Luftpost 248: Fliegende Autos

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Karl Seiler

Feuchter Traum vieler Autofahrer im Stau: Jetzt die Flügel ausfahren und über die Blechlawine dem Ziel entgegenfliegen. Der pensionierte Lehrer Karl Seiler hat sich als freier Motor-, Reise- und Luftfahrt-Journalist dieses Themas angenommen und schrieb für uns einen Gastbeitrag über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aeromobiler Straßenfahrzeuge beim Fliegertreffen in Oshkosh.

Alljährlich ist die EAA Air Venture in Oshkosh das größte Fliegertreffen der Welt. Heuer gab es dort gleich drei fliegende Automobile zu sehen: Im Museum der Experimental Aircraft Association steht ein Aerocar I als erstes in den USA für die Straße zugelassenes Flugzeug, Terrafugia präsentierte die serienreife Version seines Faltflüglers Transition und die dreirädrige Studie Samson Switchblade mit Schwenkflügeln nennt sein Erbauer-Team lieber „fliegender Sportwagen“.

Frei stehende Räder und runder Bug mit integrierten Scheinwerfern kombinierten beim Aerocar schon Automobil- und Flugzeug-Elemente – Foto Seiler

Chancen für fliegende Automobile eröffnen in den Vereinigten Staaten – im Gegensatz zu Europa oder China, wo man eher an senkrecht startenden, elektrisch angetriebenen und autonom fliegenden Passagier-Drohnen wie dem Volocopter 2X von e-volo im badischen Bruchsal oder dem für Dubai als Lufttaxi geplanten Ehang 184 arbeitet – die Weite des Landes mit über 9.000 Flugplätzen für Kleinflugzeuge ebenso, wie die ungebrochene Begeisterung für die Luft- und Raumfahrt: Mehr als 600.000 Flug-Enthusiasten kamen heuer nicht zuletzt mit 10.000 Privatmaschinen und noch mehr Reisemobilen nach Oshkosh in Wisconsin, etwa 250 Kilometer nördlich von Chicago, in der Nähe der kanadischen Grenze und des Lake Michigan am Winnebago-See gelegen.

Der Traum vom fliegenden Auto ist zumindest halb so alt wie die Motorfliegerei selbst und wurde in Kino-Klassikern wie „Blade Runner“, „Das fünfte Element“, „Metropolis“ oder der „Star Wars“-Reihe fast schon realistisch dargestellt. Ob eher selbstfahrende Autos über verstopfte Straßen rollen oder gestresste Geschäftsreisende mit autonomen Taxi-Drohen darüber hinwegfliegen, ist weiterhin offen. Zumindest in den nächsten zehn Jahren dürfte es in Deutschland keine neuen „Luftstraßen“ und wohl auch – über die bestehenden 550 Flugplätze hinaus – keine neuen Landeplätze geben.

Zum bewährten Lycoming-Flugmotor im Heck des Aerocar I kommen die Anschlüsse für die Tragflächen und die Kupplung für die Druckschraube am Schwanzende. – Foto Seiler

Nur fünf Exemplare des Aerocar I wurden in den 1950er Jahren gebaut. Der im EAA-Museum ausgestellte Prototyp wurde 1991 in Texas wieder flugfähig gemacht. Das Auto-Teil ist ein vierrädriger Kleinwagen mit nur 540 Kilogramm Leergewicht und 185 Kilogramm Nutzlast, der 1956 alle gültigen Vorschriften für US-Automobile erfüllte. Im Heck des Zweisitzers ist ein luftgekühlter Vierzylinder-Boxer-Flugmotor Lycoming O-290 mit 125 PS/93 kW montiert, der die Vorderräder antreibt.

Für den Flugbetrieb als Hochdecker wurden die entweder am Flugplatz deponierten oder als Anhänger mitgeführten Aluminium-Tragflächen mit 10,3 Meter Spannweite ausgeklappt und das V-förmige Leitwerk angekuppelt. Der am Heck montierte Zweiblatt-Hartzell-Druckpropeller wurde dann über eine patentierte Flexdyne-Kupplung schwingungsarm angetrieben. So waren 160 km/h Höchstgeschwindigkeit, etwa 110 km/h Reise-Tempo und maximal 4.000 Meter Flughöhe möglich.

