Luftpost 199: Das PR-Desaster

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Foto: Bildarchiv Fecker

United Airlines hat mal wieder ein Problem. Der Flug von Chicago nach Louisville, Kentucky, am 09.4.2017 war bis auf den letzten Platz ausgebucht. Er war nicht überbucht, wie gestern bekannt wurde. Aber auch das ist Alltag im Airlinegeschäft. Es gibt immer Passagiere, die nicht rechtzeitig am Flughafen sind, oder die aus anderen Gründen ihren Flug nicht antreten können oder wollen, sogenannte No-Shows. Die Nachfrage ist da, und statt Passagiere zurückzuweisen und leere Sitze umherzufliegen, geht man das Risiko ein, mehr Sitze zu verkaufen, als man tatsächlich frei hat. Tritt dann der Fall ein, dass jemand zurückbleiben muss, wird er entschädigt. Nicht nur, dass er mit dem nächsten Flug, gegebenenfalls über einen Umweg oder mit einer anderen Airline an sein Ziel geflogen wird, er bekommt auch Geld auf die Hand bis maximal 1350 USD, oft ist ein Upgrade drin, ein Reisegutschein, und falls eine Übernachtung notwendig ist, wird auch das bezahlt samt Taxi zum Hotel.

Im vorliegenden Fall musste in letzter Minute eine vierköpfige United Flight Crew nach Louisville geflogen werden, die dort eine Maschine übernehmen sollte. Doch es fanden sich keine vier Passagiere bereit, seinen Platz freiwillig gegen eine Zahlung von je 800 Dollar zu räumen. Ein Ärzteehepaar mit chinesischen Wurzeln meldete sich, lehnte aber ab, als sie erfuhren, dass sie erst am Folgetag zur selben Zeit fliegen könnten. ‚Ich bin Arzt, auf mich warten morgen früh in Louisville Patienten.‘ Doch der Gate Agent war entschlossen, das jetzt durchzuziehen und rief die Polizei. Die kamen zu dritt und zerrten den Mann mit Gewalt aus dem Mittelsitz. Blutend schleiften sie ihn über den Boden aus dem Flugzeug. Passagiere schimpften, Kinder weinten und natürlich landeten Videos davon im weltweiten Netz. Der United CEO schiebt die Schuld auf die rabiaten Polizisten, gibt sich aber auch einsichtig, dass man die Angelegenheit eleganter und einfühlsamer hätte lösen müssen. Auch kann man fragen, warum die Airline nicht bis zur Höchstsumme von 1350 USD gegangen ist.

Der Arzt fühlt sich wegen seiner asiatischen Herkunft diskriminiert. In nur drei Tagen löste der Skandal in China allein 100 Millionen Tweets aus: ‚Diese rassistische Airline müsse sich um volle Flugzeuge keine Sorgen mehr machen. Man werde sie großflächig boykottieren!‘ United fliegt in China die Mega-Städte Peking, Shanghai, Chengdu, Hangzhou und Xian an, und dort leben allein 50 Millionen Chinesen! In den USA beherrscht der Zwischenfall alle sozialen Medien und die Late-Night-Shows. Satiriker laufen zur Höchstform auf. Der Börsenwert sackte vorübergehend um 1 Milliarde USD ab. Die drei rabiaten Polizisten wurden inzwischen beurlaubt. United kündigte an, alle Passagiere für das dreistündige Chaos zu entschädigen. Dr. Dao hat bereits zwei Anwaltskanzleien aus Chicago engagiert. Eine ist spezialisiert auf Körperverletzung, die andere auf Unternehmensrecht. Inzwischen wurde auch bekannt, dass Dao eine Gehirnerschütterung erlitt, sowie eine gebrochene Nase und zwei ausgeschlagenen Zähne davontrug. Alles läuft derzeit auf eine Millionenklage hinaus.

Dabei ist die Rechtslage unstrittig. Mit dem Kauf eines Tickets akzeptiert man die Beförderungsbedingungen. Und darin behalten sich alle Airlines der Welt vor, dass sie jederzeit darauf bestehen können, einen Platz anderweitig zu besetzen, aus welchem Grund auch immer. Ein Passagier hat der Aufforderung des Personals unverzüglich Folge zu leisten, auch wenn er das nicht einsieht. Er kann sich anschließend beschweren oder die Airline gar verklagen, nur sitzen bleiben darf er nicht. Denn hier hat die Airline sogar nationales Luftrecht auf ihrer Seite. Manche Fluggesellschaften halten für solche Fälle eine vertrauliche Kick-off-Liste bereit. Das ist eine Negativliste mit einer Reihenfolge von Passagieren, mit deren Nichtbeförderung man den geringsten Schaden anrichtet. Ganz oben stehen darin die ‚Null-Paxe‘. Das sind Passagiere, die für den Flug gar nichts bezahlt haben, Gewinner von Preisausschreiben zum Beispiel. Dann folgen die verbilligten Tickets. Auch Airline-Mitarbeiter oder deren Angehörige mit Standby-Tickets, die nichts, wenig und nur einen Bruchteil des Reisepreises bezahlt haben, stehen da sehr weit oben. Es folgen die Sonderangebote vor den vollzahlenden Alleinreisenden, die keinen Anschlussflug haben. Ungefährdet weit unten auf der Liste stehen Vielflieger mit Silber-, Gold-, oder Platin-Status, alleinreisende Kinder und Behinderte. Business und First-Class Passagiere wird es eher selten treffen, wenn nicht gerade ein Scheich die ganze erste Klasse für seinen Harem gekauft hat. Und das ist noch nicht einmal ein Witz!

