Luftpost 354: Heldensaga

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Foto: Andreas Fecker

Am 2. Juni 1995 flog USAF Captain Scott O’Grady (29) mit einer F-16 über Bosnien. Er war Teil der Operation DENY FLIGHT. Mit der Flugverbotszone sollten serbische Flugzeuge daran gehindert werden, die bosnische Bevölkerung zu bombardieren. Der Job ist eher langweilig. Man fliegt langgezogene Ovale, Kreise, hält die Höhe und muss zwischendurch mal an den Tanker. Und da man zwischendurch mal etwas trinkt, muss man auch zwischendurch mal urinieren. Wie schwierig sich das mitunter in einem engen Cockpit darstellt, habe ich in Luftpost 178 beschrieben. Im Cockpit einer F-16 kommt noch dazu, dass man nicht sitzt, sondern fast liegt. Während man also den Fünf-Punktgurt lockert, und seinen Reißverschluss öffnet, sucht man den Becher, der den Urin über einen Schlauch nach außen leitet. Bei diesem Gefummel kann man schon mal an den Auslöser des Schleudersitzes kommen … Ob das so passiert ist, oder ob sein Flugzeug in einem solchen Augenblick der geteilten Aufmerksamkeit von einer Rakete getroffen wurde, wird man wohl nie erfahren. Ein Offizier des Flugzeugträgers, zu dem O’Grady nach seiner Rettung gebracht wurde, wird von zwei britischen Piloten in einem Buch zitiert: „Glaubt nicht, was offiziell daraus gemacht wurde! Die Wahrheit ist zu peinlich.“ Ich hatte das Buch gelesen.

Die offizielle Version ist: O’Grady wurde abgeschossen. So findet sich das auch überall im Internet. Fast eine Woche lang versteckte er sich vor den serbischen Suchtrupps, die das Gelände durchkämmten. Seine Handlungen offenbarten ernste Mängel in der Ausbildung. Es begann bereits damit, dass er zu seinem Flug nur ein T-Shirt und seine Pilotenkombi trug. Das passt zwar zum Top-Gun-Image, ist aber kein geeignetes Outfit für eine längere Survival-Situation in den Bergwäldern um Banja Luka. Auch wusste er weder, wie man das Notradio in seinem Survivalpack, noch das GPS bedient. Sonst hätte ihn Combat Rescue noch am selben Tag herausgeholt. Nach tagelangen Versuchen auf Kosten der Batterie fand er schließlich die Funktionen heraus und konnte seine Position an ein AWACS Überwachungsflugzeug durchgeben. Auch sein Verhalten widersprach allen Überlebensgrundsätzen in Feindesland. Zu seiner Rettung wurden vier Hubschrauber von einem Flugzeugträger in Marsch gesetzt, zwei Dutzend Ledernacken sicherten die Extraktion. 40 (!) Erdkampfflugzeuge samt Tankern kreisten einsatzbereit in der Nähe. Bosnische Serben schossen den abfliegenden Helikoptern hinterher, eine Kugel durchschlug das Metall und traf die Trinkflasche O’Gradys, als er sie gerade absetzte.

Wenige Tage später brachte man ihn nach Washington, wo ihn Präsident Clinton im Weißen Haus empfing. Natürlich war das Stoff für ein Buch und einen dramatischen Film. Trotzdem verklagte er 20th Century Fox für verschiedene Darstellungen, die ihn nicht besonders vorteilhaft erscheinen ließen. Auch das Buch der beiden britischen Piloten gibt es inzwischen in einer Neufassung. O’Grady reist derzeit durch die Staaten und vermarktet seine Erlebnisse in Motivationsvorträgen. 2012 wollte er für Texas in den Senat, zog seine Bewerbung jedoch vor der Wahl zurück.

Ohne belastbare Beweise zu haben würde ich normalerweise einen solch peinlichen Verdacht nicht einmal erwähnen. Das änderte sich aber schlagartig, als ich las, dass der amerikanische Noch-Präsident ihn fünf Wochen vor Ende seiner Amtszeit als stellvertretenden Verteidigungsminister nominiert hat. Als Loyalist vertritt o’Grady die Verschwörungstheorien seines Dienstherrn über die angeblich gestohlene Wahl und empfiehlt ihm sogar per Twitter, das Kriegsrecht über die USA zu verhängen, um seinen Nachfolger noch zu verhindern und die demokratische Wahl zu kippen. Loyal und Quarkdenker-tauglich bekamen auch der frühere Verteidigungsminister James Mattis und die üblichen Verdächtigen wie Joe Biden, Hillary Clinton, Bill Gates und George Soros ihr Fett weg. Enough is enough!

AF