Luftpost 478: Hexenflug

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Foto: Fecker

Alles was irgendwie mit Fliegerei zu tun hat, ist für mich Kandidat für eine Luftpost. Was daraus entsteht, mag der Leser am Ende beurteilen, bis dahin hoffentlich mit Erkenntnisgewinn, oder zumindest mit einem Schmunzeln. Dass Hexen fliegen können, ist lange gepflegtes, mythisches Volkswissen, und zwar lange bevor Boeing und Airbus Flugzeuge entwickelt haben. Bevorzugtes Transportmittel war der umweltfreundliche Hexenbesen, plastikfrei und ohne nähere technische Bezeichnung, ohne TÜV-Siegel oder Zulassung einer Luftfahrtbehörde. Darauf reiten die Hexen durch die Luft zu ihrem Sabbat. So berichten es ernst zu nehmende Autoren seit Jahrhunderten. Also muss es wohl so stimmen, das wird jeder Verschwörungsgläubige bestätigen. Der ernste Hintergrund entstand in der Zeit der Hexenverfolgungen, in der drei Millionen Menschen von bigottischen Männern der Prozess gemacht wurde. In ihrem Wahn richteten sie zwischen 40.000 und 60.000 Beschuldigte qualvoll hin.  Frauen stellten nicht ganz zufällig dreiviertel der Opfer dar. Man unterstellte ihnen kurzerhand, sie seien Schuld an Missernten und Seuchen, am Tod oder an Deformierungen neugeborener Kinder, an persönlichem Unglück und was immer einem gerade gegen den Strich ging. Da sie offenbar mit dem Teufel paktierten, konnten sie auch auf Ofengabeln, Besen, männlichen Ziegenböcken oder Hunden reiten oder gar mit ihnen davonfliegen.

Da man ihnen das nicht nachweisen konnte, wurde behauptet, sie verließen das Haus nächtens durch ein offenes Fenster oder den Schornstein. In Grimmelshausens Simplicissimus aus dem Jahr 1669 steht auch zu lesen, dass sich die Hexen zuvor mit einer Salbe einrieben, um den Sabbat zu besuchen.

Ob es beim Fliegen hilft oder gegen Fußpilz oder Dummheit wirkt, weiß ich nicht. Aber hier ist ein altes Rezept für Hexensalbe zum Nachkochen: Man nehme Eisenkraut, Mondraute, einjähriges Bingelkraut, Donnerbart, Alraune, Frauenhaarfarn, Johanniskraut, Vogelblut und Tierschmalz. Die Kräuter wurden wohl getrocknet, zerstoßen/zerrieben, und mit dem Vogelblut sowie dem Tierschmalz zu einer Paste verarbeitet. Dabei ist davon auszugehen, dass Sonnengeflecht, Halsansatz, Arm- und Kniekehlen, Handflächen und Fußsohlen damit bestrichen wurden, um eine optimale Wirkung zu erzielen. Na denn, Hals und Beinbruch beim Start aus dem offenen Fenster!

Hexenflug – Free Vektor Grafik

Bis in die Neuzeit hielt sich der Brauch der Walpurgisnacht vom 30. April zum 1. Mai, der auf die Heilige Walburga (710-779) zurückgeht, die als Äbtissin im heidnisch geprägten Tauberbischofsheim gewirkt hat. Mit ihren sanften Heilkünsten rettete sie Menschen das Leben, und gilt daher bis heute als Gegenentwurf zum Hexenwahn.

Das Hexenmotiv wurde natürlich zu vielen Gelegenheiten missbraucht. Es zierte den Bug so mancher Kriegsmaschine im ersten und zweiten Weltkrieg. Und es hält sich bis heute in der volkstümlichen alemannischen Fasnacht, wo hunderte als Hexen verkleidete Frauen durch die Straßen toben. Gemeinsames Utensil ist natürlich der Besen. Und das bringt mich endlich zum humorigen Abschluss eines an sich traurigen Kapitels: Ehemann kommt nach Mitternacht stockbetrunken nach Hause, Ehefrau wartet bereits hinter der Tür, mit dem Besenstiel bewaffnet. Der Mann kommt ihr zuvor und lallt: „Na, bist Du noch am Putzen oder gehst Du noch ’ne Runde fliegen?“ Wenn der Suff den Verstand trübt, kann man auch schon mal die Multitasking Fähigkeiten einer langjährigen Gattin überschätzen!

Andreas Fecker