DLR-Forschungsflugzeug ATTAS geht in den Ruhestand

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Forschungsflugzeug ATTAS – Das Einsatzspektrum von ATTAS (Advanced Technologies Testing Aircraft System) war vielfältig:
Mit seiner Mess- und Versuchsausrüstung wurde das Forschungsflugzeug im DLR für zahlreiche Versuche eingesetzt. Hierzu gehörten zum Beispiel die Erforschung von Flugsicherungsverfahren und lärmarmen Anflügen. Außerdem wurden mit ATTAS Luftverwirbelungen untersucht, die als Folge des an den Tragflächen erzeugten Auftriebs entstehe so genannte Wirbelschleppen. Quelle: DLR (CC-BY 3.0).

Am 27. Juni 2012 endet im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig ein historisches Kapitel deutscher Luftfahrtgeschichte: Das Forschungsflugzeug VFW-614 ATTAS (Advanced Technologies Testing Aircraft System) beendet nach fast 27 Jahren seine Dienstkarriere. Dann wird es kein Flugzeug dieses Typs mehr am Himmel geben. ATTAS hat in seiner Dienstzeit Wirbelschleppen und lärmarme Landeanflüge untersucht, war als fliegender Simulator im Einsatz und hat Flugführungs-Technologien erprobt.

Bevor ATTAS bei der damaligen DFVLR (Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt – heute DLR) am 24. Oktober 1985 seinen Dienst als Forschungsflugzeug antrat, wurde der Jet bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) von 1982 bis 1985 für seinen Forschungseinsatz massiv umgerüstet: Neben einer Messanlage und zusätzlichen Sensoren war besonders das neue Flugsteuerungssystem ein wesentliches Element. Zusätzlich zur vorhandenen mechanischen Flugsteuerung fügten die Ingenieure eine elektronische Steuerung hinzu. Damit konnten die Wissenschaftler wählen, ob sie ATTAS mechanisch oder mit der neuen Fly-By-Wire-Steuerung fliegen wollten. Bei einer Fly-by-Wire-Steuerung, die bei den meisten heutigen Verkehrsflugzeugen Standard ist, wird das Flugzeug nicht über Seile und Stangen, sondern mithilfe von elektrischen Signalen und hydraulischen Stellern gesteuert. Im ATTAS kann der Pilot aber, falls notwendig, blitzschnell auf die mechanische Steuerung zurückschalten. Ein hohes Maß an Sicherheit fliegt so immer mit. Für den Einsatz als fliegender Simulator ist die Nutzung einer Fly-by-Wire-Steuerung unabdingbar.

Flug in Rochenform

ATTAS war ein wahrer Verwandlungskünstler: Als fliegender Simulator (In-Flight-Simulator) konnte er während des Fluges die Flugeigenschaften anderer Flugzeuge simulieren. Die In-Flight-Simulation schließt die Kluft zwischen Simulation am Boden und Wirklichkeit in der Luft. Für die Simulation eines anderen Flugzeugs werden die Einstellungen des Bordcomputers von ATTAS verändert. Das Flugzeug folgt dann als Simulator Bewegungen, die die Bordrechner aufgrund eines mathematischen Modells errechnen. Auf diese Weise können Eigenschaften neuer, noch im Entwicklungsstadium befindlicher Flugzeuge oder Flugregler im Flug realitätsnah getestet werden. 2010 und 2011 simulierte ATTAS einen so genannten Blended Wing Body. Diese Großraumjets ähneln fliegenden Rochen und könnten in Zukunft den Himmel bevölkern. Aus dem 20,8 Tonnen leichten ATTAS wurde während der Simulation ein 700 Tonnen schweres Flugzeug.

Steuerung vom Boden

Auch ohne tatsächlich steuernde Piloten war ATTAS in den Jahren 2002-2004 in der Luft. Das Flugzeug wurde dabei zur Erprobung eines experimentellen Systems für die Steuerung und Führung von so genannten UAVs (Unmanned Aerial Vehicles) genutzt. Ziel war die Erforschung von Techniken und Verfahren zur Führung von unbemannten Luftfahrzeugen im kontrollierten Luftraum. Die Piloten führten hierbei zunächst den Start selbst aus, stellten dann aber im Flug auf die Fernführung um. Ein „Fernführer“ – ein in der Bodenkontrollstation sitzender Pilot – flog dabei vollständig das Flugzeug. Die an Bord befindliche Besatzung hatte nur eine Sicherheitsfunktion für mögliche Fehler des Versuchssystems, ansonsten verhielten sich die Piloten aber passiv.

Einsatz für den Nachwuchs

Doch die Aufgaben des Flugzeugs beschränkten sich nicht nur auf die Forschung, ATTAS kam auch bei der Nachwuchs-Förderung zum Einsatz. Von 2000 bis 2008 diente das Flugzeug als „fliegendes Klassenzimmer“: das DLR bildete mit ihm Flugversuchsingenieurschüler der britischen Testpilotenschule „Empire Test Pilots School“ (ETPS) aus. Kooperationen mit der TU Berlin ermöglichten Studenten, regelmäßig Praktika mit dem Flugzeug zu absolvieren. Dabei mussten die Studenten Flugeigenschaften von ATTAS modifizieren und anschließend auswerten.

Mit einem stolzen Alter von über 30 Jahren und einer erfolgreichen Karriere beim DLR war ATTAS, vor allem wegen seiner exzellenten Wartung, bis heute das letzte noch fliegende Exemplar der VFW-614 – Baureihe. Bei einem Routinecheck wurden Anfang des Jahres Beschädigungen an einem Triebwerk festgestellt. Da das Flugzeug seinerzeit wirtschaftlich nicht erfolgreich war, war die Serienproduktion 1977 eingestellt worden. Ersatzteile für diesen Flugzeugtyp gibt es nicht mehr; der Einbau anderer Triebwerke in ATTAS würde einen immensen Konstruktions-, Erprobungs- und Zulassungsaufwand erfordern, den man – angesichts des Ausfallrisikos anderer ATTAS-Komponenten – besser in die Umrüstung eines vergleichbaren, modernen Flugzeugs investieren sollte. ATTAS geht somit am 27. Juni 2012 in seinen wohnverdienten Ruhestand.

Über das DLR

Das DLR ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt. Seine umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in Luftfahrt, Raumfahrt, Energie und Verkehr sind in nationale und internationale Kooperationen eingebunden. Über die eigene Forschung hinaus ist das DLR als Raumfahrtagentur im Auftrag der Bundesregierung für die Planung und Umsetzung der deutschen Raumfahrtaktivitäten zuständig.

Quelle: PM Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)