Luftpost 376: Cargo Pilot

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Foto: Fecker

1972 nahm Hannes Wader einen melancholischen Song auf:
Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort
Hab mich niemals deswegen beklagt
Hab es selbst so gewählt, nie die Jahre gezählt
Nie nach Gestern und Morgen gefragt

Mir fällt keine Berufsgruppe ein, auf die dieser Text besser passen würde als Frachtpiloten. Während nämlich die Besatzungen von Passagierflugzeugen planbar und streng nach Flugplan auf den Strecken ihres veröffentlichten Streckennetzes unterwegs sind, werden ihre Kollegen von den Cargo Airlines von Disponenten gesteuert, machen Umwege, Zwischenlandungen hier und dort um noch schnell eine zusätzliche Palette aufzunehmen, die ebenfalls zu ihrem aktuellen Streckenziel muss. Diese Disponenten haben meist einen genauen Überblick über das aktuelle Gesamtgewicht der Ladung und das Volumen, das sie noch verkaufen können. Fragt man die Piloten, was denn das Besondere an der Frachtfliegerei ist, bekommt man gerne mal eine flapsige Antwort: „Fracht motzt nicht und Fracht kotzt nicht“. Aber bei genauerem Hinsehen erkennt man erst, was für eine gewaltige, wertvolle Aufgabe das ist. Jährlich transportieren Cargo Airlines über 62 Mio Tonnen Fracht. Und während der Passagierverkehr derzeit einbricht, kann sich der Frachtverkehr vor Aufträgen kaum noch retten. Bezogen auf den Warenwert werden fast 30 Prozent aller deutschen Exporte nach Übersee mit dem Flugzeug befördert. Laut Statistischem Bundesamt lag der Exportwert einer Tonne Luftfracht vor fünf Jahren durchschnittlich bei 80.250 Euro. Im Seeverkehr war in diesem Zeitraum jede beförderte Tonne im Schnitt nur 1.932 Euro wert. Triviales Beispiel in umgekehrter Richtung: Über 90 Prozent aller zum Teil hochpreisigen Smartphones, Tablets und Notebooks kommen wie selbstverständlich auf dem Luftweg nach Deutschland.

Es liest sich vielleicht wie der Tourneeplan der Rolling Stones. Aber es ist die Jahresleistung des Frachtpiloten von einer europäischen Cargo Airline – Foto: Grafik

Natürlich haben auch Cargo Airlines ihre Brot- und Butterstrecken, auf denen sie regelmäßig verkehren. Aber je nach Flugzeugtyp können auch interessante Fuhren dazwischen geplant werden, wie Sportgeräte zu einer Weltmeisterschaft nach Brasilien, oder Ballongondeln nach Dubai, oder ein Erlkönig zum Höhen- oder Kältetest nach Chile, oder gar das Solarflugzeug von Bertrand Piccard Solar Impulse zu seiner nächsten Weltumrundungs-Etappe nach Bahrein. Bleibt irgendwo eine Passagiermaschine mit einem Triebwerksschaden liegen, ist womöglich ein Ersatz zum Austausch zu transportieren. Nach Erdbeben oder Überschwemmungen sind Hilfsgüter von Nöten, die schnellstmöglich irgendwo abgeholt und zum Einsatzort gebracht werden müssen. All das erfordert ein Höchstmaß an Flexibilität.

Cargo Pilot unter der Maske – alle Fotos: Capt. J. Fischer

Die aktuelle Pandemie ist ein wichtiges Beispiel für die Unverzichtbarkeit von Lufttransport, besonders in Lateinamerika und Indien: Da der COVID-Ausbruch auf dem asiatischen Subkontinent kaum noch einzudämmen ist, bleibt nur noch, dass Cargo Airlines aus aller Welt Impfstoffe, Oxygen-Generatoren und medizinische Güter in die verschiedenen Millionenstädte fliegen werden, wo die Behörden mit der Massenverbrennung der Toten nicht mehr fertig werden. Allein in den zehn größten Metropolregionen Indiens leben 100 Millionen Einwohner, und in den Nachbarländern Sri Lanka, Malediven, Nepal, Bangladesh, Thailand, Kambodscha und Indonesien steigen die Neuinfektionen. Da wird es noch viel Arbeit geben. Es sind zwar die hilfsbereiten Staaten der Welt, die diesen finanziellen Kraftakt vollbringen, aber es sind die Airlines und die Cargo Piloten an vorderster Front, die die Güter dorthin fliegen und sich latent der Ansteckungsgefahr aussetzen.

Über die Hygienemassnahmen vor Ort habe ich schon in Luftpost 375  geschrieben. Aber auch der fliegerische Anspruch ist enorm. Von den Piloten wird nämlich erwartet, dass sie mit außergewöhnlichen Klimaschwankungen zurechtkommen. Da ist zum Beispiel der Start in Kuala Lumpur bei 30°C, dann die Landung in Anchorage bei -20°C, weiter nach Lagos, wo wieder 30°C herrschen. Das Flugzeug wiegt mal voll beladen 442 t, und ist womöglich beim nächsten Flug leer und fühlt sich mit 220 t geradezu leicht an. Mal setzt man in Mexico, Bogotá oder Quito in 2400 m Höhe mit maximalem Landegewicht auf, dann wieder in Amsterdam leer auf Höhe Null….

Die Einsatzplanung muss auch an die Belastung der Crews denken, an ihre Höchstflugzeit. Es müssen Zulassungen, Simulator-Stunden, Line Checks, Impfungen, Visa berücksichtigt werden, Zollbestimmungen, Ruhezeiten ermöglicht, und Ablösung organisiert werden. Wenn dann die Crew an der Zwischenstation aus der Dienstzeit fällt, muss eine frische Crew besorgt, und die „alte“ nach ihrer Ruhezeit dahinbefördert werden, wo sie als nächstes gebraucht wird. Das Flugzeug muss regelmäßig gewartet werden. Die Crews müssen sich mit örtlichen Behörden auseinandersetzen, die bisweilen stur auf ihren Vorschriften beharren. Das läuft der notwendigen Flexibilität dieses Geschäfts zuwider. Oft müssen wegen Änderungen kurzfristig Überfluggenehmigungen eingeholt werden. Hilfslieferungen werden meist in Unruhegebiete transportiert. Diese Einsätze sind jedoch nicht ohne Risiko: Im November 2015 brachte eine Antonov 225 Baumaschinen von Norwegen nach Bamako in Mali. Am frühen Morgen des folgenden Tages wurde das Hotel von Terroristen überfallen. Sechs Crewmitglieder wurden ermordet.

Eine Boeing 747-8F wird zum Start in Luxemburg vorbereitet. – Foto: J. Fischer

Der Refrain des Songs von Hannes Wader lautet:

Manchmal träume ich schwer und dann denk ich es wär Zeit zu bleiben und nun was ganz anderes zu tun. So vergeht Jahr um Jahr und es ist mir längst klar, dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war.

So gerne ich früher um die Welt gereist bin, ich kann das inzwischen nachvollziehen.

Andreas Fecker