Luftpost 412: Jessica Reloaded

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Foto: Fecker

In Luftpost 113 habe ich die Geschichte von Jessica erzählt, einem damals schwerkranken kleinen Mädchen in Sardinien, das dringend ein Medikament aus Deutschland benötigte, um den nächsten Tag zu überleben. In einem ungeheuren Kraftakt wurde das Medikament über vereiste Straßen von München nach Memmingen gebracht, wo ein Starfighter der Bundeswehr wartete, um die Medizin nach Sardinien zu bringen. Schätzungsweise tausend Menschen waren auf irgendeine Weise an der Aktion beteiligt. Das war vor genau 40 Jahren, am 22. Januar 1982, ein Freitagabend. Zehntausende von Lesern hat diese Geschichte sehr bewegt. Die Anfrage eines Militärdekans im Verteidigungsministerium, ob eine solche Aktion mit der Bundeswehr von heute noch möglich sei, wurde kategorisch verneint. Dem stünden die Arbeitszeitverordnung entgegen, der Bundesrechnungshof, verschiedene Haftungsfragen, die Flugstundenplanung, die Risikoabwägung und noch einiges mehr. Ein Berliner Dokumentarfilmer plante, die Geschichte zu verfilmen und bat die Luftwaffe um Unterstützung. Auch er bekam einen Korb: „Wollen Sie der Welt zeigen, wie gut wir einmal waren?“ Was wäre falsch daran? Vor allem könnte man unserer Gesellschaft zeigen, wo wir mit unserer kleingesparten, überstrapazierten Bundeswehr wieder hinwollen. Dabei brauchen wir uns nicht zu verstecken. Wir haben mitgeholfen das eingeschlossene Sarajevo zu versorgen, Genozide in Somalia, Bosnien, Kosovo und Mali zu stoppen. Über zwanzig Jahre versorgte die Luftwaffe ein Krankenhaus in Sardinien mit Blutkonserven. Die Bundeswehr ist im ständigen Katastropheneinsatz im In- und Ausland, hilft derzeit in Gesundheitsämtern aus. In Konstanz wurde nach einem Krankenhausbrand zwei Jahre lang ein Feldhospital betrieben. Jüngst flog sie schwerkranke Covid-Patienten aus überfüllten Intensivstationen durchs Land.

Notprogramm der BSO – Foto: Pressestelle BSO

Ich hatte in der Luftpost 113 erwähnt, dass die Polizei damals einen Verantwortlichen des Pharmaunternehmens aus einer laufenden Vorstellung der Münchener Staatsoper herausgeholt hatte. Ich wollte das jetzt genauer wissen und schrieb das Haus an. Neben einer Ablichtung der Besetzung bekam ich zur Antwort: „Am 22.01.1982 stand eine Ballettaufführung auf dem Programm. Scheinbar war an dem Tag alles etwas anders. Statt dem „Nussknacker“ wurde „Das schlecht behütete Mädchen“ aufgeführt.“ Die Weichen der S-Bahn waren eingefroren, Busse fuhren nicht, Taxis trauten sich kaum auf die Straße, das öffentliche Leben kam fast zum Erliegen. Auch Musiker und Tänzerinnen des großen Nussknacker-Ensembles schafften es wegen des Glatteises offenbar nicht rechtzeitig zum Theater. Respekt, dass trotzdem noch ein Notprogramm aufgelegt wurde. In Sardinien jedenfalls gab es ein gut behütetes Mädchen, das damals überlebt hatte, dank dem beherzten Eingreifen zahlreicher Menschen, die keinen Aufwand und kein Risiko scheuten.
Andreas Fecker

 

3 Antworten zu “Luftpost 412: Jessica Reloaded”

  1. Joachim Mahrholdt sagt:

    Andy, das ist DIE Geschichte überhaupt! Ihr ward damals richtig klasse. Das erste Buch, das ich auf Italienisch gelesen habe, war Deines: Storie di sangue. Ebenso unvergesslich! Grazie mille! Jochen Mahrholdt

  2. Andreas Fecker sagt:

    Gerade entdeckt:
    Alles für Jessica

  3. Markus sagt:

    Lieber Andy,
    die Geschichte von Jessica ist für mich ein Abbild „meines Deutschlands“, mit dem ich mich vor Jahrzehnten noch identifizieren konnte, und auf dass ich stolz war. Von diesem Deutschland ist heute nichts mehr übrig. Heute sehe ich einen Selbstbedienungsladen, totgespart, fehlinvestiert, und ich sehe bereits lange nichts mehr, auf was ich stolz sein könnte. Diese alte Kultur wiederzubekommen wäre eine Mammutaufgabe für die nächsten Generationen. Irgendwie glaube ich kaum, dass ich das noch erleben werde. Zumindest trage ich die Erinnerungen in mir. Schade drum.
    Alles Gute weiterhin!
    Markus