädchen zur Welt. Sie nannte ihre Tochter Asmik, nach der Stewardess Asmik Gevondyan, die half, das Mädchen gesund zur Welt zu bringen.
Auch die Lufthansa hat „ihr Baby“. Am 23. Juli 1965 war Flug LH 402, eine Boeing 707 unterwegs in die USA. An Bord war Helga Herzog, damals im achten Monat schwanger. Plötzlich setzen die Wehen ein. Auf die Frage der Flugbegleiterinnen, ob ein Arzt an Bord sei, meldet sich eine Amerikanerin, die schon einmal bei einer Geburt geholfen hatte. Großalarm im Operations Center der Lufthansa. Haben wir gerade eine andere Maschine über dem Atlantik mit einem Arzt an Bord? Inzwischen wird die erste Klasse zum improvisierten Kreißsaal. Der Käpten von LH 404 meldet, er sei 30 Minuten hinter LH 402 und habe einen Arzt dabei, der über Funk bei der Geburt assistieren könne. Purserette Ria Bermbach erhält sozusagen per Funk über Grönland einen Crashkurs als Hebamme. Über ein Headset mit Verlängerungskabel aus dem Cockpit ist sie mit dem Arzt in der anderen Maschine verbunden. Die Geburt verläuft ohne Komplikationen. Über Labrador kann Ria Bermbach der Mutter das Kind in die Arme legen. Der Name des Kindes? Barbara Lufthansa Herzog.
Fliegen ist laut Aussage der Lufthansa bis zur 36. Schwangerschaftswoche unproblematisch. Trotzdem verlangen viele Airlines von den Müttern ab der 28. Schwangerschaftswoche ärztliche Atteste mit dem voraussichtlichen Geburtstermin und einer Unbedenklichkeitserklärung, bevor sie an Bord gelassen werden. Attest hin oder her, es geschieht immer wieder, dass an Bord von Flugzeugen Wehen einsetzen und Kinder geboren werden. Die Fluggesellschaften sind auf solche Zwischenfälle vorbereitet, Geburtshilfe ist ein Teil der Ausbildung von Flugbegleitern. Wie die Airlines danach mit dem Ereignis umgehen, ist unterschiedlich. AirAsia beschenkte eine chinesische Mutter und ihren „luftgeborenen“ Sohn 2009 mit lebenslangen Freiflügen, nachdem die Mutter ihr Kind AirAsia benannt hatte. Auf Mandarin lautet das „Asia Liew Ya Hang“.
Für alle Zeit unübertroffen dürfte aber die Reaktion von Widerøe Airlines sein: Im norwegischen Honningsvåg gab es 1986 kein Krankenhaus. Die Kinder kamen mit Hilfe einer Hebamme zur Welt, oder die Mütter begaben sich rechtzeitig vor der Entbindung in das 180 km entfernte Hammerfest. Doch als bei Siljes Mutter die Wehen frühzeitig einsetzten, entschloss sich die Amme, die Mutter ins Krankenhaus bringen zu lassen. Für ein Auto war es mittlerweile zu spät. Also fuhr sie zum Flughafen. Eine Twin Otter der Fluggesellschaft Widerøe war zufällig startklar. Wegen des Notfalls wurden alle Passagiere wieder ausgeladen. Nur die Mutter, die Hebamme und die beiden Piloten waren an Bord, als die Maschine nach Hammerfest abhob.
Als wäre es nicht schon dramatisch genug, vertrug die Hebamme das Fliegen nicht. Als Käpten Jostein Eilertsen während des Fluges in die Kabine kam um nach ihr zu sehen geriet sie in Panik und schrie ihn an, er solle schleunigst ins Cockpit zurückgehen und das Flugzeug fliegen! Das Baby konnte nicht warten. Acht Meilen im Endanflug auf Hammerfest, 3000 Fuß über dem Meer erblickte ein kleines Mädchen das Licht der Welt. Nach der Landung in Hammerfest hielt die glückliche Mutter die kleine Silje im Arm. Der bereitstehende Arzt und die Sanitäter kümmerten sich um Mutter, Kind und die kreidebleiche Hebamme.
Widerøe Airlines zeigte Humor: Die Twin Otter trug fortan den Namen „Silje“, Silje selbst erhielt lebenslang Freiflüge auf dem gesamten Streckennetz der Widerøe und ein lebenslang unbegrenztes Stellenangebot bei der Airline. Silje Jørgensen studiert derzeit in Tromsø Biologie und Mathematik. Auf das Stellenangebot kommt sie vielleicht später einmal zurück. Die junge Frau – wen wundert’s – liebt das Reisen. Die Freiflüge auf dem ausgedehnten Streckennetz der Widerøe Airlines kommen ihr dabei entgegen.
Nachtrag zu der Wideroe-Geschichte.
Ich hatte vergangenen Mittwoch Kontakt zu Silje. Sie hat ihr Studium mittlerweile abgeschlossen, unterrichtet Naturwissenschaft, ist verheiratet und hat eine Tochter im Alter von 6 Monaten. Die Kleine hat, wen wundert’s, bereits elf Flüge mit Wideroe hinter sich!
AF