Luftpost 330: Flaggenparade

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Foto: Fecker

Der Fliegerhorst Kaufbeuren gilt mit 728 m ü. d. M. als eine der höchstgelegenen Kasernen Deutschlands. 1934 erbaut, beherbergte er verschiedene Ausbildungsregimenter, Flugzeugführerschulen, Kampfgeschwader und Lufttransporteinheiten. Nach dem Krieg belegte die US Army den Fliegerhorst, bis er 1957 an die Bundesrepublik Deutschland übergeben wurde. Die Luftwaffe nutzte die umfangreichen Liegenschaften samt amerikanischer Veränderungen als technisches Ausbildungszentrum. Flugzeugtechniker wurden hier an Starfighter, Phantom, Tornado und Eurofighter ausgebildet. Da die Pistenlänge mit 6000 Fuß nicht dem Standard für Strahlflugzeuge entspricht, baute man in den späten 1990er Jahren eine Hakenfanganlage ein, damit man auch für Kampf-Jets eine sichere Landung gewährleisten konnte. Das jeweilige Flugzeug stand dann etwa ein Jahr im Hangar und wurde dutzende Male von Lehrlingen und angehenden Flugzeugtechnikern zerlegt und wieder zusammengeschraubt. Klar, dass sich beim jährlichen Flugzeugwechsel keine Piloten fanden, die ein solches Lernobjekt auf einer 6000-Fuß-Piste ausfliegen wollten. Also wurden die Jets jeweils zerlegt und nachts auf Tiefladern durch die Stadt zur nahegelegenen Bundesstraße transportiert, über die sie dann nach Lechfeld gelangten. Dazu mussten regelmäßig Laternenmasten, Ampelanlagen und Straßenschilder umgelegt oder vorübergehend entfernt werden.

In Kaufbeuren wurden unter anderem auch die Flugberater und Fluglotsen von Luftwaffe, Heer und Marine ausgebildet. Und da auch die Konstruktion von Instrumenten-An- und Abflugverfahren ein Flugsicherungsthema ist, fanden hier regelmäßig Lehrgänge zu diesem Spezialgebiet statt. Am 28. Mai 1996 krachte eine amerikanische Regierungsmaschine beim Anflug auf das kroatische Dubrovnik gegen einen Berg. Sofort begann die Suche nach der Ursache. Ein beitragender Faktor waren die Anflugverfahren, die offenbar für Flugzeuge russischer Bauart taugten (2-NDB-Approach), aber nicht für moderne Jets des Westens. Der bei dem Unfall ums Leben gekommene Handelsminister Ron Brown war ein persönlicher Freund von Präsident Bill Clinton. Wenn der amerikanische Präsident seinem Pentagon einen leidenschaftlichen Auftrag zum Abstellen eines Mangels erteilt, dann steigt dort die Betriebstemperatur. Und wenn das Pentagon einen Schnupfen hat, bekommt die NATO eine Lungenentzündung. Also berief man im zuständigen NATO Hauptquartier Süd eine Krisensitzung nach Neapel ein. Der deutsche Vertreter brachte die Flugsicherungsschule in Kaufbeuren für die Berechnung neuer Verfahren in die Diskussion. Alle Verfahren im ehemaligen Jugoslawien galt es zu überprüfen und nach gängigen Standards neu zu konstruieren. Kanada, Frankreich, die USA und Deutschland boten Spezialisten an, die nach Kaufbeuren reisen würden, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Es war auch naheliegend, dass dies unter deutscher Leitung stattfinden würde.

Fortan rechneten sich die Spezialisten über Monate hinweg an sieben Tagen die Woche, bis zu 12 Stunden am Tag durch topographische Karten, plotteten Anhöhen, Berge, Masten, Hochspannungsleitungen, Kirchtürme, Minarette und andere Hindernisse jeweils im Umkreis von 50 Meilen rund um Mostar, Sarajevo, Tuzla und Banja Luka. Sie konstruierten dreidimensionale Trapeze und legten Anflugkurse, Höhen und Radien fest, die die Flugzeuge mit Hilfe von Instrumenten auch bei schlechtem Wetter sicher auf die jeweiligen Flughäfen bringen würden. Sie zeichneten und publizierten Verfahrenskarten für den zivilen und militärischen Flugverkehr aus 25 Nationen der SFOR. In den Jahren darauf wurden weitere Verfahren bestellt, so dass sich das Team immer wieder in Kaufbeuren traf. Und jetzt komme ich zur oben angekündigten Flaggenparade.

