Luftpost 44: Verlernen Fluglotsen das Sprechen?

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Foto: Bildarchiv Fecker

Freddy, ein etwas kauziger Starfighter Pilot sagte einmal in den frühen 1980er Jahren – offenbar nicht ganz ernst gemeint: „Ich würde meinen Flugschein dafür hergeben, wenn ich einmal durch diesen Scheiß Tower fliegen dürfte!“ Damit brachte er eine alte Hass-Liebe auf den Punkt. Einerseits ist die Flugsicherung dazu da, den Flugverkehr flüssig und sicher zu gestalten, andererseits ist das auch schon mal mit Verzögerungen verbunden. Einerseits versuchen die Controller Pilotenwünsche zu ermöglichen, andererseits müssen diese manchmal rundweg abgelehnt werden.

Die Gründe dafür erschließen sich den Fliegern in ihrem engen Cockpit nicht immer. Die Kapazität eines Flughafens, eines Pistensystems, eines Luftraums, eines Fluglotsen ist endlich. Innerhalb eines Sektors kann nur ein Lotse verantwortlich sein, und der kann nicht mehr als reden. Mehr und schneller reden ist keine Hilfe, weil sonst Anweisungen untergehen und womöglich zeitraubend wiederholt werden müssen. Mehr Lotsen pro Sektor geht auch nicht, weil sonst der eine nicht weiß, was der andere gerade anordnet. Kleinere Sektoren sind unpraktisch, weil die Piloten sonst den Sektor und die Frequenz schon fast wieder verlassen, bevor sie richtig eingeflogen und identifiziert worden sind. Und schließlich ist kein Mensch ohne Fehler.

Deshalb träumen Flugsicherungsingenieure und Programmierer schon lange von Systemen, die die Kapazität erhöhen, die Sicherheit verbessern, die Fluglotsen entlasten und den Luftraum besser ausnutzen. Satellitengestützt sollen sie sein; die Computer am Boden, im All und in den Flugzeugen sollen miteinander kommunizieren. Was beim Kollisionswarnsystem TCAS bereits funktioniert, soll verfeinert werden. Piloten sollen ein Luftlagebild ihrer Umgebung ins Cockpit geliefert bekommen. Fluglotsen erhalten ein optimiertes Bild angezeigt, sie werden bereits eine Viertelstunde vorher informiert, welche Flugfläche für welches Flugzeug idealer wäre. Per Mausklick wird der Vorschlag des Rechnerverbundes bestätigt, der Pilot erhält einen Ping, die neue Flugfläche wird im Cockpit angezeigt, er reagiert durch Knopfdruck auf ein gelbes Blinklicht, das Flugzeug steigt auf die angegebene Flugfläche, der Knopf wird grün, wenn er sie erreicht hat, auf dem Bildschirm des Fluglotsen passiert entsprechendes. Für diese Aktion wurde kein Wort zwischen Cockpit und Flugsicherung gewechselt.

Systeme wie diese gibt es bereits über dem Nordatlantik. Dort wird es von allen Beteiligten begrüßt, erspart es doch den Crews in modernen Flugzeugen das anstrengende Hineinhören in den HF-Funk. Die große Verführung liegt in der Ausbaufähigkeit der Automatisierung. Computer errechnen freie Räume, optimieren Flugprofile, verhindern frühzeitig Konflikte und führen die Flugzeuge spritsparend auf direktestem Weg von Start zu Landung. Damit lässt sich der Luftraum besser nutzen, die Kapazität erweitern, Zeitfenster enger planen und flexibler zuweisen. Die Fluglotsen sind dann in der Planung der Techniker nur noch Bediener, Überwacher von grünen Lämpchen. Konfliktlösungen werden vom Computer übernommen, die Sprache wird durch elektronischen Austausch zwischen Bodenstation, Satellit und Flugzeug ersetzt. Aber Techniker haben noch nie ein Flugzeug kontrolliert. Der Sechste Sinn des Lotsen, das Heraushören von Untertönen in der Stimme der Piloten, wie sie bei kritischen Situationen im Cockpit üblich sind, Entscheidungsfreiheiten wie Speed Adjustment, Shortcuts oder Delay-Turns sind nicht mehr gefragt. Und dann werden wir eines Tages Zeuge, wie Murphy’s Law zurückschlägt. Es ist Feiertagsverkehr, eine A380 (die Nummer 12 zur Landung) muss wegen eines akuten Herzinfarkts nach vorne genommen werden, der Computer verweigert es, der Käpten erklärt Luftnotlage, das Programm versteht die Situation nicht, hängt sich auf, andere Computer werden angesteckt, der Hauptrechner fällt aus. Blue Screen. Wer war doch gleich wo?

