Luftpost: 444: Ovation

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Charly Kaman, vom Hubschrauber zur Gitarre – Foto: Ovation

Bevor ich auf ein revolutionäres Musikinstrument zu sprechen komme, will ich den Luftfahrtbezug herstellen. Igor Sikorski war der Sohn eines Medizinprofessors an der Universität Kiew. Er studierte in Sankt Petersburg und arbeitete sich zum Chefingenieur der Luftfahrtabteilung des Mischkonzerns Russo-Balt hoch. Er entwickelte viermotorige Bomber, die im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden. Während des russischen Bürgerkriegs emigrierte Sikorski 1919 in die USA. Er fand eine Anstellung am Russian Collegiate Institute in New York City. 1928 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft und schrieb seinen Namen fortan mit Ypsilon. Mit weiteren emigrierten Russen gründete er die Sikorsky Aero Engineering Company. In dieser Flugzeugschmiede entstanden Flugboote wie der Pan Am Clipper und die Sikorsky S-42. Bald waren die Hubschrauberentwicklungen das wichtigste Merkmal Sikorskys. Einer seiner Ingenieure war Charles Kaman, geboren am 15. Juni 1919 in Washington D.C. Im Alter von 26 Jahren machte sich Kaman mit einer Werkstatt im Haus seiner Mutter in West Hartford, Connecticut, selbstständig und experimentierte mit eigenen Hubschrauberentwicklungen. Die ersten Hubschrauber flogen instabil und waren wegen der starken Kräfte die man zum Ändern der Rotorblattwinkel benötigte, schwierig zu kontrollieren. Charlie Kaman entwickelte ein “Servo Flap” System, welches die Blätter viel leichter kontrollieren ließ. Sein erster Agrarhubschrauber kam 1951 auf den Markt. 1956 bestand ein Viertel seiner Belegschaft aus Wissenschaftlern! Der Weltkonzern Kaman Corporation hat heute 5000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 1,6 Milliarden Dollar.

Foto: Ovation

Und jetzt komme ich zur Musik. Charles Kaman spielte leidenschaftlich Gitarre. Während er 1956 auch Entwicklungsaufträge vom McDonnell Douglas annahm, eignete er sich Techniken in der Entwicklung von Verbundwerkstoffen an. Seine wissenschaftlichen Mitarbeiter kamen zur Erkenntnis, dass ein parabolischer Klangkörper wie bei einer Mandoline, einer Orchestermuschel, Kirchenkuppeln, ein Amphitheater, ein Radarreflektor oder sogar das menschliche Ohr ein unverfälschtes Ergebnis liefern. Der Sound war reicher, voller, tiefer und konstanter als bei der herkömmlichen Bauweise. Die Bauweise aus Verbundwerkstoffen übernahm er von den Radarnasen, die sich beliebig formen ließen. Ein griffiger Name war schnell gefunden: Ovation. Wirklich bahnbrechend war Charles jedoch mit seiner Erfindung des piezo-keramischen Tonabnehmers. Damit konnte man das erste Mal eine akustische Gitarre über einen Verstärker spielen, und sie hat wirklich noch wie eine akustische Gitarre geklungen. Bis dahin musste man sich dafür vor ein Mikrofon stellen.

Foto: Ovation

Hier war wieder die Verbindung zur Luftfahrt: Diese piezokeramischen Sensoren hatte man zur Abnahme und Messung von Schwingungen bei der Hubschrauberentwicklung verwendet. Traten zu viele Schwingungen im Flugzeug oder in den Rotorblättern beim Hubschrauber auf, führte das zu Beeinträchtigungen im Flugverhalten. Charles und seine Ingenieure haben sich gedacht, „wenn wir am Rotor diese Schwingungen abnehmen und zu einem Messgerät führen können, können wir vielleicht auch die Schwingungen an einer Gitarre abnehmen und zu einem Verstärker führen.“ Mit diesen Sensoren fand man heraus, dass ein ungenutztes Potenzial an Schwingungen in der Mitte der Decke entsteht, genau an der Stelle wo bei einer traditionellen Gitarre das Schallloch platziert ist. Kaman ersetzte es dann durch viele kleine Löcher, die sogenannten „Multiholes“, und verlegte den Schallaustritt an den Rand der Gitarre.

Multiholes einer neuen Ovation Gitarre – Alle Fotos: Ovation
Berühmt aber selten, die Ovation Doubleneck mit 18 Saiten, zwei Gitarren in einer – Foto: Fecker

Auch bei der Wahl der Werkzeuge und beim Herstellungsprozess hat Charles viel Knowhow aus der Aeronautik einfließen lassen. Er hat Materialien benutzt, die kein Gitarrenbauer zur damaligen Zeit benutzen würde! Bei der Adamas zum Beispiel besteht die Decke aus zwei – the Lord have mercy – Karbonfaserplatten getrennt durch ein Lage Birkenholz! Auf Grund dieser Sandwich-Konstruktion konnte man mit einer Deckenstärke von nur 0,8mm arbeiten. Dünner kann man es mit Holz nicht machen. Eine Standard-Holzgitarre hat eine Deckenstärke von ca. 3,2mm! Die Decke ist jedoch das Herz einer jeden Gitarre. Sie entscheidet grundlegend über den Klang. Die Kunst des Gitarrenbaus ist es, die richtige Balance zwischen Flexibilität und Stabilität zu finden.

Das sogenannte Lyrachord, das Material aus dem die Roundback-Bowls gemacht werden, wurde beim Hubschrauber zur Ummantelung der Rotorblätter verwendet, welche damals noch im Kern aus Fichtenholz waren. So kam es zur fast zwingenden Verbindung zwischen Luftfahrt und Musik. Es bedurfte aber einer Persönlichkeit, die Talent, Wissenschaft, Visionen und Wagemut miteinander vereinte. Kaman schloss 1966 der Kaman Corporation die Kaman Music Corporation (KMC) an. Bald waren seine Ovation Gitarren von keinem Countrykonzert mehr wegzudenken. 2007 verkaufte er die KMC für 117 Millionen USD an die Fender Musical Instruments Corporation. Eine Ovation Gitarre kostet heute zwischen 500 und 5000 Euro.

Andreas Fecker