Für den Übergang („Transition“) vom Flugzeug zum Auto werden bei Terrafugia die Tragflächen geknickt und nach oben geklappt. – Foto Seiler
Zwei Leitwerke mit Seitenrudern und dazwischen das wagenbreite Höhenruder prägen das Heck des vierrädrigen Terrafugia Transition. – Foto Seiler

Auch der Transition von Terrafugia – das Unternehmen gehört inzwischen , wie Volvo, zum chinesischen Mischkonzern Geely – sollte kein weiteres flugfähiges Automobil, sondern ein „roadable aircraft“ werden und mit der günstigen LSA-Lizenz für leichte Sportflugzeuge geflogen werden können. Deren Gewichtslimit von 600 Kilogramm konnte wegen der heute vorgeschriebenen, sicherheitstechnischen Ausstattungen zwar 2009 beim Erstflug nicht eingehalten werden, nach jüngsten Überarbeitungen soll aber doch nächstes Jahr die Serienproduktion des Transition starten – obwohl die für Januar 2019 von der Federal Aviation Administration FAA in Aussicht gestellte Anhebung dieses Limits um 1.000 Kilogramm auf 3.600 lbs vorerst verschoben ist.

Das Heck des Terrafugia Transition – Foto Seiler

Der in der Auto-Konfiguration 5,71 Meter lange, über zwei Meter breite und 2,06 Meter hohe Transition wird als Zweisitzer von einem 76 kW/104 PS starken Rotax 912S in Verbindung mit einem Hybrid-System elektrisch über die Hinterräder angetrieben und ist mit 105 km/h Höchstgeschwindigkeit Autobahn-tauglich. Werden die Tragflächen ausgefaltet, beträgt die Spannweite 8,38 Meter. Die Maschine mit feststehendem Doppel-Leitwerk fliegt nach 500 Meter Startstrecke bis zu 185 km/h schnell und fast 700 Kilometer weit. Statt der ursprünglich avisierten 279.000 US-Dollar wird das Serienmodell aber etwa 450.000 $ kosten.

Für die Straßenfahrt werden die Tragflächen des Samson Switchblade nach vorne in die Karosserie geschwenkt und das Leitwerk hinter die Druckschraube gezogen. – Foto Seiler

Deutlich preisgünstiger soll der Switchblade sein: 120.000 $ werden für den Sichtflug- oder 136.000 $ für den Instrumentenflug-Bausatz genannt und für 20.000 $ gibt es Unterstützung beim Bau durch Samson. Vor dem für 2019 geplanten Erstflug werden schon 257 km/h Reise- und 305 km/h Höchstgeschwindigkeit sowie 720 Kilometer Reichweite versprochen. Der flüssigkeitsgekühlte V4-Turbo-Benziner leistet 143 PS/105 kW und treibt den fünfblättrigen Druckpropeller  über ein Untersetzungsgetriebe an.

Zukunftsmusik ist noch – zumindest für ein Jahr – die Computer-Simulation eines fliegenden Samson Switchblade. – Archiv Seiler

Sind das klappbare Leitwerk eingezogen und die nach vorn schwenkbaren Tragflächen unter der langnasigen Karosserie geschützt verstaut, ist der Switchblade ein zweisitziges Trike. Mit mechanischem Antrieb der Hinterräder sollen die Beschleunigung von 0 auf 60 km/h in 6,5 Sekunden und 201 km/h Spitze möglich sein. Beim Slalom-Test nach Parametern von Road & Track schlug sich das Dreirad mit seinem extrem langen Radstand hervorragend. Diese beachtlichen Fahr- und Flugleistungen brachten Samson bis zur Air Venture schon 656 Reservierungen aus 17 Ländern ein.

Text und Fotos: Karl Seiler