Luftpost 391: Das Resolute Desaster. Ein Unfall mit Ansage.

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

Dass der Käpten eines Schiffes oder eines Flugzeugs das Sagen hat, weiß jeder. Ist der Erste Offizier oder Kopilot also machtlos dem Tod geweiht, wenn er davon überzeugt ist, dass man auf ein Unglück zusteuert? Oder ist das Meuterei, wenn er eingreift? Vergangene Woche war der zehnte Jahrestag eines tragischen Unfalls, der sich auf Grund einer fehlerhaften Instrumentenanzeige und einer sich dramatisch entwickelnden Diskussion im Cockpit ereignete. Aus diesem Grund übernehme ich hier einen Auszug aus meinem Buch über Flugunfälle.

Der kanadische Flughafen Resolute Bay ist einer der nördlichsten Airports der Welt. Er liegt im Territorium Nunavut. Die Fluggesellschaft First Air hat sich auf die nördlichen Routen in Kanadas Arktis spezialisiert und befliegt diese unter anderem mit Boeing 737-200. Flug 7F6560 war mit 15 Personen an Bord unterwegs von Yellowknife nach Resolute. Während des Anflugs auf Piste 35 hatte die Crew unterschiedliche Kompassanzeigen. Sie divergierten zu Beginn des Anfluges um 8°, gegen Ende um mindestens 17°. Das Wetter war neblig. Beim Einkurven auf den Localizer Kurs überschoss der Käpten. Sein Kompass zeigte einen Steuerkurs von 330°, der des Kopiloten 346°. Dazu kam noch eine 3° Grad Winddrift von links. Durch ein Versehen stand das Flight Management System des Käptens nicht auf VOR/LOC, sondern auf MAN/HDG. Es orientierte sich also nicht am Landekurssender, sondern an der eingestellten Gradzahl. Der Kopilot äußerte Bedenken, als er die Anzeigen mit seinem GPS verglich. Abgelenkt durch die Diskussion, wie es zu der Diskrepanz kommen konnte, versäumte es die Crew, auf eine sichere Höhe zu gehen und sich neu zu orientieren. Im weiteren Verlauf des Endanflugs versucht der Kopilot 25-mal (!) den Käpten davon zu überzeugen, dass sie nicht auf dem Landekurs sind. Vergeblich. Der Ko schlägt vor, den Anflug abzubrechen, auf eine sichere Höhe zu gehen und das Problem zu lösen. Er erinnert den Käpten daran, dass sich rechts vom Kurs ein 120 m hoher Hügel befindet. Und genau an dieser Anhöhe endet schließlich die Aufzeichnung des Cockpit Voice Recorders.

Zufällig fand in der Umgebung von Resolute Bay eine Übung der kanadischen Streitkräfte statt, Operation Nanook 2011. 700 Soldaten übten den fiktiven Absturz eines Flugzeugs in der Arktis. 15 Sanitäter, Ärzte und Rettungshubschrauber waren bereits vor Ort. So dauerte es nur Minuten statt Stunden, bis Helfer das kokelnde Wrack erreichten. Drei Menschen konnten lebend gerettet werden, darunter ein sieben-jähriges Mädchen.

Lassen wir die technischen und navigatorischen Ursachen einmal außer Betracht. Was zu diesem Unfall entscheidend beitrug, nennt man Crew Ressource Management (CRM). Die Zuständigkeiten im Cockpit sind eindeutig geregelt. Der Pilot Flying (PF) macht die Ansagen, der Pilot Monitoring (PM) unterstützt. Früher hieß er PNF für Pilot Non Flying. Im Zweifelsfall hat der Käpten jedoch das letzte Wort, denn allein er trägt die Verantwortung für den Flug. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Kopilot die Hände in den Schoß legen kann, wenn er gerade nicht fliegt, und stattdessen eine Abweichung oder gar eine Gefahr entdeckt. Die Schwierigkeit besteht dabei oft im zwischenmenschlichen Bereich. Manchmal hat ein Käpten zehn- oder zwanzigtausend Flugstunden auf verschiedenen Flugzeugmustern und hat schon viele kritische Situationen gemeistert. Manche Kapitäne sind lebende Legenden, denen ein junger Kopilot nicht zu widersprechen wagt, wenn er bei der Airline noch Karriere machen möchte. Der Unfall von Teneriffa war so ein Beispiel. Es gehört Mut dazu, einem solch alten Hasen die Kontrolle aus der Hand zu nehmen und „Go Around“ zu rufen. Wenn es dazu kommt, wird der Käpten das nicht rückgängig machen. Diskutiert wird dann nach der Landung. Ein weiteres Hilfsmittel ist, den Käpten mit Namen anzusprechen.

