Medizinische Proben per Drohne durch Hamburg befördert

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Foto: ZAL DReinhardt

Das vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) geförderte Forschungsprojekt Medifly hat in dieser Woche in Hamburg erfolgreich den Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge für den akuten Transport medizinischer Proben demonstriert. Dazu wurden insgesamt sechs Drohnenflüge zwischen dem Bundeswehrkrankenhaus in Wandsbek-Gartenstadt und dem circa fünf Kilometer Luftlinie entfernten Marienkrankenhaus in Hohenfelde absolviert. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen die Basis für einen mehrmonatigen Erprobungsbetrieb schaffen.

Ziel von Medifly ist es, herauszufinden, ob der akute Transport medizinischer Gewebeproben mittels einer Drohne zuverlässig und sicher erfolgen kann. Solche Gewebeproben – sogenannte Schnellschnitte – werden oft im Rahmen medizinischer Eingriffe entnommen und müssen noch während der Operation durch einen Pathologen untersucht werden. Nur so kann festgestellt werden, ob sämtliches krankhaftes Gewebe während des Eingriffs entfernt wurde. Dafür werden in der Regel mehrere Proben an unterschiedlichen Stellen entnommen, einzeln verpackt und zur Befundung in die Pathologie gebracht.

Tatsächlich verfügen die meisten Krankenhäuser jedoch nicht mehr über eigene Pathologien, weshalb die Gewebeproben bislang mit einem Rettungswagen zur Pathologie eines anderen Krankenhauses transportiert werden müssen. Für die Dauer dieses Transports und der Befundung wird die Operation unterbrochen und erst wieder fortgesetzt, wenn das Ergebnis vorliegt. Die damit verbundenen Narkosezeiten könnten durch den Einsatz von Drohnen für den Gewebetransport deutlich verringert werden, da das Zielkrankenhaus auf dem Luftweg direkt und unabhängig von der Verkehrssituation am Boden angesteuert werden kann. Gerade Krankenhäuser außerhalb von urbanen Zentren geben die Proben sogar erst nach der Operation zur Pathologie, was – je nach Befund ­– das Risiko einer weiteren Operation birgt. Drohnen könnten daher potenziell weitere Krankenhäuser an die Befundung von Schnellschnitten anbinden.

Da die Drohnenflüge über städtischem Gebiet und zudem innerhalb der Kontrollzone des Hamburger Flughafens stattfanden, mussten für die Erprobung jedoch zunächst umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden. So musste vor allem nachgewiesen werden, dass die automatisierten Flüge in dieser komplexen Umgebung sowie über bewohntem Gebiet und viel genutzten Verkehrswegen jederzeit sicher und zuverlässig durchgeführt werden können. In der Folge ging für alle Beteiligten von Medifly eine mehrmonatige Planungs- und Abstimmungsphase mit den zuständigen Behörden voraus. Vor allem mit der Landesluftfahrtbehörde und der Flugverkehrskontrollstelle (DFS) am Hamburger Flughafen stand das Projektteam im permanenten und sehr konstruktiven Austausch.

Für das Projekt Medifly haben sich das ZAL Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung, FlyNex, die GLVI Gesellschaft für Luftverkehrsinformatik und die Lufthansa Technik AG zusammengeschlossen. Als assoziierte Partner sind darüber hinaus die Hamburger Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation sowie die beiden angeflogenen Krankenhäuser beteiligt. Auf Basis der vielversprechenden Erkenntnisse aus den heutigen Testflügen sollen demnächst in einem mehrmonatigen Erprobungsbetrieb weitere Faktoren für einen wirtschaftlichen Einsatz der Technologie untersucht werden.

