Luftpost 102: Cumulonimbus

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Andreas Fecker im Starfighter – Foto: Bildarchiv Fecker

Wenn man in einem Flugzeug sitzt und in ein Gewitter einfliegt, macht man sich keine Vorstellungen, was jenseits der Cockpitscheiben für Kräfte auftreten. Ein amerikanischer Marinepilot lernte die Kräfte in einer Cumulonimbuswolke leidvoll kennen und hat es uns erzählt.

„Mein ganzer Körper hat geschlottert. Jeder Knochen wurde geschüttelt, ich wurde hinauf gerissen, höher und höher und es nahm kein Ende. Dann ging es wieder hinunter in eine wütende See voller kochender Wolken, schwarz, grau, weiß, die übereinander hinwegquollen und sich gegenseitig verschlangen. Gleichzeitig war es faszinierend, diese Gefahr zu durchleben, die ich bisher gar nicht für möglich gehalten hätte. Der Donner dröhnt in deiner Brust, die Blitze elektrisieren deinen durchnässten Körper, dein Herz vergisst zu schlagen, du hast das Gefühl verschlungen zu werden. Wer steht nicht da und zählt die Sekunden zwischen Blitz und Donner um zu errechnen, wie nahe das Gewitterzentrum ist? Es ist nichts, gar nichts verglichen damit, mittendrin zu sein, wenn sich Blitz und Donner gleichzeitig entladen, wenn du von den Luftmassen wie in einer Achterbahn hinaufgerissen wirst, hunderte von Metern pro Minute. Dann stürzt du wieder senkrecht nach unten, du überschlägst dich, deine Organe drohen zu platzen, dein Fallschirmgeschirr droht dich zu erwürgen.“

Oberstleutnant William Rankin erzählt vom Terror eines Fallschirmausstiegs im Gewitter. Die Geschichte passierte schon 1959. Das Triebwerk seines Überschalljets setzte in 47.000 Fuß aus und ließ sich nicht mehr starten. Beim Ausschuss war Rankin gleichzeitig von einem explosionsartigen Druckabfall und einem Temperatursturz von +20°Celsius nach -56°C getroffen worden. Sekundenschnell setzten Erfrierungen ein. Während er zur Erde stürzte, kämpfte er gegen die Ohnmacht. Er wusste nicht, dass gleich ein 40-minütiger Kampf auf Leben und Tod auf ihn warten würde. Ranking konzentrierte sich darauf zu überleben, bis er nach zwölftausend Metern freiem Fall auf dreitausend Meter wieder ohne seine umgeschnallte Notsauerstoffflasche atmen konnte. Dort würde sich auch automatisch sein Fallschirm öffnen, dann würde das Schlimmste vorbei sein. Während er mit 10.000 Fuß pro Minute zur Erde fiel, hatte er das Gewitter, das über Norfolk, Virginia lag, längst vergessen.

„Der erste Schock kam ganz plötzlich. Eine Druckwelle traf mich wie ein Brecher in einer Brandung, wie aus einer Kanone abgefeuert. Ich wurde hochgezogen, hinabgedrückt, gestreckt, gestaucht, geprügelt. Ich fühlte mich wie ein Sack voller Knochen, den man gegen eine Betonmauer klatscht. Ich erbrach mich mehrfach, ich wurde fast verrückt. Ich kämpfte nicht nur um mein Leben sondern auch um meinen Verstand. Mir sackte das Blut in die Beine, dann rauschte es wieder in meinen Kopf. Ich wurde um meinen Fallschirm herumgeschleudert. Bisweilen wurde ich kopfüber hinter dem Fallschirm erdwärts gezogen, bis der Fahrstuhl dann plötzlich wieder nach oben ging. Während ich wie im Schleudergang einer Waschmaschine zum Spielball des Gewitters wurde, überlegte ich wie lange die Tortur wohl andauern könnte, und ob ich wohl vorher durch Ermattung sterben würde. Ich rechnete schon damit, dass der Sturm mich die Küste Virginias hochtragen würde um mich dann nach Tagen auszuspucken.

Dann wurde es schlimmer.

Wenn Blitze durch die Atmosphäre zucken, kann es die Moleküle auf 25.000 Grad erhitzen. Diese explosionsartige Ausdehnung der Luft ist als Donner hörbar. Auf der Erde verzögert sich der Schall auf 333 Meter pro Sekunde zwischen Blitz und Donner. Doch ich war mittendrin. Der Donner fuhr in meinen Körper, meine Zähne vibrierten, als hätte jemand eine riesige Stimmgabel dagegen geschlagen. Jeder Knochen in meinem Körper erzitterte mit jeder Explosion. Während die Donnerschläge unerträgliche physikalische Erfahrungen für meinen geschundenen Körper waren, hatte ich eine Heidenangst vor den Blitzen. Ich sah die Elektrizität in allen Formen, die man sich vorstellen kann. Wenn sie ganz nah waren, waren es große, bläuliche Kanäle, meterdick, manchmal ganz dicht bei mir, manchmal zwei Stück nebeneinander wie Scheren, ich hatte Angst ich würde zerschnitten.

Dann kam der Hagel. Es begann mit Wassertropfen, die in der senkrechten Walze gefangen wurden. Mit jedem Aufstieg wurden sie größer, gefroren zu Klumpen, fielen wieder hinunter und wurden wieder hochgerissen, stets größer werdend. Ich wurde abwechselnd von faustgroßen Eisklumpen bombardiert, dann wieder von senkrecht herabstürzenden Wassermassen getroffen. Ich stellte mir vor, dass man mich eines Tages mit dem Fallschirm an einem Baum hängend finden würde, die Lungen voller Wasser. Man würde grübeln, wie ich im Baum ertrunken sein könnte.

Endlich nahmen die Turbulenzen ab. Ich segelte an meinem noch intakten Fallschirm zur Erde. Die Kappe verfing sich tatsächlich in einem Baum, ich knallte mit voller Wucht durch die Äste gegen den Stamm. Aber ich konnte mich befreien, herabklettern und mich zu einer Straße schleppen. Ich war 100 Kilometer von dem Ort, wo ich mich ausgeschossen hatte. Vierzig Minuten hatte ich im Innern der Cumulonimbus-Wolke verbracht. Nach zwei Wochen hat man mich aus dem Krankenhaus entlassen.“

Was können wir daraus lernen?

Piloten sollten Gewitter meiden wie der Teufel das Weihwasser. In der Bibel heißt es zwar „Machet Euch die Erde untertan“. Das sollte aber tunlichst so verstanden werden, dass dies im Einklang mit den Kräften der Natur geschieht. Der Mensch hat zwar Fliegen gelernt und er kann sich die Kräfte des Wassers und des Windes nutzbar machen. Aber die Erde zeigt uns Menschen immer wieder einmal, wie klein und vergleichsweise unbedeutend wir sind. Diese Ereignisse haben dann Namen, wie zum Beispiel Krakatau, Longarone, Fukushima oder Nepal. Und es gibt die gewaltsamen, namenlosen Einzelerfahrungen, wie jener Jetpilot sie machen durfte.

Von Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 102: Cumulonimbus”

  1. Brigitte Jovic sagt:

    Hervorragende deutsche Übersetzung von Oberstleutnant William Rankins Fallschirmausstieg im Gewitter. Eine atemberaubende Schilderung!!! Danke, Herr Fecker.