Luftpost 36: ETOPS

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Andreas Fecker Foto: Andreas Fecker

Der United States Fish and Wildlife Service (FWS) ist eine amerikanische Behörde, die Jahr für Jahr erbittert um ihren Etat kämpfen muss. Noch im Jahr 2000 unter Bill Clinton lag ihr Haushalt bei 1,7 Milliarden Dollar. Nach dem 11.September 2001 benötigten die USA für Irakkrieg und Homeland Security viele Milliarden. Man nahm das Geld dort, wo es scheinbar am entbehrlichsten war: Bei der NASA, bei den Sozialausgaben, bei den Nationalparks und beim FWS. Mittlerweile ist der Etat mit 726 Millionen Dollar mehr als halbiert, die Aufgaben sind geblieben. Der FWS kümmert sich um Jagdlizenzen, Fischbestände, bedrohte Tiere, Zugvögel, Feuchtgebiete, Brutstätten, Tier-Reservate, Waldbrandbekämpfung und vieles mehr, was für das Gleichgewicht der Natur wichtig ist.

Da gibt es dieses Midway Atoll im Pazifischen Ozean. Es gehört zu der Gruppe der Hawaii Inseln und liegt ziemlich genau auf dem halben Weg zwischen dem nordamerikanischen und dem asiatischen Kontinent. Midway wurde durch eine erbitterte Seeschlacht im 2. Weltkrieg bekannt. Später bauten die USA einen Flughafen mit drei Pisten darauf. Heute brüten dort etwa 1,5 Millionen Albatrosse auf der Inselgruppe, jede Landung dort birgt ein hohes Vogelschlagrisiko. Nicht zuletzt deshalb gab die US Navy den Flughafen auf. Er wurde fortan vom FWS gemanagt. Als jedoch deren Etat immer weiter gekürzt wurde, war das Ende besiegelt. Der Flughafen wurde 2009 aus dem World-Port-Index abgemeldet.

Da schrillten bei Boeing in Seattle die Alarmglocken. Midway war schließlich das Verkaufsargument für die zweistrahlige Boeing 777 gegenüber dem vierstrahligen Airbus A340. Jetzt plötzlich wurde die Politik auf fünf Buchstaben aufmerksam, die bisher im territorialen Machtpoker gar keine Rolle spielten: ETOPS.

Der Extended Twin OPerationS Wert gibt die Zeit in Minuten an, innerhalb der ein zweimotoriges Flugzeug bei Ausfall eines Motors den nächstgelegenen geeigneten Flughafen erreichen können muss. Scherzhaft kann man sich das auch mit »Engines Turn or Passengers Swim« merken. Als in den 1950er Jahren bei den viermotorigen Langstreckenmaschinen des Öfteren einer der Motoren streikte, hatte man begründete Sorge um die Sicherheit im transozeanischen Verkehr. Besonders bei Kolbenmotoren galt die Erfahrung, je größer der Motor, umso wahrscheinlicher ein Ausfall. Also legte man fest, dass alle Flugzeuge mit weniger als drei Motoren in der Lage sein mussten, bei Ausfall eines Motors und reduzierter Geschwindigkeit innerhalb von 60 Minuten einen geeigneten Flugplatz zu erreichen. ETOPS 60 war geboren. Diese Regelung galt bis 1964 auch für Strahlflugzeuge. Obwohl die neuen Strahltriebwerke immer zuverlässiger wurden, durften Flugzeuge mit zwei Triebwerken nicht auf transozeanischen Strecken oder in Polarregionen einfliegen. Das war ein starkes Argument für viermotorige Flugzeuge wie die Boeing 707 und die DC-8. Alle anderen Maschinen mussten sich auf dem Weg von Europa nach Nordamerika in Küstennähe an Schottland, Island, Grönland, Neufundland zum amerikanischen Festland entlanghangeln. Nachdem 1964 auch die Triebwerke der dreistrahligen Flugzeuge wie die Tristar, die DC-10 und die Tu-154 ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt hatten, durften auch diese auf der kürzeren Route über den Atlantik fliegen. Die gleichen Anforderungen galten auch für den Pazifik.

Nun haben die USA seit den beiden Weltkriegen ein Commonwealth von über 2000 Inseln, Outlying Territories und ehemalige Protektorate, von denen einige mittlerweile in die Unabhängigkeit entlassen wurden. Meist bestehen jedoch noch immer Kooperationsverträge fort. Diese Inseln liegen strategisch geschickt über den Pazifik verteilt. Oft leben dort nur eine Handvoll Beamte, die die Interessen der USA wahrnehmen und eine Notlandepiste offen halten. Würde nun im Pazifik plötzlich eine ETOPS Lücke gähnen wie im Fall von Midway, wären Airlines aus dem pazifischen Raum gezwungen, zeitraubende und teure Umwege zu fliegen. Das hätte sie womöglich Airbus in die Arme getrieben, deren vierstrahlige A340 keinen solchen Beschränkungen unterlagen. Fortan finanzierte Boeing aus diesem Grund den Flughafen Henderson Field auf dem Midway Atoll. Es gab dazu verschiedene Anlässe:

Am 6. Januar 2004 fiel frühmorgens über dem Pazifik der Öldruck an einem Triebwerk einer Continental Boeing 777 von Tokyo nach Texas ab. Honolulu war noch über 2000 km weg, da entschied sich der Käpten für eine Sicherheitslandung auf Midway. 279 Passagiere stiegen aus und mischten sich unter die 1,5 Millionen Vögel. Continental Airlines stellte ein Flugzeug bereit, lud Mechaniker, Ersatzteile, Werkzeug und reichlich Verpflegung für die gestrandeten Passagiere ein schickte es nach Midway. Doch das Flugzeug konnte nicht landen, denn ein paar hunderttausend aufgescheuchte Vögel machten einen Anflug unmöglich. Vier Stunden musste die Crew der Hilfsmaschine warten, bis nach Sonnenuntergang Ruhe bei der gefiederten Großfamilie einkehrte. Während die Passagiere verpflegt wurden, machten sich die Mechaniker über das Triebwerk her. Die ganze Nacht hindurch wurde gearbeitet und erst am frühen Morgen vor Sonnenaufgang konnte die 777 wieder starten.

Etwa 50.000 zweimotorige Flugzeuge überqueren den Nordpazifik pro Jahr. Midway ist also weiterhin unverzichtbar, auch wenn nur alle paar Jahre einmal eine Notlandung stattfindet. Ausführliche Hintergründe und viele zusätzliche Details zu ETOPS stehen im Buch „Strahltriebwerke“ http://www.andreas-fecker.de/books/index.htm

von Andreas Fecker