Luftpost 178: Überführungsflug

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Nach der Landung – Bildarchiv Andreas Fecker

Einen Einsatz, den Piloten von ein- oder zweisitzigen Kampfflugzeugen überhaupt nicht mögen, sind Überführungsflüge über den Atlantik. Stundenlang geradeaus im engen Cockpit, mit einem Fünf-Punktgurt auf den Schleudersitz geschnallt. Irgendwann drückt die Blase. Allein der Gedanke an ein kühles Getränk führt zu Harndrang. Ein paar physiologische Aspekte kommen noch hinzu:
1. Kampfpiloten sitzen nicht in einer Druckkabine, sondern atmen ein Sauerstoffgemisch, das ihnen mit leichtem Überdruck über einen Schlauch direkt auf die Maske gegeben wird. Das führt regelmäßig zu leichten Blähungen.
2. Die Speisenverwertung findet im Magen-Darm-Trakt statt. Auch dabei entstehen im Körper Gase.
3. In großen Höhen dehnen sich all diese Gase aus. Das kann schmerzhaft werden.
4. Auf dem einzigen „Ventil“, durch das diese Gase entweichen könnten, sitzt man. Überwindet der Überdruck im Körper das Eigengewicht, kommt es zur Erleichterung. Da ist dann aber schon mal „Land bei“, wenn man so sagen darf. Manche Jet-Piloten tragen für solche Flüge Windeln zur Sicherheit. Trotzdem ist diese Art der unfreiwilligen „Verrichtung“ mehr als unangenehm. Man sitzt für den Rest des Fluges darauf und stakt nach der Landung breitbeinig zur Toilette, auch schon mal mit wundem Hintern. Das ist die sprichwörtliche „Kehrseite“ des Top-Gun-Images, in dem die Fighter Piloten gerne gesehen werden. Kein Wunder also, dass man sich im Geschwader nicht gerade um solche Einsätze reißt. Oft lässt man sogar das Los entscheiden!

Dazu kommt, dass es im engen Cockpit auf einem solchen Langstreckenflug fast gar keine Ablenkung gibt, der Autopilot hält Kurs und Höhe, man hat nichts zu tun und kämpft gegen den Sekundenschlaf. Man achtet darauf, dass die beiden Triebwerke durchhalten und sorgt sich darum, dass der Tanker pünktlich zum Rendezvous kommt. Man hofft auf ein turbulenzfreies Luftbetankungsmanöver, um sich nicht außerplanmäßig nach einem Landeplatz umsehen zu müssen. Neufundland, Grönland, Island, Azoren, je nachdem, welche Strecke man gerade fliegt. Denn im Gegensatz zu einem Passagierflugzeug wie dem Airbus A330 kann man ohne Antrieb nicht noch eben 100 Meilen bis auf eine Insel mitten im Atlantik gleiten. Je nach Typ hat ein Fighter die Gleitflugeigenschaften eines Klaviers, das aus dem 16. Stock eines Hochhauses auf die Straße geworfen wird.

Da ist eine B-52 mit acht Triebwerken komfortabler ausgestattet. Colonel Larry B, ein guter Freund von mir, war Commander eines B-52 Geschwaders in Mountain Home, Idaho. An einem langen Abend an der Bar in Sarajevo erzählte er mir von einem Überführungsflug von den USA nach Diego Garcia, jener Insel im Indischen Ozean, die den Amerikanern als Stützpunkt in Südostasien dient. Rechts und links von ihm flog seit Stunden eine Eskorte von zwei F-4 Phantom Kampfjets mit je zwei Triebwerken. Es war ein stinklangweiliger Flug. Die Aufgabe der B-52 Crew beschränkte sich darauf, per Autopilot die Höhe zu halten, ihre Route abzufliegen und ihre acht Triebwerke zu überwachen. Irgendwann beschleunigte die Phantom zu Larrys Linken und drehte eine Rolle. Dann kam es über den Äther: „ROGUE 66 von ESCORT 01, habt ihr gesehen, was ich grade gemacht habe?“ „Ja haben wir. Toll.“ „Könnt Ihr das auch?“ „Klar, können wir das. Aber wir lassen das heute mal.“ Ein paar Minuten später rief Larry den Phantompiloten: „ESCORT 01 von ROGUE 66, hast Du gesehen, was ich grade gemacht habe?“ „Nein, was?“ „Ich habe mal eben drei Triebwerke abgestellt, bin nach hinten zur Toilette gegangen, hab mir aus dem Kühlschrank eine Cola mit Eis geholt. Jetzt sitze ich wieder hier und lege die Füße hoch. Kannst Du das auch?“

Wir mögen’s keinem gerne gönnen, dass er was kann, was wir nicht können, sagte Wilhelm Busch Anfang des letzten Jahrhunderts. Dabei hatte der vom Fliegen ganz sicher noch keine Ahnung.

Von Andreas Fecker