Luftpost 408: Hongkong

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Foto: Archiv Fecker

Derzeit taumeln wir von einer Krise zur nächsten: Coronakrise, Impfkrise, überfüllte Intensivstationen, überlastete Ärzte, ausgepowertes Pflegepersonal, Versorgungskrise, Chipkrise, Handwerker ohne Material, die Möbelindustrie ohne Holz. Da der Online Handel die Verpackungsproduktion befeuert, fehlt den Buchverlagen das Papier. Ich bin mit einer ausgesetzten Zweitauflage und einer Neuerscheinung selbst betroffen. Dazwischen verklappen die Verschwörungssüchtigen bündelweise Falschinformationen und machen damit die Leichtgläubigen über die asozialen Netzwerke noch vollends kirre.

Verursacht haben wir die Versorgungskrisen größtenteils selbst. Die Produktion von immer mehr Waren des täglichen Gebrauchs wird gerne ins Ausland verlagert. Ein Grund kann schon sein, dass der Stückpreis in Fernost trotz der Transportkosten gerade mal einen oder zwei Cents weniger beträgt. Da zum Beispiel deutsche FFP2-Masken teurer sind, lässt man sie in Shenzen, Shanghai, Xiamen oder Hongkong herstellen. ‚Schnelltests, medizinische Schutzkleidung, Gefrierschränke für Impfstoffe, Beatmungsgeräte‘ stehen dann auf den Frachtpapieren. Deutschland war einst führend in der Herstellung von medizinischen Apparaten, in der Optik, Robotik und Elektronik. Heute produzieren diese Firmen in China. Und da der minutiös getaktete globale Containerkreislauf seit Corona und Suez total durcheinandergeraten war, da Containerschiffe zu hunderten irgendwo auf Reede liegen und die Schauerleute in den Welthäfen wegen Corona im Slow-Mode arbeiten, verlässt man sich auf die Frachtfluggesellschaften. Die Piloten befinden sich dabei am Ende der Nahrungskette, denn Hongkong hat von allen chinesischen Airports die strengsten Quarantäneregeln der Welt. Wer einmal aus dem Flugzeug steigt, sitzt 21 Tage lang in einem Quarantänezentrum der Regierung fest.

Unsere aktuelle „Uniform“ in Hanoi oder Saigon, wenn wir am Boden darauf warten, dass die Fracht ausgetauscht, und das Flugzeug betankt wird. Wir steigen dabei nicht mehr aus, sondern bewegen uns nur auf dem Upper Deck und im Cockpit der 747!!! – Foto: JF

Also berufen sich die Cargo-Airlines auf Ausnahmeregeln und ändern die Verfahren. Gedoppelte Crews landen nach ihrem 8-Stunden Flug in Hongkong und steigen nicht aus. Corona-bedingt sind die Bodenzeiten in China statt der üblichen zwei Stunden inzwischen auf 6–7 Stunden angewachsen. Die Piloten verbringen ihre gesetzliche „Ruhezeit“ im Flugzeug auf Höhe Null. Das sieht dann so aus: Die Vier-Mann-Crew teilt sich auf, denn die maximale Flugdienstzeit von 18 Stunden ist bereits um die weiteren drei möglichen Toleranz-Stunden übererfüllt. Zwei gehen dann schlafen und zwei vertreiben sich irgendwie die Zeit. Acht Stunden lang! Die beiden, die schlafen mussten, beginnen eine „neue“ Flugdienstzeit und fliegen das Flugzeug als zwei-Mann-Crew wieder zurück. Die Luftfahrtaufsichtsbehörden mögen das bewerten.

Eine Variante ist die Stationierung von Pilotencrews im benachbarten Vietnam. Die übernehmen dann eine Maschine, die aus Europa kommt, fliegen sie nach China, bleiben im Flugzeug während es betankt und beladen wird. Sie fliegen es dann am selben Tag nach Vietnam zurück, von wo wieder eine andere Crew den Jumbo nach Europa bringt. Und alles nur, um die zeitkritische Fracht von und nach China bewegen zu können und uns durch die Pandemie zu bringen. Ja, auch an Weihnachten. Für mich sind diese Piloten neben dem medizinischen Personal in den Krankenhäusern die Helden der Pandemie.

Frohe Festtage!
Andreas Fecker