DLR-Forschung: Echtzeit-Planung für das Vorfeld

Werbung
Der Contingency-Raum des Hamburg Airport – dem Back-up der Vorfeldkontrolle -Foto: Flughafen Hamburg / Michael Penner

Damit die komplexen Abläufe startender, landender und am Boden rollender Flugzeuge an Flughäfen zukünftig pünktlicher und effizienter werden sowie weiter an Sicherheit gewinnen, haben Partner aus Wissenschaft und Industrie mehrerer Länder im EU-Forschungsprojekt Integrated Airport Operations (IAO) drei technische SESAR-Lösungen implementiert und in umfangreichen Großversuchen an den Flughäfen Nizza, Budapest und Hamburg erprobt. Im Fokus stehen dabei neuartige Unterstützungsfunktionen für Tower- und Vorfeldlotsen. Am Hamburg Airport präsentierte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit den Projektpartnern am 19. September 2019 die Forschungsarbeiten und erste Ergebnisse.

„Im Fokus der Forschungsarbeiten stehen neuartige Funktionen für Lotsen, um am Flughafen die Routenplanung und das Abflugmanagement am Boden zu unterstützen und zusätzliche Sicherheitsnetze zur Verfügung zu stellen“, sagt IAO-Projektleiter Steffen Loth vom DLR-Institut für Flugführung. „Ziel ist es, die aktuelle Verkehrssituation zu berücksichtigen und geplante Prozesse so zu optimieren, dass Verzögerungen vermieden werden und ein effizienterer Flugbetrieb möglich ist.“

Konkret untersuchte das internationale Team Lösungen für drei Bereiche des Air Traffic Managements an Flughäfen in drei Großdemonstrationen, die die Aufgaben der Tower- und Vorfeldlotsen unterstützen und effizienter gestalten sollen:

Digitaler „Rollverkehrsmanager“
Der erste Bereich (Automated assistance to controllers for surface movement planning and routing) umfasst ein Routenplanungstool, das als digitaler „Rollverkehrsmanager“ den Vorfeld-Lotsen eine automatisierte Planung der Flugzeugroutenführung zur Verfügung stellt. Für jedes Flugzeug werden optimierte Rollrouten vom System berechnet und den Lotsen vorgeschlagen, können aber auch jederzeit durch den Operateur verändert werden. Das System reagiert dabei ständig auf sich verändernde Bedingungen und passt die Planungen entsprechend an. Neben der Effizienzsteigerung durch die optimierten Routen soll vor allem auch das Situationsbewusstsein der Lotsen erhöht werden.

Kein Stau beim Abflug
Der zweite Lösungsbereich (Pre-departure sequencing supported by route planning) baut auf den optimierten Rollrouten auf und soll dafür sorgen, dass Triebwerke so spät wie möglich gestartet werden. Bisher genutzte, allgemeinere Annahmen für Rollzeiten sollen durch präzisere Taxizeiten ersetzt werden, die für jede einzelne Rollbewegung in der entsprechenden Verkehrssituation ermittelt wird. Neben einer stabileren Abflugplanung ergeben sich damit auch Möglichkeiten, um Kerosin und CO2 zu sparen sowie die Lärmbelastung am Flughafen zu verringern, da die Triebwerke nur so lange wie nötig laufen.

Engmaschigeres Sicherheitsnetz
Der dritte untersuchte Lösungsbereich (Airport safety nets for controllers) nutzt verfügbare Informationen, um neue „Sicherheitsnetze“ an Flughäfen zu ermöglichen. Auf Basis der geplanten Rollroute ist es möglich, kritische Abweichungen im Betriebsablauf und Konflikte auf dem Rollfeld sofort zu erkennen und umgehend zu reagieren. Zusätzlich werden Lotsen dabei unterstützt, Konflikte bei Freigaben und Anweisungen an die Luftfahrzeuge zu vermeiden, indem bereits im Voraus entsprechende Warnungen und Hinweise angezeigt werden.