Im vorliegenden Fall von Resolute Bay war anfangs noch Zeit. So war der Vorschlag des Kopiloten absolut vernünftig und zielführend, den Anflug erst einmal abzubrechen, auf Höhe zu gehen, das Problem mit den unterschiedlichen Anzeigen zu verstehen und zu lösen. Im Endanflug aber hätte der Kopilot konkret werden und die Kommunikation nach dem PACE-Prinzip eskalieren müssen:

Probing: „Captain, zeigen Ihre Instrumente an, dass wir rechts vom Kurs sind?“
Alerting: „Captain, meine Instrumente sagen mir, wir sind rechts vom Kurs.“
Challenge: „Captain Müller, wenn wir so weiterfliegen, crashen wir gegen den Hügel.“
Emergency: „Captain, ich übernehme das Steuer. GO AROUND, vollen Schub, Flaps 10 Grad“

Auf CRM-Schulungen, die regelmäßig durch Auffrischungslehrgänge zu ergänzen sind, werden solche schwierigen Situationen durchgesprochen und trainiert. Die Stichprobe einer CRM-Grundlagenschulung vom 03. April 2012 bei First Air zeigte jedoch, dass die Airline aus dem Unfall nichts gelernt hatte. Der für zwei Tage vorgesehene Lehrgang wurde auf einen Tag verkürzt. Dazu hat man von neun wichtigen Themengebieten sechs ersatzlos gestrichen. Der Rest wurde in Kurzreferaten zwischen 5 und 15 Minuten pro Thema abgehakt. Die ganze Veranstaltung dauerte 2 Stunden und 7 Minuten, eine 15-minütige Kaffeepause eingeschlossen. Dabei waren seit dem tödlichen Unfall gerade mal sieben Monate und zwei Wochen vergangen!

Andreas Fecker

2 Antworten zu “Luftpost 391: Das Resolute Desaster. Ein Unfall mit Ansage.”

  1. Andreas Fecker sagt:

    Die Umstände, die zu diesem Unglück führten, tun mir unendlich leid. First Air mag eine kleine Airline sein, aber sie versorgt zuverlässig seit 1946 ein Land mit der Fläche von 10 Millionen km², ein Gebiet, so groß wie Europa vom Ural bis nach Portugal und von Norwegen bis Sizilien. First Air versorgt Eisbrecher auf der Nordwestpassage, Forscher auf einsamen Inseln im Polarmeer, fliegt Kranke zu den großen Krankenhäusern Kanadas.
    Dabei leben in den beiden flächengrößten Provinzen Nunavut und Northwest Territories gerade mal 70.000 Einwohner. Andererseits bedeutet das Fliegen in diesem Teil der Erde eine Herausforderung, wie man sie hierzulande gar nicht kennt.
    Nach dem Unfall unterzog sich die Airline allerhand Veränderungen und Zusammenschlüssen. Seit dem 31.05.2021 fliegt sie als „Canadian North“. Sie ist ein Beispiel für eine Fluggesellschaft, die eine lange gewachsene soziale Verpflichtung gegenüber der Bevölkerung hat, und diese mit Bravour erfüllt. Mit ebendieser Ausnahme. In diesem Portal wird demnächst ein Portrait über diese Fluggesellschaft erscheinen.

  2. Hans-Wolfgang Mahlo sagt:

    Trotz des tragischen Ausgangs ein Hinweis darauf, dass die Luftfahrt bereits dieses seltene Ereignis antizipiert hat und trainiert.
    Vielen Dank für diesen interessanten Bericht.