Wo Menschen warten, gibt es einen Markt. Das sieht man besonders an den Schnittstellen des Verkehrs: Auf Bahnhöfen, an Bushaltestellen, bei Autovermietungen und natürlich an Flughäfen. Je weitläufiger und attraktiver die Anlage ist, und je mehr Menschen dort verkehren, desto mehr Geschäfte, Restaurants, und Dienstleistungsunternehmen werden sich dort ansiedeln. Das wissen die Betreiber und verlangen natürlich Kommission. Sie stellen zwar die Infrastruktur zur Verfügung, wollen aber an jedem Euro Umsatz, der dort von den Pächtern eingenommen wird, mitverdienen: Parkhäuser, Taxistände, Blumenläden, Zeitungskiosks, ja sogar Gepäckschließfächer. Da werden Millionen umgesetzt. Als ich wieder einmal über dieses Thema gelesen habe, fiel mir meine eigene Geschichte ein, die ich hier gerne teile.
1972 wollte ich in die USA auswandern. (Damals war Trump noch nicht Präsident! Da lege ich Wert drauf). Während ich auf meine Arbeitserlaubnis wartete, jobbte ich als Cowboy auf einer Ranch in Arizona. Später pflegte ich gegen Kost und Logis ein kränkliches Ehepaar in Tucson. Ich hatte mich bei PanAm Airlines beworben und sollte mich schließlich in Los Angeles zu einem Interview vorstellen. Meine Reisekasse war zu diesem Zeitpunkt auf etwa 20 USD geschrumpft. Anpumpen wollte ich niemanden. Ich trampte also nach Los Angeles und begab mich zum Flughafen. Ich warf mich in Schale und deponierte meine Alltagskleidung mit meiner Reisetasche in einem Schließfach. Im Personalbüro hatte man aber gerade keine Zeit und bestellte mich für den folgenden Morgen ein. Eine ordentliche Unterkunft konnte ich mir nicht leisten, also zog ich mich im Waschraum des Flughafens wieder um, packte meine guten Klamotten in meine Reisetasche, steckte einen Quarter ins Schließfach und schloss meine Tasche ein. Ich war fertig für die erste von mehreren Nächten im Flughafen. Am nächsten Morgen, Schließfach, Waschen, Umziehen im Waschraum, Jeans und T-Shirt in die Reisetasche, Quarter in den Schlitz, Reisetasche einschließen. Mist, mein Pass war noch in der Tasche. Schließfach auf, Pass raus, Quarter in den Schlitz, abschließen.
Im Personalbüro hieß es, Mr. Brooks musste heute überraschend nach San Diego, ich möge doch bitte morgen Abend um 17 Uhr vorbeikommen. Zurück ans Schließfach, Umziehen. Quarter in den Schlitz, abschließen. Für eine Mahlzeit hatte ich längst kein Geld mehr, da ich ahnte, dass das Schließfach vierteldollarweise alles auffressen würde. Und so war es denn auch. Viermal musste ich mich vertrösten lassen, vier Tage und Nächte verbrachte ich auf Airportstühlen zwischen unbequemen Armlehnen, von Mahlzeiten konnte ich nur träumen. Als ich dann nach meiner Vorstellung endlich eine Zusage bekam, vorbehaltlich der Arbeitsgenehmigung, um die sich die Airline kümmern wollte, trampte ich nach San Francisco zu Freunden. Endlich konnte ich wieder einmal essen, duschen, in einem Bett schlafen! Aus der Arbeitsgenehmigung wurde trotzdem nichts, der Vietnamkrieg ging gerade zu Ende, die USA brauchten jeden verfügbaren Job selbst für ihre heimkehrenden Soldaten. So endete denn mein Auswanderungsabenteuer, in das ich so optimistisch wie blauäugig gestartet war.
Das alles verbinde ich mit dem Stichwort „Schließfach“.
Andreas Fecker