Luftpost 181: Talkdown

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Andreas Fecker Foto: Archiv Fecker

Nicht alle Flugzeuge sind mit einem ILS-Empfänger ausgerüstet. Besonders Militärmaschinen werden deshalb mit einem Präzisionsradar von Ground Controlled Approach (GCA) bis zur Landung heruntergesprochen. Der Pilot vertraut dabei blind auf die Stimme in seinem Kopfhörer und steuert die Maschine mit über 300 km/h durch Wolken, Regen oder Nebel auf die schmale Piste, bis der Satz kommt: „Touch down NOW“. Für den Piloten im Cockpit ist das ein Gefühl, als müsse er einen Porsche mit verbundenen Augen nach genauen Steueranweisung und Feinstkorrekturen seines Beifahrers mit Höchstgeschwindigkeit über die Autobahn jagen, und dabei gelegentlich andere Fahrzeuge überholen.

Der Flugplatz Büchel in der Eifel liegt kurz hinter einem tiefen Tal, das ein eigenes Wetterverhalten hat. An manchen Tagen pfeift der Wind von West nach Ost, manchmal von Ost nach West, und manchmal ist es windstill. Es ist wie im richtigen Leben, aber garantiert nicht so wie auf der Windanzeige für die Piste abzulesen. Man muss sich daher den idealen Landekurs stets erfliegen. Mal ist er 210°, mal 204°, mal 218°. Merkt man das zu spät, bläst es die Maschine vom Endanflug, die Landung muss abgebrochen werden. Die nächste Maschine bringt man dann absichtlich vom Kurs weg, damit sie der Wind bis zum Aufsetzpunkt wieder auf die Ideallinie treiben sollte. Hoffentlich. Denn plötzlich setzt der Wind auch schon mal aus.

Als ein junger Controller, der sonst stets gute Anflüge produzierte, eines Morgens seinen vierten Anflug in Folge bei durchwachsenem Wetter ‚in den Sand gesetzt‘ hatte, rief ein Starfighterpilot herein und erklärte Luftnotlage. Er konnte keine Klappen fahren. Das hieß, die Steuerflächen, die den Auftrieb bei langsameren Geschwindigkeiten vergrößern sollten, standen nicht zur Verfügung. Die Maschine würde mit 360 km/h den Endanflug herunter brettern und eine No-Flap-Landing versuchen. Der Einsatzleiter der Piloten rief im Radarraum an und verlangte, den Wachleiter zu sprechen. »Setzt Euren besten Mann da hin. Der Pilot hat nur diese eine Chance!« Der Wachleiter trat hinter den jungen Controller und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Bleib ganz ruhig. Du machst das. Ehe jetzt einer von uns mit den Steuerkursen experimentiert, fährst Du das Ding nach Hause.«

Der junge Mann atmete tief und ruhig. Er hatte nur noch wenige Sekunden um zu rekapitulieren, bevor der Pilot auf seine Frequenz kam: Vorher waren vier Grad Aufschlag nach rechts in den Wind zu wenig. Es hätte wohl sieben bedurft. Der Starfighter hat ein kleines Profil, und diesmal war er auch noch schneller als sonst. Bei der erhöhten Geschwindigkeit würde er dem Wind noch weniger Angriffsfläche bieten. Also versuchte er es mit zwei bis drei Grad Vorhalte. Außerdem musste die Maschine flacher als sonst geführt werden, also absichtlich unter dem Gleitpfad. Bei sechs Meilen war er bang-on, genau auf der Mittellinie, unterhalb des Gleitpfades. Jetzt musste er ihn von diesem Idealkurs wegbringen, in den zu erwartenden Wind. Sachte gab er ihm zwei Grad nach rechts. Und – gefühlsmäßig – noch mal ein Grad. Der Wind verhielt sich wie erwartet, und trieb das Flugzeug wieder zurück auf den Idealkurs. Bei einer Meile nahm er die Vorhalte wieder zurück, um das Flugzeug mit der Landebahn auszurichten. Bei einer halben Meile hatte der Pilot die Bahn in Sicht und übernahm selbst. Die High Speed Landung endete mit einem Hakenfang am langen Ende der Bahn.

Dieser Talkdown dauerte vielleicht zwei Minuten. Gesteuert von Fingerspitzengefühl, Erfahrung und Intuition verlief er völlig unaufgeregt. Trotzdem war es ein Ereignis, von dem der junge Controller noch viele Jahre zehrte. Das erlebte Vertrauen des Wachleiters, die Radartechnik, das Wetter, das havarierte Flugzeug und die erlernten Fertigkeiten in einer schwierigen Notsituation in Einklang gebracht zu haben, war Belohnung für sich. Vertrauen ist etwas Großartiges, sowohl für den, der es erfährt, als auch für den, der es schenkt. Vertrauen verbindet, belohnt und bestätigt. Vertrauen ist auch gelebte Verantwortung. Wer es erfährt, ist in der Pflicht, denjenigen, der es schenkt zu schützen und das Vertrauen nicht zu enttäuschen. Geht etwas schief, steht nämlich der Andere dafür gerade.

Jetzt bleibt mir nur noch, „Fritze“ Schmitz an dieser Stelle nochmal ausdrücklich für das Vertrauen, das er mir damals geschenkt hat, zu danken! Es war eine scheinbar unbedeutende Episode, aber sie hat mich geprägt.

Von Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 181: Talkdown”

  1. Sierra-Charlie sagt:

    Lieber Andy,
    ich hätte nicht gedacht, dass diese Situation so tiefe Spuren hinterlassen hat. Dabei ist es doch nur die alte Weisheit, die uns der alte KILOMIKE beigebracht hat: „Von hinten reingrätschen in eine Situation geht selten gut!“ Das gilt bestimmt auch heute noch.

    Aber zur Sache; wir haben in diesen Jahren sehr oft Anflüge erlebt, bei denen mir heute noch die Haare zu Berge stehen. Die Piloten hatten ja selbst nur sehr wenig Möglichkeiten, die Position im Anflug zu bestimmen und jeder Fehlanflug trieb den Stress hoch. Da war wirklich das Vertrauen im Spiel, das beim gemeinsamen Bier mit den Piloten entstanden war. Wie oft sagte da ein Freddy Eich bei Color State Red: „Get me a bit lower and keep talking.“

    Lieber Andy, schreib weiter deine Kolumne, ich freue mich jede Woche neu darauf und werde mir auch dein neues Buch dazu kaufen.
    Fritz