So abstrakt, wie sich das alles liest, ist es gar nicht. Auch in Deutschland bittet die Bahn gelegentlich die Polizei, Fahrgäste aus überfüllten ICE-Zügen zu entfernen, obwohl jeder von ihnen einen gültigen Fahrschein hat. Schlechtes Wetter, Pilotenstreik, Messe, Vulkanasche, Ferienbeginn, defekte Waggons, und schon kommt zum Tragen, dass der Bahn immer noch ein Dutzend ICE-Züge fehlen und Passagiere trotz gebuchtem Sitzplatz von Frankfurt bis München stehen.

Dave Carroll brachte United Airlines mit Humor und Kreativität zumindest für eine Weile wieder auf den richtigen Weg – Foto: Carroll

Nun muss also die altehrwürdige United schon wieder ein PR-Desaster ausbaden wie 2009, als eine kanadische Country Band mit ihr von Halifax nach Nebraska flog. Bei der Ankunft in Omaha war der Hals einer 3500 US$ teuren Gitarre abgebrochen. Neun Monate lang versuchte Bandleader Dave Carroll, die 1200 $ für die Reparatur erstattet zu bekommen. Er wurde an immer neue Stellen weiterverwiesen, zum Schluss sogar an ein Call-Center in Neu-Delhi. In einem letzten Schreiben von der Airline erhielt er dann eine barsche Abfuhr. Die Montrealer Konvention lege eine Höchstgrenze von 1000 Dollar Entschädigung pro Person fest. Dave wollte sich mit dieser Art Kundenservice nicht zufriedengeben.

Statt die Airline zu verklagen kündigte er eine kreative Antwort an: Er würde drei Songs über diese Geschichte schreiben und sie als Videos kostenlos zum Download anbieten. Die Kundenbetreuung der Airline gab sich unbeeindruckt. Das änderte sich schlagartig, als das erste Video mit dem Titel „United breaks guitars“ erschien, gefolgt von den anderen Titeln und CNN darüber berichtete. Die Songs verzeichneten Aufrufe in zweistelliger Millionenhöhe. Alle TV- und Radiosender in Nordamerika berichteten darüber und spielten die schmissigen Songs rauf und runter, die Videos gingen um die ganze Welt. Bei United Airlines hagelte es Stornierungen bei Kurz- und Langstreckenflügen. Der Aktienkurs brach ein. Laut BBC kostete das die Airline etwa 180 Millionen USD! Gewinner waren Dave Carroll and the Sons of Maxwell, deren Alben durch die Decke gingen. Der Fall wurde in wenigen Tagen zum Lehrstück in Marketing und Customer Service Kursen. Und das Lehrstück wird für immer mit United Airlines verknüpft sein. Die Fluggesellschaft überwies schließlich doch noch 3000 USD, die der Sänger einer Musikakademie zukommen ließ.

Derzeit steht der Download-Zähler bei 17 Millionen. Dave Carroll schrieb ein Buch darüber, macht Schulungen in Kundenservice und tritt als Redner auf. Er fliegt durch ganz Amerika zu Vorträgen bei Firmen, die ihren Kundenservice verbessern wollen. Auf einem dieser Flüge ging sein Gepäck verloren. Das passiert Vielfliegern schon mal. Ironischerweise war das allerdings bei United Airlines. Honi soit qui mal y pense!

Von Andreas Fecker

Thanks, Dave, for letting me illustrate this story again.

Eine Antwort zu “Luftpost 199: Das PR-Desaster”

  1. Sascha sagt:

    Moin Andy,
    danke für diese Erkenntnis, so habe ich es nicht betrachtet und erahnt! Ich dachte stets, mit dem Kauf eines Tickets hätte ich auch ein Beförderungsrecht wie angegeben! Dieser Fall wirkt auf mich eh skurril . Es war doch mehr dahinter, danke für die Aufklärung, nur, UA werde ich eher meiden, liegt aber auch an meinen beiden einzigen Flüge, die ich einst mit selbiger getätigt habe.
    Frohe Ostern, Aoi & Sascha