Hauptwache Fliegerhorst Kaufbeuren vorher – Foto: Archiv TSLw Kaufbeuren

Kaufbeuren war nicht nur der höchstgelegene Fliegerhorst Deutschlands, die Kaserne hatte auch zwei Flaggenmasten, die wohl zu den längsten unseres Landes gehören mussten, ein Überbleibsel aus der Zeit der amerikanischen Besatzung. Schließlich sollten die Stars-and-Stripes ja hoch über der Stadt wehen und weithin sichtbar sein. Der deutsche Leiter der obengenannten internationalen Truppe bestand darauf, dass morgens nicht nur Schwarz-Rot-Gold aufgezogen wurde, sondern auch die blaue Flagge der NATO. Das wurde von dem Team als Hommage an ihre Arbeit verstanden und diente auch der Motivation.

Hauptwache Fliegerhorst Kaufbeuren nachher – Foto: Pressestelle Luftwaffe

Zu dieser allmorgendlichen Zeremonie wurde die Straße gesperrt und die Tore geschlossen, niemand kam mehr rein oder raus. Autofahrer mussten den Motor abstellen und aussteigen. Wer eine Uniform trug, nahm Haltung an und grüßte militärisch. Nun standen nicht immer zwei Soldaten zur Verfügung, um die beiden Flaggen gleichzeitig zu hissen. Wenn das einer allein machen musste, dauerte es halt doppelt so lange. Und in dieser Zeit staute sich auf der Straße der Verkehr in beide Richtungen, zumal dies kurz vor Dienstbeginn war. Angeblich veranlasste das den Kaufbeurer Polizeichef beim Kommandeur der Schule vorzusprechen, wie man dieses morgendliche Ärgernis aus dem Weg räumen konnte. War es dann Zufall, dass die Masten im Jahr 2000 um die Hälfte gekürzt wurden? Zumindest war dann allen geholfen, und die Wachsoldaten bekamen auch keine Schwielen mehr an den Händen.

PS: Was ist der Unterschied zwischen einer Flagge und einer Fahne? Flaggen werden gehisst, Fahnen werden getragen. Ich musste 70 Jahre alt werden, um das endlich zu lernen! Das Leben ist halt ein lebenslanger Lernprozess! Und ich genieße jeden Tag dabei.

Andreas Fecker

3 Antworten zu “Luftpost 330: Flaggenparade”

  1. Andreas Fecker sagt:

    Aus einer Zuschrift: „Es gibt noch einen weiteren Unterschied: Eine Fahne kann man sich antrinken, eine Flagge nicht!“

  2. Günter-Julius sagt:

    Von August 1957 bis Dez. war ich in Kaufbeuren auf Lehrgang für den Flugzeugtechniker für die Thunderstreak F-84 F, die die ersten Jabos waren, die das Jabo 31, „Boelcke“ hatte. Ende Dez. ging es nach Büchel und im Jan. 58 nach Nörvenich. Damals war noch klar, wo die Bösen waren. Im Osten, hinter unserer Grenze 🙂 Heutzutage können sie an jeder Ecke lauern :-(. Ich bin dankbar meiner Mutter, die mir Gene mitgab, die mich bis heute, Juli 2020, gesund und munter gehalten haben. Was ich gerne noch ein paar Jahre bleiben möchte. GJNeuber, Stuffz. a. D., in Kürze 87 Jahre alt.

  3. Andreas Fecker sagt:

    F-84! Dann werden Sie sich sicherlich über dieses Husarenstück aus Büchel freuen:
    https://www.airportzentrale.de/luftpost-22-das-husarenstuck/29208/