‚Houston, we have a problem‘. Plötzlich erinnern sich die Techniker an den Menschen aus Fleisch und Blut. Der soll es dann richten, schließlich hat er das einst gelernt. Natürlich gibt es Notfallpläne. Hier wird es Karlsruhe sein, oder Maastricht, oder Brüssel, oder München. Als hätten die alle nichts zu tun. Wir reden hier nicht von voll besetzten Omnibussen, die mal eben auf offener Strecke anhalten können. Wir reden von vollbesetzten Flugzeugen, die mit 300-1000 km/h unterwegs sind und fliegen müssen, um nicht herunterzufallen. Aber wir haben es dann mit Fluglotsen zu tun, denen man die Sprache abgewöhnt hat, die man täglich mit synthetisch durchgerechneten Lösungen konfrontiert, und denen man das vorausschauende Denken abgewöhnt hat. Gleichzeitig hat man ihnen den Luftraum vollgeknallt und erwartet nun von ihnen, eine Krisensituation jenseits menschlichen Merkvermögens zu meistern.

Schwarzmalerei? 
- 2004 brach das gesamte Radio und Telefonsystem der Flugsicherung in Südkalifornien ohne Vorwarnung zusammen. Ein Server hatte sich verabschiedet und die gesamte Kommunikation lahm gelegt. Die konsternierten Lotsen riefen über ihre Mobiltelefone Freunde und Bekannte aus anderen Zentralen und Kontrolltürmen an und diktierten ihnen Kontrollanweisungen für mindestens 800 Flugzeuge in ihrem Kontrollbereich. 
- 2006 musste das Center in Anchorage wegen eines Virus abgeschaltet werden. 
- Im September 2007 gab es eine ‘Kernschmelze’ in Memphis, Tennessee, als Radar, Telefon und Funk zusammenbrachen. Der betroffene Luftraum erstreckte sich über sieben Staaten. Und wieder einmal war man auf die privaten Mobiltelefone der Controller angewiesen, die mittlerweile die Nummern der benachbarten Kontrollzentralen schon eingespeichert haben. 
- Im November 2009 brachen zwei Datenserver in Salt Lake City und in Atlanta während der Rush Hour für vier Stunden zusammen. Es hatte Auswirkungen auf das gesamte System. Flugplandaten wurden in dieser Zeit per Email und Fax ausgetauscht.

Die Ursachen stellten sich als banale Fehler heraus, „die gar nicht hätten passieren dürfen“, so die jeweiligen Pressesprecher. Nun ist die Hardware in den USA im Schnitt über 25 Jahre alt, nicht zu vergleichen mit unseren Systemen. Die DFS hat ihr eigenes Forschungszentrum und ganz sicher exzellente Techniker. Derzeit wird in Langen ein neuer Kontrollraum in Betrieb genommen. Die typischen Papierstreifen, die früher alle vitalen Daten der kontrollierten Flugzeuge trugen, werden durch elektronische Streifen ersetzt. Sie sind mit dem Radar und dem Rechner verbunden, und sie sind stets aktuell. Das erleichtert die Arbeit. Statt zu schreiben, bedient man mit der Maus und der Tastatur ein Menü. Vielleicht bin ich ja zu alt und neige deshalb zu einem konservativen Approach. Denn der alte Kontrollstreifen hat einen entscheidenden Vorteil, er kann nicht ausfallen. Hier erleben wir einen weiteren kleinen Schritt in Richtung Maschine.

Daher mein Anliegen: Überlastet unsere Fluglotsen nicht, lasst Luft für Notfälle, haltet genügend Personal vor, schult es regelmäßig für Contingency Operations, seht zu, dass es eine homogene, zufriedene Truppe ist, die hinter der Firma steht und haltet ihnen – verdammt nochmal – den Rücken frei, wenn sie sich einmal für rechts herum entschieden haben, wo links herum vielleicht richtiger, weil leiser gewesen wäre.

Übrigens, der liebe Freddy wurde seinen Flugschein bald danach doch noch los. Er flog zwar nicht durch einen Tower, aber durch eine Hochspannungsleitung, worauf in Landau/Pfalz die Lichter ausgingen. Ein Jahr lang flog er daraufhin einen Schreibtisch.

Selbstkritische Anmerkung. „Verlernen Piloten das Fliegen?“ „Verlernen Controller das Sprechen?“ Zwei fortschrittskritische Luftpost-Artikel hintereinander! Denke ich zu rückwärts gewandt? Zu konservativ? Zu sicherheitsbewusst? Bin ich übervorsichtig? Habe ich den Zug in die Zukunft verpasst? Vielleicht ist von allem etwas dabei. Sollte ich diese Fragen gar nicht erst aufwerfen? Ich wünsche mir sehr, dass ich Unrecht habe.

von Andreas Fecker

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Eine Antwort zu “Luftpost 44: Verlernen Fluglotsen das Sprechen?”

  1. P.H. sagt:

    Danke!