Luftpost 325: Bail Out

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Der Autor nach einem Mitflug im Starfighter – Bildarchiv Fecker

Eigentlich ist es wie ein Sechser im Lotto, wenn man in einem Kampfjet mitfliegen darf. Viele Menschen aus der Luftfahrtszene gäben eine Menge dafür, eine solche Gelegenheit zu erhalten. Ein Unternehmen in Südafrika zum Beispiel kaufte sich eine ausgediente MiG-21, stellte pensionierte Militärpiloten ein und bietet Rundflüge mit Überschall an. 10.000 Dollar kostet ein Flug, der auf der Air Force Basis Hoedspruit bei Johannesburg startet. Kunden reisen dazu eigens nach Südafrika, um sich dieses Erlebnis einmal im Leben zu gönnen. Auch unsere Militärfluglotsen waren angehalten, gelegentlich mitzufliegen, damit sie die andere Seite der Medaille kennenlernten. Sie sollten erleben, dass es körperliche Arbeit bedeutet, die positiven und negativen G-Kräfte auszuhalten, mit der Muskulatur den Drücken zu begegnen und trotzdem seinen Millionenflieger sicher durch die Luft und den Verkehr zu steuern und wieder nach Hause zu bringen. Die deutsche Luftwaffe führt oder führte dazu sogenannte Jet-Passenger-Lehrgänge durch, mit Unterdruckkammer, Theoriewissen, gründliche Einweisung in die Funktion des Schleudersitzes, samt Testausschuss entlang einer 15 m hohen, gen Himmel gerichteten Stahlschiene. Gelegentlich darf auch schon mal ein VIP ins Cockpit. Oder ein Journalist.

Am 20. März 2019 wurde einem verdienten Mitarbeiter eines französischen Rüstungskonzerns zu seinem 64. Geburtstag ein solcher Mitflug als Auszeichnung und Dank angeboten. Ein Lehrgang fand nicht statt, die Einweisung war eher oberflächlich. Man steckte ihn in eine Fliegerkombi, verpasste ihm einen Helm und setzte ihn ins hintere Cockpit. Wie man den Kinnriemen befestigt, wusste der Mann nicht, dass er den Fünfpunkt-Gurt nachziehen sollte, auch nicht. Die Maschine startete in St-Dizier als Teil einer Formation. Die Beschleunigung drückte die Besatzung in die Sitze. Der Steigflug erfolgte anfangs mit bis zu 4 positiven g. Beim Übergang in den Streckenflug ließ der Andruck am Sitz nach, die vertikalen Beschleunigungskräfte wirkten nun in die umgekehrte Richtung, der Passagier wurde leichter, der nicht festgezurrte Helm wurde nach oben gezogen, der Körper strebte wie in einer Achterbahn aus dem Sitz nach oben. Der lockere Sitzgurt begünstigte das. Die negative Beschleunigung war nur -1 g. Der ängstliche Mann suchte Halt. Er ertastete und fand zwischen seinen Beinen eine gelb/schwarze Schlaufe, an der er sich festklammerte. Dass dies der Abzugsgriff für das Rettungssystem war, ahnte er nicht. Die Schlaufe gab nach, das Kabinendach zersplitterte, die Sprengbolzen gaben den Schleudersitz frei, der Raketenmotor katapultierte den erschrockenen Passagier aus dem Flugzeug, der Fallschirm öffnete sich, der Sitz trennte sich vom Mann und stürzte zu Boden, gefolgt von dem Mitarbeiter, der noch immer nicht begriffen hatte, was ihm geschehen war. Gerade saß er noch im Cockpit und freute sich auf den Flug, und eine Sekunde später hing er am Fallschirm. Den locker sitzenden Helm verlor er im Luftstrom, der ihn mit 250 km/h umbrauste. Diesen Geburtstag wird der Mann nicht so schnell vergessen.

Normalerweise ist das Ausschussfolgesystem so geschaltet, dass nach Auslösung des Rettungssystems zuerst der hintere Sitz zündet und eine Sekunde später der vordere Sitz folgt. In diesem Fall gab es eine zufällige Fehlfunktion des Systems. So verblieb der Pilot im Flugzeug und konnte es ohne weitere Beschädigungen landen. Ich bin mir fast sicher, dass solche Mitflüge in Zukunft nicht mehr so leichtfertig vergeben werden.

Andreas Fecker