Luftpost 447: Eileen Delanghe

Werbung
Foto: Fecker

Vor 30 Jahren stand ich vor der Herausforderung, für ein Projekt den Job einer Stewardess zu beschreiben. Es sollte ein Gemälde aus Worten werden, eine charakterisierende Momentaufnahme. Ich habe dieses „Gemälde“ den Erzählungen einer Flugbegleiterin aus den USA nachempfunden. Nur den Namen habe ich geändert.

Eileen Delanghe ließ die Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen, lehnte sich gegen das warme Holz und schloss einen Augenblick lang die Augen. Stewardess, welch ein Traumberuf! Mit den Schultern stieß sie sich von der Tür ab und trottete ins Bad. Auf dem Weg durch das Wohnzimmer kickte sie ihre Schuhe von den Füßen, öffnete den Rock und ließ ihn achtlos zu Boden gleiten. Angewidert stieg sie aus dem Stoff und warf ihre Uniformjacke gleich daneben auf den Teppich. Im Bad drehte sie den Hahn auf und genoss das Rauschen des heißen Wassers, das die Badewanne füllte. In Strumpf­hose und Bluse schlurfte Eileen ins Wohnzimmer zurück und goss sich einen doppelten Martini ein. Das Glas von vor drei Tagen stand immer noch ungespült auf dem Esstisch, und es würde auch noch übermorgen so dastehen. 

Während sich die Wanne endlos langsam mit Was­ser füllte, ließ sie sich erschöpft in einen Sessel sinken. Ihre Füße schmerzten. Wieviel Uhr war es? 23:05 Uhr in Salt Lake, 04:05 Uhr in New York. Jack an­zurufen war es jetzt zu spät. Oder besser – zu früh. 22:05 Uhr in Seattle. Sollte sie schnell mal Mutter Bescheid sagen, dass sie wieder in Salt Lake City sei? Ach was.  Nach der Johnny Carson Show pflegte Mutter sowieso immer ins Bett zu gehen. Und dann die üblichen Fragen! „Kindchen, wo kommst du denn gerade her? Aus Hawaii! Kind­chen hast du’s schön! Während andere Leute arbei­ten, fliegst du nach Hawaii und kriegst da auch noch Geld dafür. Kindchen, wann das Vater noch erleben könnte!“

Während andere Leute arbeiten…! ‘Stew’ zu sein, ewig lächelnder, holder Engel, geflügeltes Wesen über den Wolken, stets die gleichen geistreichen Fragen der Passagiere nach wie lange, wie breit, wie schnell, wie hoch, wann landen wir, zu beant­worten, stets dieselben arroganten Fluggäste: ‘Madam, noch einen Kaffee’; ‘Miss, noch einen Tee, bitte’; ‘Bringen Sie mir einen Gin Tonic mit etwas Wodka, dreimal geschüttelt. ’ Die Passagiere schie­nen sie oft mit dem Barmixer im Waldorf Astoria zu verwechseln. Dann die ewige Gretchenfrage: ‘Kaffee oder Tee? Mit Milch oder ohne? Nehmen Sie Zucker? ’ Die Begrüßung der Fluggäste beim Betreten der Maschine und beim Verlassen nach der Landung.  Jedem einzelnen Gast einen Guten Morgen, bzw. Auf Wiedersehen zu wünschen. Die Schwimmwestendemonstration, bei der kein Mensch mehr zuhörte, die stereotypen Bewegun­gen, um die Notausgänge zu zeigen, das ständige Ermahnen sich anzuschnallen – manche können’s wirklich nicht, manche wollen es nicht, und man­che möchten angeschnallt werden, um dann mal ganz flüchtig und natürlich aus reinem Versehen die Brust der Stewardess zu streifen. Das sind dann dieselben, die den Ellenbogen in den 50cm breiten Gang ausstellen, wenn man gerade versucht, den Servierwagen durch den Gang zu schieben. Die Essensverteilung kann nicht schnell genug gehen, und kaum wird serviert, fällt es dem Gast auf 17A ein, dass er dringend zur Toi­lette muss. Das heißt dann, man muss entweder irgendwelchen Passagieren fast auf den Schoß sitzen, um den Kerl vorbeizulassen, oder gar den Wagen in die Galley zurückschieben und wieder vor, wenn der Kerl vorbei ist. Dann dasselbe, wenn er zurückkommt. Sagt man was, beschwert er sich womöglich bei der Gesellschaft. Und prompt hat man seinen Rüf­fel weg und den Roten Reiter auf der Personalakte.

Dann will irgendeiner kein Schweinefleisch, ein anderer braucht Schonkost. Dann ist dem einen das Essen zu heiß, dem anderen ist es zu kalt. Dann sind da die ängstlichen Fragen: ‘Miss, der Flügel wackelt, stürzen wir auch sicher nicht ab? Was ist, wenn ein Motor ausfällt? Zwischendurch lärmen Kinder durchs Flugzeug, ein Baby hat die Hosen voll, und die Mutter verstopft mit den alten Win­deln die Toilette. Die Brühe läuft über, Urin und Chemikalien-getränkte Fußspuren im Toilettenbe­reich. Den Geruch von verschütteten Getränken auf der Bluse, Speiseflecken auf dem Rock, die Unterwäsche verschwitzt, die Haare voller Kabinengeruch – das alles bedeutete für Eileen „Hawaii.“ Oder Chicago. Oder Tokyo. Oder Guam. Oder Fiji. All die Traumziele konnten zum Alptraum gereichen. All dies jedoch auch noch lächelnd durchzustehen, obwohl einem manchmal zum Heulen ist, in den Augen der männlichen Fluggäste als ständig empfangsbereites Sexobjekt für Piloten wie Passagiere gesehen zu werden, das alles widerte sie an. Stewardess, was für ein Traumberuf! Sie roch am Ärmel ihrer Bluse und überwand mit Mühe den Brechreiz. ‘Raus aus diesen Kleidern! ’ Sie streifte sie ab wie eine zweite Haut und goss sich noch einen Martini nach.

Eileen schüttete eine halbe Flasche Cremezusatz in das Badewasser, stellte den Hahn ab und glitt hinein. Ein wohliger Schauer durchwanderte ihren Körper. Jetzt erst konnte sie sich entspannen. Nicht lange, aber es würde guttun. Um 04:00 Uhr morgens musste sie bereits wieder die Wohnung verlassen, und zum Flughafen fahren. Eigentlich war eine derart kurze Ruhezeit gegen jede Vorschrift. Aber die Besatzungseinsatzplanung hatte sie bereits letzte Woche mit vier Tagen flugfreier Zeit geködert. Und niemand konnte damals vorhersehen, dass die Maschi­ne von Hawaii gestern Abend vier Stunden Verspätung ha­ben würde. Eine Viertelstunde ließ sie sich von dem Creme­bad umschmeicheln, dann entstieg sie dem Was­ser, trocknete sich ab, stellte den Wecker, und ließ sich ins Bett fallen. Sofort fiel sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Andreas Fecker