Luftpost 380: Geschäftsreisen

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12 Uhr mittags, Frankfurt am Main. All-Wetter Taft: Die Frisur sitzt.

Als ich noch in Dreieich bei Frankfurt wohnte, nutzte ich regelmäßig eine Waschanlage in der Nähe meiner Wohnung. Dieser blieb ich auch treu, als ich 15 km weiter in das benachbarte Langen zog. Eines Tages war meine Stamm-Waschanlage defekt, die Reparatur dauerte mindestens eine Woche. Da entdeckte ich ganz in der Nähe meiner neuen Wohnung eine neue, moderne Waschstraße. Fortan nutzte ich diese. Solche Konsequenzen kann man fast überall im Leben beobachten: Eine liebgewonnene Gewohnheit wird jäh unterbrochen, man sucht und findet eine Alternative, die womöglich sogar noch besser ist. Wir nennen das in unserer Familie seitdem den „Waschanlageneffekt“.

Ähnliches erleben wir gerade mit dieser globalen Krise. Die Airlines der Welt hatten sich darin eingerichtet, dass sie systemrelevant sind. Betriebe und Institutionen, Konzerne und wissenschaftliche Einrichtungen, Versicherungen, Regierungen, Verbände, Redaktionen, Ausstellungen, Handelsmessen waren praktisch auf Geschäftsreisen, gegenseitige Besuche und persönlichen Austausch abonniert. Hotels richteten großflächige Konferenzräume ein, die Übernachtungspreise während dieser Veranstaltungen vervielfachten sich, die Messezuschläge von bis zu 400 Prozent waren fest im Jahreshaushaltsplan eingerechnet. Allein die Messestadt Frankfurt verzeichnete 2019 elf Millionen Übernachtungen. Da explodierten sogar im entfernten Umland die Übernachtungspreise in einer Pension von 40 auf 180 Euro pro Nacht. Die Pharmalobby lud zur Präsentation ihres Sortiments nach Barbados ein, Ärzte reisten zu Fachkongressen um die halbe Welt und hingen gleich noch ein paar Tage Urlaub vor Ort dran.

Und plötzlich, fast von einem Tag auf den anderen ist totale Flaute. Nichts geht mehr. Alle Veranstaltungen werden storniert, alle Reisen gestrichen. Sogar kleine Sportvereine installieren Videoanlagen, übergroße Monitore und Kameras, und bieten Home-Training an, denn alle Sporthallen sind geschlossen. Betriebe und Verwaltungen bauen auf Home-Office, sofern der Datenschutz das zulässt. Kongresse werden in die eigenen vier Wände übertragen, Podiumsdiskussionen finden in einem kleinen Studio statt, die Teilnehmer stellen ihre Fragen über einen Monitor, der Moderator liest sie vor. Die traditionelle Dienstreise hat ausgedient. Noch 2019 wurden in Deutschland 195 Millionen Geschäftsreisen gebucht. Das schlug sich mit 55 Milliarden Euro in den Bilanzen nieder. 2020 dann der Corona-Einbruch: Die Zahl der Business Trips sank auf unter 20 Millionen und brachte eine Kostenersparnis von 90 Prozent!

Die Finanzcontroller jubeln, denn die haben qua Jobbeschreibung schon immer die Notwendigkeit verschiedener Dienstreisen in Frage gestellt (Hallo Herr Geistl!). Frankfurt registrierte nur noch vier Mio Übernachtungen. Die Dax-Konzerne haben bereits für die Zeit nach Corona massive Einsparungen bei Reisen angekündigt. Auch unter Klimaaspekten ist das eine wichtige Entscheidung. Nur wo der persönliche Kontakt absolut notwendig ist und zu einem geschäftlichen Vorteil führt, sollen noch Reisen möglich sein. Zoom-Konferenz statt Reisen und feuchten Abenden an der Cocktailbar. Wie sich die Digitale Buchmesse 2020 in Frankfurt auf den Umsatz auswirkt, wird man an den Verkaufszahlen sehen. Manche Autoren durften in einem dreiminütigen Videoclip ihr Buch vorstellen, wo früher eine Lesung vor Publikum mit anschließender Diskussion stattfand.

Da viele dieser Geschäftsreisen in der Businessklasse stattfanden, bricht den Airlines eine wichtige Einnahmequelle weg. Die wird mit Urlaubern und Pauschaltouristen nur schwerlich aufzufüllen sein. Zwangsläufig konzentriert sich zum Beispiel die Lufthansatochter Swiss darauf, sich in Zukunft mehr um Ferienreisende zu kümmern. Diese Umwälzungen werden die Flugzeughersteller genauso treffen wie die Gastronomie und das Übernachtungsgewerbe. Lange Zeit kannte der Tourismus nur eine Richtung, steil nach oben. Auf Grund von optimistischen Prognosen wurden richtungsweisende Entscheidungen beim Bau von Flughäfen und der Bestellung von Flugzeugen getroffen. Die Staaten bereiteten ihre Infrastruktur und ihr Personal auf stets wachsende Zahlen vor. Und dann kam der Waschanlageneffekt.

Andreas Fecker

 

2 Antworten zu “Luftpost 380: Geschäftsreisen”

  1. Markus sagt:

    Am wenigsten bedauere ich die Hotel-Mafia mit ihren überteuerten Messepreisen. Klar schläft man auf der speziell für die Messe handgefertigten Matratze deutlich besser. Aber muss man gleich 400 % besser schlafen?

  2. CARL sagt:

    Nun, CORONA hat auch einiges „Gutes“:
    Z.B. keine Hooligans, weniger unnütze Flüge, No Handshakes.
    Und einen Gruß an Mr. Geistl ?