Luftpost 163: Wright or White?

Werbung
Foto: Bildarchiv Fecker

Die Diskussion ist nicht aus der Welt zu kriegen: Wer war der erste Motorflieger? Die Gebrüder Wilbur und Orville Wright? Oder Gustav Albin Weißkopf? Und wenn Weißkopf doch der erste gewesen sein soll, warum werden dann die Wrights als Väter der Luftfahrt verehrt? What’s wrong?

Es ist noch nicht lange her, da haben wir hundert Jahre Motorflug gefeiert. Und plötzlich melden sich die Bürger vom bayerischen Leutershausen zu Wort, wo ein gewisser Gustav Albin Weißkopf geboren wurde. Der war 1895 in die USA ausgewandert, nannte sich dort Gustave Whitehead und beschäftigte sich fortan mit der Entwicklung von Flugzeugen, unter anderem auch von Motorflugapparaten. Bereits 1899 wird von einem Versuch mit einer Dampfmaschine als Motor berichtet, der allerdings jäh an einer Hauswand endete. Er nummerierte seine verschiedenen höchst abenteuerlichen Konstruktionen durch. Die Nr. 21 (!) bestand aus Bambus und Seide und ähnelte einer Kreuzung aus Vogel und Fledermaus mit so etwas wie einer Badewanne als Kommandostand. Ein 20 PS Motor trieb zwei Propeller an. Sogar das Fahrwerk erhielt einen eigenen Motor, um die Startgeschwindigkeit zu erhöhen.

Aber zu einem erfolgreichen Versuch gehört eben ein Beweis. Zwar berichtet der Bridgeport Herald in seiner Ausgabe vom 18. August 1901 über einen erfolgreichen Motorflug, den Whitehead am 14. August 1901 über eine Strecke von einer halben Meile unternommen hat. Als Augenzeugen werden der Herausgeber der Zeitung, Richard Howell genannt, sowie die beiden Assistenten des Tüftlers. Allerdings gibt es kein Foto von dem Flug, sondern nur eine Zeichnung. Ein Forscher hat zwar 17 Zeugen aufgetrieben, die es unabhängig voneinander gesehen haben wollen, aber die Macht der Bilder ist eben nicht so einfach zu schlagen. Außerdem war Weißkopf gebürtiger Deutscher. Und schließlich hatten die Gebrüder Wright ihr Fluggerät der ehrwürdigen Smithsonian Institution in Washington unter der Auflage gestiftet, dass das Institut kein früheres Flugzeug anerkenne. Das alleine hat natürlich auch ein gewisses „Geschmäckle“.

Ein amerikanischer Physiklehrer versuchte, die Plausibilität der unbewiesenen Weißkopfflüge zu prüfen. Im Jahr 1985 baute er „Nr. 21“ mit Hilfe von Originalzeichnungen nach. Mit diesem Konstrukt, 21B genannt, wurden 20 erfolgreiche Flüge durchgeführt. Mit einem weiteren Nachbau in Deutschland legte man sogar 500 Meter zurück. Allerdings kamen die Motoren von der Stange und waren sicherlich leichter und stärker. Ob nun Weißkopf tatsächlich der erste Motorflieger war, ist mir persönlich egal. Man wird den Kult um die Wright Brothers niemals zurückdrehen können. Außerdem haben sie ja ihre Leistung unabhängig von Weißkopf vollbracht und vor allem dokumentiert. Wen kümmert’s also? Auch die Franzosen erheben den Anspruch, dass ihr Clément Ader schon lange vorher einen Motorflug durchgeführt habe. Deutschland bringt auch noch Karl Jatho ins Spiel, der angeblich vier Monate vor den Wright Brothers vor vier Zeugen zunächst 18 Meter weit in knapp einem Meter Höhe geflogen sein soll. Bei weiteren Versuchen soll er sogar 60 Meter weit in drei Meter Höhe geflogen sein. Ich zweifle, dass man hier jemals die richtige Reihenfolge rekonstruieren kann.

Die Flugpioniere von einst, deren Pioniergeist und Forscherdrang mehr oder weniger uneigennützig war, werden heute gerne von Interessengemeinschaften vereinnahmt, seien es Museen, Städte oder Staaten. Doch wen interessiert das wirklich, wenn er heute in Frankfurt ein Flugzeug besteigt, das er 11 Stunden später in einem anderen Kontinent wieder verlässt? Wen kümmert’s, ob der erste Flieger Jatho oder Wright, Ader oder Weißkopf hieß, geschweige denn in welchem Land er geboren wurde? Sind dies Anzeichen des neuen Nationalismus? Viel größer ist doch die Leistung der einzelnen Pioniere zu bewerten, die unter Einsatz eigener Mittel und oft genug ihres eigenen Lebens Meilensteine in der gemeinsamen Anstrengung gesetzt haben, die Schwerkraft zu überwinden. Ich ziehe vor jedem von ihnen den Hut. Chapeau, meine Herrn.

Von Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 163: Wright or White?”

  1. Rembert Moenikes sagt:

    Das Problem ist, daß der erste Motorflug der Wrights auch nicht fotografisch festgehalten wurde, sondern erst spätere Flüge. Aber grundsätzlich stimmt es, daß alle Pioniere waren, unabhängig voneinander. Die Wrights haben ihre Flüge halt am besten von allen vermarktet.