Luftpost 435: Sommerzeit – Reisezeit

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Andreas Fecker – Bild: Archiv Fecker

Während die ersten Bundesländer in die Sommerferien gehen, wirft der Reiseboom verstörende Schatten voraus. Deutschland hat zwei Coronajahre hinter sich, geschlossene Schulen, geschlossene Sporthallen, geschlossene Schwimmbäder, Online-Unterricht, Home-Office, Abstandsregeln, Maskenpflicht allerorts. Im Licht gelockerter Vorsichtsmaßnahmen drängt es die Bevölkerung auf die Straße, zu Konzerten, in den Urlaub. Endlich mal wieder atmen, baden, die Sonne genießen! Die Flughäfen spüren es als erstes: Chaos bei der Anreise, Chaos im Terminal, Chaos bei der Gepäckabfertigung, Chaos bei den Flügen. Deutschland ist dabei kein Einzelfall. In den USA steht der 4. Juli bevor. Die Woche um den Unabhängikeitstag ist eine Zeit traditioneller Familienbesuche. Hier fliegen die Menschen kreuz und quer und diagonal durch ganz Amerika, Alaska und Hawaii inklusive. Aber die Infrastruktur und das Personal ist nicht ausreichend. Am vergangenen Mittwoch mussten in den USA 639 Flüge gecancelt werden, 5837 waren verspätet. Delta Air Lines hat vorsorglich 100 Verbindungen pro Tag aus dem Flugplan gestrichen. In einer Warnung an die Passagiere heißt es, dass Reisende rund um den 4. Juli mit Einschränkungen rechnen müssen, die es vor der Pandemie nicht gab. Mietwagen sind fast nicht zu kriegen und Hotelpreise steigen fast täglich.

Airlines hatten in den beiden Coronajahren ihr Personal heruntergefahren, manche Angestellte sind vorzeitig in Rente gegangen oder haben anderswo angeheuert. Industrieweit fehlt Piloten- und Kabinenpersonal. Amerikanische Mietwagenfirmen haben eine halbe Million Autos abgestoßen, um flüssig zu bleiben und ihre Büros offen halten zu können. Das ist ein Drittel der Flotte, und das treibt die Mietwagenpreise zum Teil auf doppelte Höhe. Die Rekord-Inflation tut ein Übriges, um den Urlaub in Frage zu stellen. Spätestens jetzt kommt Angebot und Nachfrage ins Spiel. Wer es sich leisten kann, ignoriert die hohen Preise und sagt sich „Egal was es kostet, nix wie weg. Ich habe lange genug verzichtet.“ Das treibt die Preise noch weiter nach oben, denn die Nachfrage trifft auf unterbesetzte Anbieter.

Die Airlines haben zwar staatliche Zuschüsse in Milliardenhöhe eingestrichen, um ihr Personal nicht entlassen zu müssen. Trotzdem fehlt es an allen Ecken. Die Lufthansa will den ersten A380 entmotten. Emirates fordert von Airbus größere Flugzeuge. Ticketpreise stiegen um 30 bis 40% gegenüber 2019. Der Spritpreis ist so hoch wie nie. Auf der Schiene herrscht das Chaos, Verspätungen von 80 Minuten und Zugausfälle sorgen für überfüllte Züge, die bisweilen sogar von der Polizei geräumt werden müssen. So manches Hotel musste schließen. Die, die offen blieben, suchen händeringend nach qualifiziertem Küchenpersonal. Auch bei uns sind die Übernachtungspreise um ein Viertel gestiegen.

Andreas Fecker