Luftpost 39: Search and Rescue

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Der Autor in einem Blackhawk Hubschrauber – Foto: Sammlung Fecker

Wir werden derzeit Zeugen der mit Abstand größten Suche nach einem verschollenen Flugzeug seit Beginn der Luftfahrt vor über hundert Jahren. Doch dazu später.

Seit Henry Morton Stanley 1869 nach Afrika geschickt wurde, um den verschollenen Dr. Livingstone zu suchen, hat der Such- und Rettungsdienst so einige Fortschritte gemacht. Was sich nicht geändert hat, ist die hartnäckige Verbissenheit, mit der die Crews vorgehen. Stanley suchte damals zwei Jahre, bis er endlich den Vermissten am Tanganjika See fand und es zu der legendären Begrüßung kam: „Dr. Livingstone, I presume?“

Federführend für eine Suche ist im Allgemeinen der Verteidigungsminister eines Staates, weil ihm die Such- und Rettungsmittel ersten Grades unterstehen, nämlich Hubschrauber von Luftwaffe, Heer und Marine, sowie Flugzeuge, Schiffe und viele weitere Spezialmittel wie Satellitenaufklärung. Ihm unterstehen die Rettungsleitstellen, oft spezialisiert auf Land- und Seerettung. Die wiederum greifen auf dislozierte SAR-Einheiten zu. Die Zusammenarbeit mit zivilen Kräften wie Feuerwehr, Rotes Kreuz, Katastrophenschutz und Polizei ist dabei (meistens) sichergestellt.

Ich hatte vor einiger Zeit im Zusammenhang mit einem Buchprojekt die Gelegenheit mit dem Leiter eines SAR-Detachments in den kanadischen Rocky Mountains zu reden. „Für die regionale Suche zum Beispiel in unseren endlosen Wäldern wird ein „Searchmaster“ eingesetzt“, erzählte er. „Dieser Mann ist für die Dauer der Suche der mächtigste Mann in Kanada. Was er für notwendig hält, wird gemacht. Er braucht 200 Mann für drei Wochen? Das Militär stellt sie umgehend bereit. Er braucht 100 Kettensägen? Die umliegenden Baumärkte liefern sie an. Er braucht 10 Flugzeuge? Die Flugschulen stellen sie zur Verfügung. An der Seite des Searchmasters steht nämlich ein Zahlmeister, der alles bezahlt, ohne um Genehmigung fragen zu müssen. Abgerechnet wird am Ende. Suchen, finden und retten ist erst einmal wichtiger.“

Der Searchmaster erzählte von einer langwierigen Suche nach einer abgestürzten Cessna. Seit Wochen wurde das Suchgebiet über immer mehr Waldgebiete ausgedehnt und in Schlangenlinien (creeping line pattern) abgesucht, ohne Erfolg. Schließlich wurde in der Suchregion das Wetter schlecht, die Hubschrauber blieben am Boden. Ein Zeitungsreporter machte ein Foto von vier SAR-Piloten in einem Straßencafé, das am nächsten Tag auf der Titelseite prangte. „So sucht unsere Luftwaffe nach abgestürzten Flugzeugopfern!“ war da zu lesen. Daraufhin spielten sich dramatische Szenen zwischen Angehörigen und dem Base Commander ab. Der Searchmaster reagierte prompt. Er lud einige Angehörige mitsamt dem Pressefotografen in einen Hubschrauber und flog mit ihnen ins Suchgebiet. Wegen des anhaltend schlechten Wetters und der tiefhängenden Wolken war aber nichts zu sehen. Als dann immer wieder Baumwipfel vor den Scheiben des Hubschraubers auftauchten, sahen die Angehörigen die Gefahr und die Nutzlosigkeit des Unterfangens ein.

