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Luftpost 357: Triage

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Andreas Fecker

Diese Luftpost ergänzt aus traurigem Anlass die Luftpost Nummer 133, „Rot-Gelb-Grün“. Der Begriff Triage drängt sich derzeit tragischerweise wieder in unser Bewusstsein. Man benutzte ihn bisher nur bei Großschadensereignissen, wie der ICE Katastrophe bei Eschede, der Feuerwerkexplosion in der niederländischen Stadt Enschede oder bei Flugzeugkatastrophen wie Ramstein oder Teneriffa. Damals war man noch nicht darauf vorbereitet, aber man lernt ja aus solchen Unglücken dazu. Dass aber Corona deutsche Krankenhäuser zu Maßnahmen der Selektion zwingen würde, hätte vor Jahresfrist niemand zu träumen gewagt. Wir erlebten das dann in Bergamo oder in den USA. Wir Deutschen verließen uns ganz auf unser vorbildliches System von überwiegend gut ausgestatteten Krankenhäusern und reichlich Reserven an Intensivbetten. Und natürlich auf die Vernunft der Bevölkerung. Doch niemand hatte die Verschwörungstheoretiker eingerechnet, besonders in Sachsen, dem Mutterland von Pegida, wo eine Mischpoke von verschwörungssüchtigen Quarkdenkern, Esoterikern, Impfgegnern, AfD-Politikern, Reichsbürgern und Rechtsextremen Kundgebungen für maskenlose Freiheit veranstaltet, und ein angebliches Grundrecht verteidigt, sich selbst und andere anzustecken. Gerne auch im Urlaub. Sie bezeichnen Corona als Erfindung von Drosten, Merkel und Gates, beklagen Bevormundung durch Wissenschaft und Politik, vergleichen sich gar mit KZ-Opfern, die wiederum rechtsnationale Mitläufer grundsätzlich leugnen. In den sächsischen Krematorien stapeln sich die Särge, Dresden, Zittau und Chemnitz kommen nicht mehr nach, die Toten einzuäschern. Die Leichen werden in angemieteten Kühllastern in Lagerhallen aufbewahrt.

Beispiel für Farbanhänger, entlehnt aus Katastropheneinsätzen mit zahlreichen Verletzten. Es mag ja makaber sein, aber wenn wir Corona nicht stoppen, und unsere Intensivstationen über dem Limit sind, werden auch wir uns an solche und ähnliche Einstufungen gewöhnen müssen. Es sei denn, die Vernunft setzt sich durch, wir halten uns an die Regeln und lassen uns flächendeckend impfen. –  Grafik: Fecker

Weil das so ist, müssen überarbeitete Ärzte und Krankenpfleger in überfüllten Intensivstationen und verstopften Krankenhausfluren mittlerweile die Patienten sortieren: Wer hat noch eine Chance auf Heilung? Bei wem lohnt es sich mit Sauerstoff zu beatmen? Welcher Patient ist noch verlegungsfähig, und wer wird zum Sterben auf den Flur geschoben? Hier kollidieren verschiedene Disziplinen: Medizin, Rechtswissenschaft und Philosophie. Gesetzliche Regelungen gibt es keine, die Entscheidung ist in das Ermessen der Ärzte gestellt. Sie wird sich deshalb nüchtern an der klinischen Erfolgsaussicht orientieren müssen. Jedes Leben ist gleich hoch zu bewerten. Und doch steht der Arzt – vielleicht unbewusst – vor dem ethischen Dilemma einer Altersdiskriminierung: Rette ich den jungen Mann, der vielleicht noch 50 Jahre vor sich hat, oder rette ich das vielleicht letzte Lebensjahr des 85-jährigen im Bett nebenan? Wenn nur noch ein Gerät übrig ist, beatme ich den erkrankten Coronaleugner oder den angesteckten Rettungssanitäter?

Der Arzt wird wahrscheinlich nicht im Sinne persönlicher Kriterien entscheiden, sondern notgedrungen auf Behandlung derer verzichten, bei denen keine oder nur eine sehr geringe Erfolgsaussicht besteht. Bitter ist das allemal. Würdiger Abschied von Angehörigen? Fehlanzeige. Sterbebegleitung? Ja wie denn? Und da sich immer mehr Ärzte und Mitarbeiter des Krankenhauspersonals an ihren Patienten angesteckt haben, müssen immer weniger erschöpfte, überarbeitete Ärzte und Pfleger an COVID erkrankte Menschen versorgen. Sie sind ausgemergelt, frustriert, nassgeschwitzt unter mülltütenähnlicher Schutzkleidung und Masken, die so manche ihrer Patienten abgelehnt hatten zu tragen. An diesem 01. Januar 2021 können wir nur hoffen, dass sich möglichst wenige Familienfeiern zu Weihnachten und Silvester als weitere Großschadensereignisse für unsere Krankenhäuser herausstellen.

Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 357: Triage”

  1. Andreas Fecker sagt:

    Professor Dr. Werner, Chef der Essener Uni-Klinik am 14.04.2021: „Die sogenannte Triage, also die Auswahl, welche Patienten übernommen werden können und welche nicht, beschäftigt das medizinische Personal täglich.“ „Die Triage findet vor den Mauern der Krankenhäuser statt. Eben in der Selektion von Zuweisungen, wo man einfach sagen muss, wir haben hier eben nichts. Wir können nur einen nehmen und das sind Momente, wo man entscheidet, wen nimmt man denn jetzt auf. Das soll jetzt nicht überbewertet dramatisch sein, aber es kann auch nicht verschwiegen werden, weil es unser Personal täglich beschäftigt.“