Luftpost 338: Senf, Sempf oder Senft

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Foto: Archiv Fecker

Seit Corona habe ich kein Flugzeug mehr betreten. Da ich aber die Szene verfolge, höre ich von maskenbedingten Missverständnissen beim Check-in, die Bordkommunikation in der Kabine ist erschwert, die freundliche Unterhaltung mit dem Sitznachbarn entfällt meist ganz. Mir fallen Parallelen zum Alltag ein, die Bäckerin hat Schwierigkeiten, mich zu verstehen, ich verstehe nicht, wenn sie mir hinter Tresen und Plexiglasscheibe unter ihrer Maske den Betrag zuruft, den ich bezahlen soll. Da fällt mir ein, dass die Sommerferien vorbei sind (sollte ich Corona-Ferien sagen?) und die Kinder wieder zum Unterricht in die Schule gehen. In mehreren Bundesländern mit Maske.

Lernerfolg im Unterricht stellt sich ein, wenn sich Sehen, Hören, Lesen und Sprechen die Waage halten und das Gehirn den Stoff nebenher verarbeiten darf. Freie Sicht zwischen Schüler und Lehrer sind im Präsenzunterricht zu gewährleisten. Die Mimik des Schülers zu beobachten, zweifelnd, fragend, erleuchtet, begeistert, gelangweilt ist für die Unterrichtssteuerung des Lehrers ausschlaggebend.

Besonders in Ballungszentren sind Lehrer aber mit einem Problem konfrontiert, das sich langfristig auf die Sprache und den beruflichen Erfolg ihrer Schüler auswirken dürfte: Verkehrslärm. In Anrainergemeinden von Verkehrsflughäfen gab es schon lange Proteste, dass bei Diktaten der Lehrer innehalten musste, wenn ein Überflug stattfand. Oder Schüler protestierten gegen ihre Diktatnoten und führten den Fluglärm als Begründung an. Bisher konnte man das durch Schließen der Fenster regulieren. Oder durch den Einbau von Schallschutzfenstern. Seit Corona sollen aber zumindest im Sommer die Fenster offenbleiben, um den Luftaustausch im Klassenzimmer zu gewährleisten.  Letzter Stand der Forschung ist, dass Covid-19 primär durch Aerosole übertragen wird, wie sie jeder Mensch beim Sprechen ausstößt. Also dämpft man diesen Ausstoß durch das Tragen eines Mund- und Nasenschutzes, was auch das Anatmen fremder Aerosole erschweren soll.

Das birgt ein zusätzliches Problem: Die Sprache wird dadurch schwerer verständlich. Eine modulierte Sprechweise, die einem guten Lehrer bisher leicht von den Lippen ging, wird erschwert. Eine geduldige Mine beim Erklären eines schwierigen Sachverhalts zu demonstrieren, die Geduld in der verbalen Erklärung mitschwingen zu lassen, ist für den maskierten Pädagogen nur noch schwer möglich, und bisweilen auch sehr anstrengend. Hier gibt es bereits pädagogische Verluste.

Eine Maske vor dem Mund ist fürs Lesen- und Schreibenlernen extrem hinderlich. Besonders im Anfangsunterricht bei Grundschülern wird nämlich intensiv trainiert, auf die phonetische Position im Wort und die Stellung von Lippen und Zunge bei der Lautbildung zu achten. Wo klingt der Laut im Wort? Klingt der Vokal lang oder kurz? Was hört man am Anfang und am Ende eines Wortes? Da wird aus Senf schon mal Sänf, Sempf oder Senft! Der Lehrer hat durch die Maske fast keine Chance, diese Nuancen herauszuhören und sofort korrigierend einzugreifen. Alles hört sich an, als hätte man eine Wolldecke im Mund. Dabei sind das die Grundlagen des Rechtschreibunterrichts. Da müssen eine deutliche Aussprache und scharfes Hinhören gewährleistet sein. Undenkbar mit Maske!

Wenn dann auch noch Verkehrslärm durch die offenen Fenster in die Klassenzimmer dringt, muss man entweder innehalten oder die Störgeräusche übertönen. Das bedeutet noch mehr Anstrengung. Halten das die Stimmbänder der Lehrkräfte sechs Stunden am Tag aus? Dass viele Kinder auch noch Gehörschäden durch das ständige Kopfhörertragen mitbringen, spielt auch noch mit. Wenn aber Hören zu anstrengend wird, lässt die Aufmerksamkeit nach, die Gedanken schweifen ab, das Kind stört andere.

Ein Mittel dagegen wären halbierte Klassen, Co2-Ampeln, die die Luftqualität anzeigen, kleinere Lerngruppen, Lärm-Ampeln und mehr Lehrkräfte. Unterricht könnte in Schichten angeboten werden, vier Stunden vormittags, vier Stunden nachmittags, hybrid ergänzt durch digitales Lernen von geeignetem Stoff, attraktiv und professionell aufbereitet. Das alles würde zu einem sowieso überfälligen fundamentalen Wechsel unseres Schulsystems führen. Und jetzt endlich hätten wir auch den zwingenden Anlass, die Lehrpläne zu entrümpeln! Utopia lässt grüßen.

Leserbrief in der AZ

Das wichtigste aber ist, dass das Maskengemaule endlich aufhört! Das ganze Land muss an einem Strang ziehen, die Corona-Skeptiker müssen notfalls durch drastische Verlaufsberichte überzeugt werden, dass wir uns damit gegenseitig schützen. Die Spaßgesellschaft muss sich in Geduld üben. Dann können wir das Problem in den Griff kriegen. Wir könnten die Pandemie schon einmal eindämmen, bis es einen zertifizierten Impfstoff gibt, und unsere Kinder könnten wieder normal lernen. Dann verstehen wir auch die Flugbegleiterin, wenn sie – von der Maske befreit – eines Tages wieder fragen darf: „Chicken or beef? Kaffee oder Tee? Milch und Zucker? Mineralwasser oder Tomatensaft?“ Das ist dann unser Stichwort für, „Nein danke, aber über ein Glas Rotwein würde ich mich freuen.“ Das ginge dann ohne Maske ganz leicht und verständlich von den Lippen! Deshalb werbe ich für die Maske!

Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 338: Senf, Sempf oder Senft”

  1. Wolfgang Zimber sagt:

    Hundert Prozent d’accord.
    Danke für den klugen Beitrag.
    Wolfgang