Luftpost 390: Flucht aus Kabul

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Foto: Bildarchiv Fecker

Nach der Taifun-Katastrophe von 2013 im philippinischen Tacloban evakuierte die US Air Force in einer C-17 Globemaster 650 Menschen. Vergangene Woche war es wieder einmal so weit: Die Taliban überrannten eine Provinz nach der anderen, die afghanischen Streitkräfte hatten sich innerhalb weniger Tage „atomisiert“. Plötzlich wurden die Befürchtungen wahr, Dolmetscher, Köche, Fahrer, alle Ortskräfte der NATO und ihre Familien sind in Lebensgefahr. Auch deutsches Personal von Nachrichtenagenturen, Reporter, Ärzte, Lehrer, Techniker, Botschaftsangehörige, Vertreter in Verbindungsbüros von NGO’s, Mitarbeiter von UNO und UNESCO wollen/müssen das Land verlassen. Die US Air Force flog in einer chaotischen Lage erste afghanische Flüchtlinge mit einer C-17 aus Kabul. In das Großraumflugzeug, das eigentlich nur für 134 Passagiere ausgelegt ist, wurden 640 Menschen gepfercht und nach Doha gebracht. Sie mussten sich am Boden sitzend an Gurten festhalten. Weitere Globemaster folgten ebenfalls mit vielen hundert Menschen an Bord. Mittlerweile fliegt die US Air Force tausende von Flüchtlingen nach Ramstein.

Flucht aus Kabul im Innern einer USAF Globemaster – Foto: USAF

Die Lage am Flughafen ist mehr als unübersichtlich. Als der erste Globemaster zum Start rollte, rannten verzweifelte Menschen nebenher, hielten sich am Fahrwerk und an Klappen fest. Manche stürzten nach dem Start zu Tode. Mehrere Transporter der Bundeswehr waren schon im Anflug, konnten aber wegen der Menschentrauben auf der Piste nicht landen. Nach stundenlangem Kreisen flog die erste Maschine nach Taschkent zurück zum Tanken. Eine zweite A400 übernahm die Warteschleife und landete am frühen Morgen. An Bord waren Fallschirmjäger, die in den nächsten Tagen deutsches Personal, Journalisten, Helfer, Ortskräfte und deren Familien zum Airport bringen und die Evakuierung absichern würden. Für den ersten Rückflug hatten es gerade einmal sieben Personen an den Flughafen geschafft, die auf einer der verschiedenen Evakuierungslisten standen. Für die Weltpresse war das natürlich eine willkommene Kontrastmeldung zu dem Bild mit den 640 Afghanen. Schon tags darauf entwickelte sich jedoch auch bei der Bundeswehr eine Routine, mit der – inzwischen mit fünf A400 mehr als fünftausend Menschen in Sicherheit gebracht wurden. 600 unserer Soldaten sind dazu vor Ort. Die Lufthansa hilft beim Weitertransport von Taschkent nach Deutschland. Doch Zeit und Sicherheitslage drängen.

Evakuierung gefährderter Ortskräfte aus Kabul mit einer A400M der deutschen Luftwaffe. – Foto: Bundeswehr/Marc Tessensohn

Die aktuelle Evakuierungsaktion erinnert an die Operation Solomon der Israelis. Am 24.05.1991 wurden 14.400 äthiopische Juden aus Addis Abeba innerhalb von 24 Stunden mit Herkules, Boeing 707 und 747 ausgeflogen. Der Staat befand sich in Auflösung, Rebellen eroberten das Land. Mit vollgestopften Bussen wurden die fliehenden Menschen von der israelischen Botschaft in der Stadt zum Flughafen gebracht und fast im Minutentakt nach Tel Aviv geflogen. Aus den Passagiermaschinen hatte man alle Sitze entfernt und den Boden mit Matten ausgelegt. Die Boeing 707 fasste so 500 Menschen, die 747 sogar 1088! Weltrekord.

So wie sich die weltweiten Katastrophen und humanitären Desaster in immer kürzeren Abständen häufen, wird man sich weltweit mit Hilfseinsätzen und Evakuierungen planerisch frühzeitig beschäftigen müssen. In Tacloban gab es 10.000 Tote, 2008 im chinesischen Sichuan 70.000. Verletzte und Obdachlose tauchen nur selten in den Statistiken auf. Der Tsunami im indischen Ozean forderte 230.000 Menschenleben, 110.000 wurden verletzt, 1,7 Millionen obdachlos. Haiti blutet  gerade nach dem verheerenden Erdbeben. Mal wieder. Kein Staat kann das alleine schaffen. Und immer nur auf die Amerikaner zu vertrauen ist bekanntlich auch nicht die Lösung.

Andreas Fecker

4 Antworten zu “Luftpost 390: Flucht aus Kabul”

  1. Günther sagt:

    Es ist immer wieder erstaunlich was man leisten kann wenn es eigentlich schon zu spät ist, anstatt in Ruhe überlegt vorausschauend zu handeln solange es noch Zeit ist.

  2. Karl Seiler sagt:

    Als Soldaten und noch mehr als Offiziere haben wir gelernt, was FÜRSORGEPFLICHT gegenüber Untergebenen heißt – und danach gehandelt. Viele unserer verantwortlichen Politiker (m/w/d) scheinen das Wort nicht zu kennen.

  3. HBBHB sagt:

    Die Amis „schaufeln Menschen aus Kabul raus“ was geht. Hut ab ! Auf Flight Radar sieht man nicht alles, aber einen Eindruck, aus Perspektive der heilen Welt in der BRD bekommt man doch. William Burns war heute in Kabul, ich möchte nicht ausschließen, dass sich mit den „Mullas“ doch noch ein Deal einrichten lässt. Nach „außen“ haben sie zwei Mal die USA „bezwungen“, was zählt ist, dass so viele wie möglich raus kommen. Ja, und zynisch gesehen, Brain-Drain tut denen gut, die freiwillig im Land bleiben.

  4. Andreas Fecker sagt:

    Don’t TELL me you’re a Christian, SHOW me!’ Robert D. Ray (1928-2018), Governeur von Iowa, über den Widerstand seiner Landsleute gegen die Aufnahme vietnamesischer Boat-People.