Schließlich meldete ein Privatflieger aus einer ganz anderen Gegend, er habe zwischen Bäumen ein Stück weißes Blech gesehen, das aussah wie ein Teil von einer Tragfläche. Sofort startete ein Helikopter und flog mit einer Bodencrew zu der Stelle. Wegen des dichten Baumbestandes konnten die Männer jedoch nicht an der vermeintlichen Absturzstelle abgesetzt werden, sondern an einem See mehrere Kilometer entfernt. Am Boden arbeiteten sie sich durch dichtesten Urwald. Nach vielen Stunden kamen sie an der fraglichen Stelle an. Das weiße Blech entpuppte sich als eine Geschirrspülmaschine. Offenbar sollte diese von einem Buschpiloten zu einem entfernten Ort gebracht werden. Als der Pilot auf halbem Weg merkte, dass er sich mit dem Sprit verkalkuliert hatte, warf er den Ballast kurzerhand aus dem Flugzeug. Die erschöpften Männer mussten nun wieder zurück zum Absetzpunkt, wo sie von dem Hubschrauber wieder an Bord genommen werden konnten. Nach weiteren vier Wochen wurde die Suche abgebrochen (suspended). „Eine Suche wird nie beendet, solange wir unser Ziel nicht erreicht haben,“ betonte der Searchmaster. Aber bisweilen geht man davon aus, dass ein Mensch unter den gegebenen Umständen einfach nicht mehr leben kann. Gibt es aber nur den kleinsten Hinweis, und sei es eine Wahrsagerin, die behauptet die Menschen seien noch am Leben, sie habe es in ihrer Trance gesehen, dann wird der Riemen wieder auf die Orgel geschmissen und alles geht von vorne los. Egal ob man an die Wahrsagerei glaubt oder nicht.

Die Suche nach MH370 hat sich verändert. Google brachte es am 20.03.2014 unter dem Stichwort „MH370“ auf sagenhafte 86 Millionen Fundstellen, so groß ist die weltweite Anteilnahme. Zum Vergleich: sucht man auf englisch nach dem Kennedy Mord „Kennedy assassination“, weist Google gerade mal auf 23 Millionen Links. Alle Welt schreibt über das Flugzeug und stündlich kommen derzeit 100.000 Meldungen und Kommentare dazu. Mittlerweile sind 26 Nationen mit der aktiven Suche beschäftigt, und das Suchgebiet misst bereits mehrere Millionen km². Das Informationswirrwarr wird dabei immer größer. „Aus nicht genannter Quelle“, „aus gut informierten Kreisen“, „aus verlässlichem Munde“ sind dabei Attribute, die nicht minder gierig aufgesaugt und weiter verbreitet werden, wie „unbestätigten Meldungen zufolge“ oder „gemäß einer indischen Zeitung“ oder „ein Informant im Dunstkreis des malaysischen Verkehrsministeriums, der nicht genannt werden möchte“. Was soll eine Such- und Rettungsstelle damit anfangen?

Aber etwas ist neu: Über staatliche und private Satellitenbild-Dienste wie Tomnod.com können sich Millionen von Internetnutzern an der Suche beteiligen. Der Dienst stellt hochauflösende Bilder zur Verfügung und der User kann Quadrant für Quadrant die Ozeane absuchen. Findet er etwas, das wie ein Trümmerteil oder ein Schlauchboot oder eine Ölspur aussieht, klickt er es an, die Koordinaten werden in Echtzeit weitergemeldet. Wird eine bestimmte Koordinate mehr als zehn Mal angeklickt, wird sie von Fachleuten genauer unter die Lupe genommen. Aber auch im vorliegenden Fall wiederholt sich das von dem kanadischen Searchmaster beschriebene Problem: Die systematische Suche wird durch einen neuen Verdacht unterbrochen, mit hohem Aufwand werden Kräfte und Gerät zur vermuteten Fundstelle gebracht, und schließlich entpuppt sich alles als weiterer Irrweg. Dann wird alles wieder zurückgesetzt, dort wo man die Suche unterbrochen hatte, wird dann wieder weitergesucht.

Und weitere Parallelen gibt es: Die Verzweiflung der Angehörigen, die meinen, ihnen würden Informationen vorenthalten. Man möchte einfach nicht glauben, dass in den Zeiten von NSA und Totalüberwachung, Google Earth, GPS, Spionage, Aufklärungsdrohnen, Satellitenkameras mit angeblich höchster Auflösung „ein so großes Flugzeug spurlos verschwinden kann“. Doch, kann es. Wenn das Suchgebiet groß genug ist und man die Quadranten mit einer Kantenlänge von 200 Metern Bild für Bild aufmerksam anschauen muss, oder auch dann, wenn Wolkenfelder mit einem Durchmesser von mehreren hundert Kilometern die freie Sicht aus dem All behindern.

Diese Suche wird ganz sicher als die teuerste und aufwendigste Nachforschung nach verschollenen Menschen in die Weltgeschichte eingehen. Und sie wird im Flugzeugbau und in der Ausrüstung mit Rettungsmitteln etwas verändern, dessen bin ich mir sicher.

von Andreas Fecker