„Unbemannte Fluggeräte haben auf Grund ihrer vielfältigen Einsatzmöglichkeiten stark an Bedeutung gewonnen – sowohl für den gewerblichen wie auch für den privaten Bereich. Für die deutsche Wirtschaft bietet die Technologie der unbemannten Luftfahrtsysteme viele Potentiale und Wachstumschancen“, sagte Michael Westhagemann, Senator für Wirtschaft, Verkehr und Innovation der Freien und Hansestadt Hamburg. „Bei diesem Projekt ist der konkrete Nutzen für Anwender und Allgemeinheit klar zu erkennen. Denn übergeordnetes Ziel des Projektes ist es, durch den Einsatz unbemannter, automatisierter Luftfahrzeuge einen Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung zu leisten.“

„Mit der heutigen erfolgreichen Durchführung der Testflüge haben wir einen großen Schritt für die zukünftige Nutzung von Drohnensystemen getan – und das mitten in der Stadt“, sagte Boris Wechsler, Projektleiter für Medifly bei der ZAL GmbH. „Wir wissen, was dazu nötig ist und wo man in Zukunft ansetzen muss. Und wir können jetzt schon sagen: Weitere Drohnenprojekte werden folgen.“

„Medifly ist kein klassisches Luftfahrtthema“, sagte Christian Caballero, Chief Operating Officer bei der FlyNex GmbH. „Die Masse an Einflussfaktoren für eine erfolgreiche Flugplanung ergibt sich aus der Bodenstruktur. Hierzu können wir mit unseren Lösungen auch in diesem Projekt die Weichen für automatisierte Flüge außerhalb der Sichtweite stellen und zeigen, wie medizinische Drohnen die Gesundheitsversorgung unterstützen können.“

„Um einen zukunftsfähigen Lufttransportdienst aufzubauen, ist es wichtig anzuerkennen, dass wir im Luftraum nicht allein sind“, sagte Sabrina John, Projektleiterin bei der GLVI. „In einer Metropole wie Hamburg ist immer mit Polizei- und Rettungshubschraubern zu rechnen. Wir freuen uns, dass wir unsere langjährige Projekterfahrung im Bereich Flugsicherung und Luftverkehrsmanagement beisteuern und alle Beteiligten an einen Tisch bringen konnten.”

„Um einen stabilen und vor allem sicheren Flugbetrieb zu gewährleisten, bedarf es eines ausgeklügelten Betriebskonzepts“, sagte Olaf Ronsdorf, Projektleiter bei Lufthansa Technik. „Dafür konnten wir im Rahmen von Medifly unsere vielfältige Erfahrung aus der bemannten Luftfahrt einbringen. Wir freuen uns, so auch neue Möglichkeiten für zukünftige unbemannte Lufttransportlösungen zu erschließen.“

„Ein Gewebetransport mittels einer Drohne eröffnet uns viele neue Möglichkeiten“, sagte Dr. Tariq Nazar, klinisch tätiger Hals-Nasen-Ohrenarzt am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg. „Bisher müssen derartige Proben mit einem Blaulichtfahrzeug transportiert werden, was bei den Hamburger Verkehrsverhältnissen mit unnötigen Verzögerungen verbunden sein kann. Da wir mitunter während einer laufenden Operation auf das Ergebnis der Gewebeuntersuchung angewiesen sind, freuen wir uns über die Chance, die Narkosezeiten für die Patienten möglichst gering zu halten.“

„Wir freuen uns sehr, Partner in diesem zukunftsweisenden Projekt zu sein“, sagte Ursula Störrle-Weiß, Geschäftsführerin des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) am Marienkrankenhaus und verantwortlich für das Institut für Pathologie. „Der Vorteil von Gewebetransporten per Drohne ist immens. Vor allem bei sogenannten Schnellschnitten, die zum Beispiel bei der Entfernung eines Tumors entnommen werden, müssen die Gewebeproben noch während der OP in einer spezialisierten Pathologie untersucht werden. Je schneller die Probe bei uns ist, desto schneller erfolgt der Befund. Schon rund 20 Minuten nach dem Eintreffen steht das Ergebnis der Untersuchung fest – etwa darüber, ob die Gewebeveränderung gut- oder bösartig ist oder ob die Lymphknoten von einem Tumor befallen sind. Sowohl für die Operateure als auch für die Patienten ist die präzise und sichere Diagnostik innerhalb kürzester Zeit natürlich eine absolute Win-Win-Situation.“

Hamburg ist 2018 als eine der ersten Städte in der Urban Air Mobility (UAM) Initiative der von der EU-Kommission unterstützten Europäischen Innovationspartnerschaft für Smart Cities (EIP-SCC) begrüßt worden. Hamburg ist damit offizielle Modellregion für die Erschließung ziviler Nutzungsmöglichkeiten von Drohnen- und anderen urbanen Luftverkehrstechnologien.

Quelle: PM ZAL Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung