Luftpost 381: Pipelines

Werbung
Winter-Recherche in Alaska – Foto: Archiv Fecker

Eine Volkswirtschaft wird durch Logistik und Transport am Laufen gehalten. In den zurückliegenden 380 Luftpostartikeln habe ich die verschiedenen Verkehrswege immer wieder einmal behandelt: Straßen-, Schiffs-, Bahn– und Luftverkehr. Es gibt jedoch noch einen weiteren Zweig, der wegen seiner Unsichtbarkeit wenig Beachtung findet: Die Pipelines. Denn auch und gerade sie sind entscheidend für einen wichtigen Schmierstoff der Weltwirtschaft: Treibstoffe, Erdgas, Fernwärme oder Wasser.

Besonders die transkontinentalen Pipelines sind anspruchsvolle Industrieanlagen. Das lässt sich beispielhaft mit einigen Kennzahlen der Trans Alaska Pipeline illustrieren: 1287 km lang befördert sie heißes Rohöl von der Prudhoe Bay zum eisfreien Hafen von Valdez im Süden Alaskas. Die Pipeline überquert unzählige Flüsse, Erdbebengebiete und mehrere Gebirgszüge. Ihr höchster Punkt liegt in der Brooks Range auf 1444 m. Um seismische Verwerfungen aufzufangen, ruht sie mit 72.000 Aufstützpunkten teils auf Schienen, teils auf Stelzen. Damit sie den Permafrost nicht auftaut, sind diese „Vertical Support Members“ (VSM) im Innern mit Ammoniak gekühlt, am oberen Ende der Stelzen sind Verdampfer angebracht. Um die 80 Grad Temperaturunterschied zwischen Sommer und Winter auszugleichen, wurde die Pipeline in Zick-zack-Form gebaut.

Bewegliche Lagerung der Trans Alaska Pipeline – Foto: Fecker

Die Strecke ist mit zwölf Pumpstationen ausgestattet, wo gigantische Tanks mit bis zu 450.000 Barrel Fassungsvermögen bei einem Zwischenfall die betroffene Röhrensektion leerpumpen und das heiße Öl aufnehmen könnten. Könnte das Öl im Winter wegen einer Abschaltung nicht mehr fließen, würden anderthalb Milliarden Liter Rohöl, der Inhalt der gesamten Pipeline, zu einer zähen Wurst abkühlen, die ganze Röhre wäre dann unbrauchbar. Unzählige Sensoren überwachen die Integrität des Systems. Die Pipeline hat seit ihrem Bau Ende der 1970er Jahre mehrere Erdbeben und Waldbrände überstanden, sie ist sogar kugelsicher.

Die 9000 km lange Colonial Pipeline zwischen Houston, Tx und New Jersey an der Ostküste deckt etwa 45% des Ölbedarfs der amerikanischen Ostküste. Seit sie Anfang Mai 2021 von DarkNet Piraten gehackt wurde, und für eine Woche stillgelegt werden musste, zerbricht man sich im Energieministerium den Kopf, wie sicher der Öltransport in Alaska ist. Als Folge der Sabotage wurden nämlich die Tankstellen nicht mehr versorgt, Autos stauten sich zu kilometerlangen Schlangen, die Menschen horteten Benzin, Kanister waren allenthalben ausverkauft wie im Jahr zuvor das Klopapier. Die Versorgung der Supermärkte war unterbrochen, Ersatzteillieferungen gefährdet, Airlines mussten ihre Flugpläne ändern, Tankstopps einlegen, andere Flugzeuge einsetzen. Präsident Biden erklärte den Notstand. Zwischendurch kommunizierte die Hackergruppe, dass es ihnen lediglich ums Geld ginge, nicht darum, den Menschen zu schaden. Auch nach Zahlung von 4,4 Mio Dollar in Bitcoin und der Wiedereröffnung der Pipeline dauert es zwei Wochen, bis der Sprit beispielsweise wieder in New York ankam.

Erneut mussten die USA schmerzhaft erfahren, dass auch ein ausgeklügeltes IT-System stets einen Schritt hinter dem Genius von Kriminellen daherhechelt, wie zuvor schon bei Hacks verschiedener Ministerien, vom Pentagon über das Finanzministerium, des Außenministeriums und des Heimatschutzes. Anfang des Jahres wurde Solar Winds von einem russischen Geheimdienst gehackt, eine staatliche Datenbank in der das Gedächtnis von Tausenden von Unternehmens- und Regierungsservern steckt. Ein Angriff, der angeblich aus China kam, kompromittierte Zehntausende von Microsoft Exchange Servern. Jetzt macht sich die Sorge breit, dass jederzeit Geldautomaten gehackt, Banken erpresst, Konten geplündert, Krankenhäuser, Notdienste und Stromversorgung zum Opfer werden könnten. Vorgestern hat es eine Airline erwischt. Und wieder haben die Verschwörungssüchtigen Hochkonjunktur. In einer Zeit, in der ein populistischer Ex-Präsident nicht aufhört, nach seiner Abwahl das Vertrauen in Demokratie und Regierung zu untergraben, wäre es wichtiger denn je, dass Regierung. Parlament und Volk über ideologische Schranken hinweg zusammenhielten.

Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 381: Pipelines”

  1. Peter Längle sagt:

    Hallo Andy,
    interessanter Bericht, wie immer. Leider bewahrheitet sich auch in diesem Zusammenhang, dass es keine 100 prozentige Sicherheit im IT-Bereich gibt. Die „dunkle Seite der Macht“ wird uns also erhalten bleiben. Vielleicht feiert deshalb die Mechanik eines Tages wieder fröhliche Urständ, wie ja auch das Papier unschätzbare Vorzüge aufweist.
    Viele Grüße aus der Schweiz
    Porgy