Luftpost 299: Konsolidierung der Luftfahrtindustrie

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

Es ist der normale Lauf der Wirtschaft. Die kleinen Firmen können nur gegen die große Konkurrenz überleben, wenn sie sich zusammenschließen. Nirgendwo kann man das so anschaulich belegen wie in der Luftfahrtindustrie. Aber die Ursache dafür war erst einmal eine ganz andere: Der Zweite Weltkrieg stellte einen schmerzhaften Aderlass für die 60 direkt beteiligten Staaten dar. Die zivile Wirtschaft lag weltweit am Boden und musste neu belebt werden. Millionen von Männern waren gefallen, sie fehlten überall in den Fabriken und in den Familien. Städte und Produktionseinrichtungen in Europa lagen in Trümmern. Als sich die Menschen berappelten, stand die Luftfahrtindustrie ganz unten auf der Liste des Wiederaufbaus. Dazu kam, dass die Siegermächte sowohl Deutschland als auch Österreich mit einem Embargo belegten, das anfangs noch nicht einmal Modellfliegerei zuließ. Erst 1955 erhielt Deutschland seine Lufthoheit zurück. Bis dahin waren die Einschränkungen zwar nach und nach gelockert worden, aber die Entwicklung der Passagierflugzeuge war an Deutschland vorbeigegangen. Die neu gegründete Lufthansa musste sich ihre Flugzeuge im Ausland beschaffen und war auf Modelle von Convair, Lockheed oder Vickers angewiesen. Bald wurde die Staatsairline Dauerkunde bei Boeing.

In den USA dominierten die Firmen Boeing, McDonnell Douglas und Lockheed den zivilen Flugzeugmarkt. In den ersten Nachkriegsjahren baute Boeing militärische Flugzeuge zu zivilen um. So wurde zum Beispiel aus dem Bomber B-29 (der Hiroshimabomber Enola Gay stammte aus dieser Baureihe) durch Vergrößerung des Kiels für den zivilen Markt die Boeing 377 Stratocruiser. Aus der C-54 Skymaster wurde die DC-4 und später die DC-6. Ein Welthit, wenn auch ein kurzlebiger, wurde die Convair (1947-1954) mit einer Familie von fortgebauten Flugzeugen von CV-240bis zur CV5800.

Trotz der tragischen Comet Abstürze war die Tür zum Jetzeitalter aufgestoßen. In den USA schafften die Boeing 707 (1958-1979) und die Douglas DC-8 (1958-1972) den Durchbruch auf dem Langstreckenmarkt, Großbritannien steuerte die Vickers VC10 (1962-1970) bei, während sich Frankreich vorerst mit der Mittelstreckenmaschine Caravelle (1958-1972) von Sud Aviation begnügte. In immer kürzeren Abständen tauchten neue Flugzeuge am Markt auf. Die Hawker Siddeley Trident (1962-1978) eröffnete den Markt für dreistrahlige Flugzeuge, Douglas antwortete mit der DC-10 (1968-1988), Lockheed zog mit der L-1011 Tristar (1970-1984) nach, Boeing entwickelte die 727 (1963-1984), Tupolev die Tu-154 (1968-2013), Yakovlev die Yak-42 (1979-2002).

Das mittlere Triebwerk war aber immer ein aufwändiges Geschäft mit der Wartung, Triebwerkswechsel waren umständlich. Erfolgreicher waren die zweimotorigen Mittelstreckenjets wie die DC-9 (1965-2006) und ganz besonders die Boeing 737 (1967-heute). Letztere wurde zum meistgebauten zivilen Nachkriegsflugzeug. Bis heute verließen 10.577 Boeing 737 verschiedener Baureihen die Werkshallen in Everett.

Die British Aircraft Corporation produzierte mit hinreichendem Erfolg die BAC 1-11 (1963-1982), während sie zusammen mit der französischen Aérospatiale mit der Concorde (1962-1979) die Schwelle zum Überschallbereich überschritten. Auch Boeing hatte mit der 2707 einen Supersonic-Jet in der Schublade, ließ aber eiligst davon ab, als Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des schlanken Flugzeugs aufkamen. Einzig Tupolev kam zeitgleich mit einer fast baugleichen Tu-144 auf den Markt. Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Trotzdem flog das franko-britische Prestigeflugzeug bis zu dem tragischen Unfall am 25. Juli 2000.

