Luftpost 140: Blinder Passagier 2

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Blinder Passagier nach Alaska – Foto: Fecker

Dies ist die Fortsetzung der Geschichte über meine erste Reise nach Alaska. Im Alter von 21 Jahren flog ich 1971 als blinder Passagier in einer Frachtmaschine. Im ersten Teil wurde ich nach der Landung in Alaska vom Lademeister erwischt. Er schleppte mich zu den Piloten. „Schaut, wen ich da gefunden habe; den Tramp aus Seattle! Ich hol die Polizei.“

„Warte,“ antwortete der Käpten, „wenn wir das tun, verlieren wir noch mehr Zeit. Außerdem habe ich keine Lust Berichte zu schreiben und unangenehme Fragen der Company zu beantworten. Wir können ihn auch nicht einfach hierlassen. Wo soll er denn hin? Wir sind hier in Yakutat, Alaska! Keine Landverbindung, ringsherum nichts als Meer und Gletscher. Das Kaff ist ja nur aus der Luft erreichbar. Man würde ihn fragen, wie er hierherkam. Dann wird nachgeforscht und wir haben die peinlichen Fragen trotzdem. Nein, wir nehmen ihn nachher mit nach Anchorage. Und hier geben wir ihn als Crewmitglied aus. Er kann dir mit der Ladung helfen.“ Und zu mir gewandt fuhr er fort: „Das war ein ganz schöner Stunt, den du da abgezogen hast. So etwas kann ins Auge gehen. Na, jetzt bist Du ja in Alaska, und schon fast am Ziel deiner Träume.“

Der Lademeister brummte verärgert vor sich hin und wies mich an, was ich zu tun hatte. Ich schuftete wie ein Berserker am Hubwagen, zog die schweren Paletten aus dem Flugzeug und schob andere wieder ins Flugzeug hinein. Ich entdeckte auch Kartons voller Zigaretten, Hummer und Salat, die zwischen den Spanten verstaut wurden. Nach gut einer Stunde war das Flugzeug wieder fertig zum Start. Diesmal lud mich der Käpten ins Cockpit ein, versorgte mich mit Kaffee und teilte sein Lunchpaket mit mir. Schließlich landeten wir kurz nach Mitternacht in Anchorage. Der Käpten verabschiedete mich mit einer eindringlichen Ermahnung: „Phil wird dich jetzt aus dem Flughafen rausbringen. Sollte dich jemand fragen, wie Du nach Alaska gekommen bist, dann sagst du, du bist mit einem Truck getrampt. Über den Alaska Highway. Erzähle niemandem, dass Du mit einem Flugzeug gekommen bist. Verstanden? Sieh zu, dass Du hier einen Job kriegst, damit Du dir ein Flugticket für die Rückreise kaufen kannst.“

„Verstanden und versprochen.“ Phil, der Kopilot (Name geändert), begleitete mich bis auf die Straße und kehrte dann wieder zum Flugzeug zurück. Ich war alleine. In Alaska. Ich hatte es geschafft. Ein Kindheits- und Jugendtraum war wahr geworden, und ein Wahnsinns-Abenteuer, das noch lange nicht zu Ende sein sollte. Ich machte mich auf den Weg in die Stadt, an der einzigen Straße entlang. Bald sah ich einen Saloon, in dem noch Licht brannte. Jetzt hatte ich ja wieder 18 Dollar in der Tasche, ein Bier würde ich mir schon leisten können. Bis auf die Wirtin war der Saloon leer. Ich trat an die Bar und bestellte mir ein Bier. Freundlich fragte sie mich, woher ich käme. „Aus West Germany“, sagte ich. „Und wie bist Du nach Alaska gekommen?“ „Als Anhalter. Mit mehreren Trucks.“ „Wow!“ staunte sie, „wie lange hast Du denn gebraucht?“ „Ich weiß nicht mehr genau. So ungefähr eine Woche?“ „Wow, was für eine Reise! Das sind ja über 2000 Meilen! Lass mal Dein Geld stecken, das Bier geht aufs Haus.“

Eine halbe Stunde später fiel ich fast vom Hocker, als sich die Saloon Türe öffnete und Phil hereintrat. „Hey Phil, good to see you!“ begrüßte ihn die Wirtin. Phil hatte einen großen Karton unterm Arm, den er der Wirtin überreichte. „Übrigens, das ist Andy“, stellte sie mich vor. „Er ist aus Germany. Ist den Alaska Highway hochgetrampt. Im Truck. War eine ganze Woche unterwegs. Ist gerade vorhin angekommen.“ Phil klopfte mir auf die Schultern. „Gib ihm noch ein Bier von mir,“ sagte er zur Wirtin. Während ich das zweite Bier trank, kamen der Bordmechaniker und der Käpten in den Saloon. Beide trugen ebenfalls große Kartons, die sie der Wirtin auf einen Tisch legten. Der Käpten schaute mich mit einem alarmierten Gesichtsausdruck an. Phil beeilte sich zu erklären: „Das ist Andy aus Germany. Er hat Lucy erzählt, er sei mit dem Truck den Alaska Highway hochgetrampt. Hat ne Woche gebraucht und ist heute Nacht angekommen!“ Der Käpten grinste, und sagte zu Lucy: „Toll! Gib Andy noch ein Bier!“

Man stelle sich nur vor, ich hätte meine Freude über das gerade überstandene Abenteuer nicht im Zaum halten können und brühwarm damit geprahlt, ich sei gerade vorhin als blinder Passagier mit einem Frachtflugzeug gelandet! Immerhin ist das ja eine Story, die schon mal was hermacht. Ob die Zigarettenkartons von Seattle nach Yakutat, und die Lobsterschachteln von Yakutat nach Anchorage offizielle Bestellungen oder private Lieferungen, Nebengeschäfte oder Versicherungsfälle waren, hat mich in meiner jugendlichen Unbekümmertheit nicht interessiert.

Was weiterhin passierte, und wie ich beim Rückflug dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen bin, steht im letzten Teil dieser Geschichte.

Von Andreas Fecker