Luftpost 484: Druckausgleich

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

Bei einem Spaziergang, der uns ebenerdig durch den Wald führt, müssen wir uns um einen Druckausgleich normalerweise keine Sorgen machen. Das liegt daran, dass der Mensch dafür konstruiert ist, sich mit ca. 5 km/h fortzubewegen, in dem er einen Fuß vor den anderen setzt. Anders im Flugzeug. Jeder kennt den Druck auf den Ohren, wenn wir gestartet sind oder vor der Landung Höhe verlieren. Auch wenn in Actionfilmen mitunter das Gegenteil dargestellt wird, es ist normalerweise nicht möglich, im Flug eine Türe zu öffnen, ohne vorher vom Cockpit aus einen Druckausgleich herzustellen. Die Kabine ist ein geschlossener Druckkörper. Der Druck im Innern ist höher als der Druck außen. Dadurch wird die Türe in den Rahmen gedrückt. Will man sie öffnen, muss man sie zuerst nach innen ziehen. Das geht bei Überdruck nicht.

Spannend sind auch die Druckverhältnisse bei Hochgeschwindigkeitszügen. Fährt ein Zug in einen Tunnel, schiebt er eine Luftsäule vor sich her. Die Luft im Tunnel wird dadurch verdichtet, es kommt zum Überdruck. Bisweilen kommt es sogar zu einem sogenannten „Tunnelknall“, weil sich die Druckwellen am Tunnelportal schlagartig entladen. Viel Physik ist deshalb in die aerodynamische Entwicklung der Züge und der Tunnelröhren geflossen. Die Züge bestehen aus Waggons, die eine druckdichte Einheit bilden. Voraussetzung für die Druckertüchtigung sind dauerhaft geschlossene Fenster und damit die Ausrüstung der betroffenen Wagen mit einer Klimaanlage. Besondere Isoliergummis um Fenster und Türen, druckdichte Wagenübergänge, Druckschutzklappen, Druckschutzlüfter und geschlossene WC-Systeme verhindern Druckschwankungen.

Nun sind wir schon so weit von den Druckverhältnissen im Innern rasender Verkehrsmittel abgekommen, dass eine weitere Tatsache auch keine Rolle mehr spielt, die ich im Zuge der Recherche von einem Tunnelbauer erfahren habe: Zwei sich im Tunnel begegnende Züge, die eine Luftsäule vor sich herschieben, stellen ein richtig großes Problem dar. Deshalb baut man lieber zwei getrennte Tunnelröhren. Dazu müssen die Gleise aber schon ein gutes Stück vor dem Tunnelportal auseinander geführt werden. Das ist natürlich teurer als eine größere Röhre mit zwei Gleisen. Und wenn der Zug vor der Einfahrt in den Tunnel auch noch von einer zweigleisigen Talbrücke einfährt, ist das Auseinanderführen der Gleise fast nicht zu bewältigen. Deshalb wählt man heute die teurere Variante, dass zwei getrennte Brücken gebaut werden. So die vor kurzem eröffnete Filstalbrücke auf der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm.

Von der Tunnelröhre zur Eustachischen Röhre in unserem Kopf: Diese Ohrtrompete oder Eustachische Röhre ist eine schlauchartige Verbindung zwischen Nasen-/Rachenraum und Mittelohr, die sich beim Schlucken kurz öffnet und sogleich wieder schließt. Dadurch findet ein regelmäßiger Druckausgleich statt. Allerdings ist der Druckausgleich der beiden Richtungen (Druckerhöhung versus Druckverminderung) nicht unbedingt symmetrisch. Beim Start wird der Druck vermindert – das ist für Betroffene meist noch zu bewerkstelligen. Bei der Landung (Druckerhöhung) kann es für manche Menschen richtig eng werden. Bei einer Flugreise (oder meinetwegen auch im Eisenbahn-Tunnel) verhindern Kaugummi kauen, Bonbon lutschen, Trinken, Nase zuhalten oder trocken schlucken, bewusstes und vorsätzliches Gähnen  unangenehme Begleiterscheinungen in den Ohren. Bei Babys, die deshalb vor Schmerzen schreien, hilft am besten Stillen an der Mutterbrust. Schon deshalb sollten Passagiere und Flugbegleiter ein entspanntes Verhalten gegenüber stillenden Müttern im Flugzeug an den Tag legen.

Andreas Fecker