Boeing landete dann schließlich seinen größten Coup: Den vierstrahligen Jumbo Jet 747 (1968-heute). Er sprengte damals alle Größenmaßstäbe für zivile Passagierflugzeuge. Daneben bot Boeing eine geschlossene Produktpalette an: Die zweistrahlige 767 (1981-heute), die 757 (1981-2004), die 717 (1998-2006), die 777 (1993-heute). Schließlich erschien mit langer Verzögerung und vielen Anlaufschwierigkeiten die Boeing 787 Dreamliner (2011-heute)

Noch vor der Vereinigung mit Boeing versuchte McDonnell Douglas mit der MD-11 (1988-2000) noch einmal ein Comeback eines Dreistrahlers auf dem Markt für Großraumflugzeuge, doch mittlerweile hatte sich ein neuer Player auf dem Flugzeugmarkt breit gemacht: Airbus.

Konsolidierung der Flugzeugindustrie in den USA – Grafik: Fecker

Auf dieser Seite des Atlantiks hatten die Europäer das Airbus Konsortium aufgebaut und mit reichlich Startkapital versehen. In Frankreich gab es die Aérospatiale, in Deutschland die DASA. Die englische Hawker Siddeley und die spanische CASA beteiligten sich an dem Projekt. Der Airbus A300 (1974-2007) feierte seinen Durchbruch in den USA, nachdem der frühere Apollo-Astronaut Frank Borman, mittlerweile Chef der Eastern Airlines, Airbus angeboten hatte, vier A300 zu testen, wenn er sie kostenlos für ein halbes Jahr zur Verfügung gestellt bekäme. Da die A300 bedeutend sparsamer war als die amerikanischen Produkte dieser Größe, konnte Airbus hunderte dieser Maschinen in die USA verkaufen. Die Weiterentwicklung wurde dann die A310 (1982-2007) und die A330 (1992-heute). Mittlerweile bestand auch Bedarf und Vertrauen für ein Konkurrenzprodukt zur Boeing 737: die A320 Familie (1987-heute) mit A318, A319, A320 und A321. Die A340 (1991-2011) sollte der Boeing 747 Konkurrenz machen.

Schließlich wetteiferten Boeing und Airbus um den Superjumbo. Als es sich abzeichnete, dass Airbus mit dem A380 (2005-heute) das Rennen machen würde, stieg Boeing aus, denn der Weltmarkt würde nach ihrer Auffassung nicht genügend Interessenten für zwei Hersteller in dieser Klasse bieten. Stattdessen steckte Boeing seine ganze Energie in die Entwicklung einer neuen Flugzeugtechnologie, der Boeing 787 Dreamliner. Parallel und unspektakulär erfolgte die Modernisierung der 747 auf die Boeing 747-8 (2008-heute).

Längst hatte Boeing die amerikanische Konkurrenz aufgekauft dominierte und könnte nun auch den heimischen Markt dominieren, würden ihr nicht die Europäer im Nacken sitzen, die ihrerseits mit dem A350 (2013-heute) und dem A320neo-Familie (2015-heute) auf den Markt drängten. Für letzteren liegen bereits über 1800 Bestellungen und gut 500 Optionen vor.

Die Fortschritte im zivilen Flugzeugbau wären nicht so groß, würden die Firmen auf beiden Seiten des Atlantiks nicht parallel dazu auch den militärischen Flugzeugbau weiter betreiben. Die Forschungsgelder dafür kommen indirekt auch der Passagierfliegerei zugute.

Konsolidierung der Flugzeugindustrie in Europa – Grafik: Fecker

Tupolev und Iljuschin bedienten vorrangig den sowjetischen/russischen Flugzeugmarkt mit Il-86 (1977-1994), IL-96 (1993-heute) und Tu-204/Tu-214 (1995-heute). In Russland gab es eine ähnliche Konsolidierung von Flugzeugbauern wie in den USA. Die Firmen Tupolev, Iljuschin, Mikojan-Gurewic, Berijew, Yakovlev und Sukhoi wurden 2006 zu den Vereinigten Flugzeugwerken UAC (United Aircraft Corporation) zusammengeschlossen, die Antwort Putins auf die Marktmacht von Boeing und Airbus. (Antonov operiert heute als selbständiges Konstruktionsbüro unter ukrainischer Flagge.) Bis dahin entwickelten die Staatsbetriebe zahlreiche Produktlinien, die sowohl militärisch als auch zivil nutzbar waren.

Während die beiden Mega-Konzerne Boeing und Airbus den Markt für Flugzeuge über 200 Sitze im Großen und Ganzen unter sich ausmachen, haben sich Firmen wie ATR, Bombardier, Embraer und Saab etabliert, um die weltweite Kurzstrecken- und Zubringerflotte zu beschicken. Um diesen Markt bewirbt sich mittlerweile auch Mitsubishi.

Die großen Hersteller haben derzeit ca. 25.000 neue Flugzeuge in ihren Auftragsbüchern. Gleichzeitig macht sich das Bewusstsein über den Klimawandel breit. Plötzlich steht das Flugzeug im Fokus, potentielle Passagiere ändern ihr Umweltverhalten. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.

Andreas Fecker