Erprobung im Live-Betrieb
„Die in IAO betrachteten Innovationen haben wir bei Demonstrationen an drei verschiedenen Flughäfen implementiert, um die breite Anwendbarkeit der Systeme trotz deutlicher lokaler Unterschiede sicher zu stellen“, erklärt Projektleiter Loth. Der Flughafen Hamburg besitzt ein System sich kreuzender, voneinander abhängiger Start- und Landebahnen, der Flughafen Nizza abhängige, parallele Start- und Landebahnen mit Kapazitätsproblemen in der Hochsaison und der Flughafen Budapest ebenfalls ein abhängiges, paralleles Start- und Landebahnsystem mit einem komplexen Rollwegesystem. Im Laufe des Projekts haben die beteiligten Partner die Infrastruktur für die Versuche an den Flughäfen installiert und die Demonstrationssysteme mit den operativen Flughafensystemen verbunden. Dies erlaubte den Zugriff auf Live-Daten des Flugbetriebs wie die aktuelle Verkehrslage und die dazugehörigen Flugplandaten. „An allen Teststandorten wurden die Versuche mit örtlichen Fluglotsen durchgeführt, um die neuen Systeme möglichst realitätsnah zusammen mit echten Operateuren zu testen und deren Eindrücke und Bewertungen direkt aufzunehmen“, unterstreicht Loth.

Anlässlich der Vorstellung des Forschungsprojekts IAO am Flughafen Hamburg sagte Michael Eggenschwiler, Vorsitzender der Geschäftsführung am Hamburg Airport: „Wir schätzen die langjährige, gute Zusammenarbeit mit dem DLR wie aktuell bei der Entwicklung von Innovationen für einen noch weiter optimierten Rollverkehr. In unserem Contingency-Raum – so nennen wir das Back-up unserer Vorfeldkontrolle, in dem alle Informations- und Kontrollsysteme als Redundanz zur Verfügung stehen – kann das DLR unter realen Bedingungen forschen und die Anwendung der Systeme mit unseren Lotsen direkt im Live-Betrieb weiter erproben.“

Forschung im Rahmen des EU-Programms SESAR 2020
Europa hat sich ambitionierte Ziele gesetzt, den Luftverkehr in Zukunft pünktlicher und effizienter zu gestalten. Der Verkehr an Flughäfen ist in diesem komplexen System ein entscheidender Faktor. Im Rahmen des europäischen Forschungs- und Innovationsprogramms SESAR, gemanagt durch das SESAR Joint Undertaking, wurden in den letzten Jahren vielfältige konkrete Lösungen zur Unterstützung der Flughäfen entwickelt. Um sicher zu stellen, dass diese Innovationen im operationellen Betrieb auch anwendbar sind und möglichst schnell eingeführt werden können, werden die entwickelten neuen Technologien in großem Umfang im realen Betrieb auf die Probe gestellt.

Das Projekt IAO ist eine dieser groß angelegten Demonstrationen (Very Large Scale Demonstrations, VLDs) und ein wesentlicher Schritt dafür, dass die innovativen ATM-Lösungen des SESAR-Programms an Flughäfen angewendet werden können. Die im SESAR-Programm entwickelten Innovationen haben in den Demonstrationen bereits ihr Potenzial für die Unterstützung der Lotsenarbeit angedeutet, die genaue Auswertung der Versuche und die abschließende Bewertung werden für Anfang 2020 erwartet.

Die Projektpartner
Für die Großdemonstration am Flughafen Budapest zeichnete die Firma Indra verantwortlich, zusammen mit der ungarischen Flugsicherung HungaroControl. Die Großdemonstration am Flughafen Nizza wurde durch die französische Flugsicherungsbehörde DSNA (Direction des Services de la navigation aérienne) durchgeführt, während die Demonstration am Flughafen Hamburg durch das DLR koordiniert und in Zusammenarbeit mit der norwegischen Forschungseinrichtung SINTEF ausgeführt wurde. Die Gesamtkoordination des Projekts IAO obliegt dem DLR. Das Projekt wird durch das SESAR Joint Undertaking innerhalb des EU-Forschungsrahmenprogramms Horizon 2020 unter der Nummer 731787 gefördert.

Quelle: PM DLR