Leseprobe 40 – „Fluglärm“

Werbung
Es war mir eine Herzensangelegenheit, zwischen Flughafenbefürwortern und Flughafengegnern zu vermitteln – Foto: Fecker

Dieses Buch habe ich 2013 in meiner Frankfurter Zeit mit Leidenschaft geschrieben. Schon als Militärfluglotse verspürte ich diesen Enthusiasmus. Das normale Verkehrsaufkommen war mir nie genug, weshalb ich meine Versetzung an den damals verkehrsreichsten Militärplatz Europas beantragte, nach Decimomannu, Italien. Wenn dort der Verkehr an der Kapazitätsgrenze war, fühlte ich mich erst richtig wohl, und wenn dann auch noch eine Krise auftrat, wie Gewitter am Platz, Luftnotlagen, Vogelschlag etc. konnte ich mich an der Arbeit geradezu berauschen.
Vier Jahren später kam ich zurück nach Deutschland und suchte neue Herausforderungen: Wirklichkeitsnähere Simulation an der Schule, Verbesserungen in der Ausbildung und bei der Motivation des Nachwuchses. Ich spezialisierte mich weiter zum Designer für Instrumenten-An- und Abflugverfahren, gab Lehrgänge mit europaweiter Beteiligung. Nach dem Bosnienkrieg übertrug man mir die Neukonstruktion aller Flugverfahren in dem geschundenen Balkanstaat. Und weil man dort meine Arbeit schätzte, baten die bosnischen Behörden unser Ministerium, mich für ein Jahr nach Sarajevo abzuordnen.

Dort begriff ich aus erster Hand, wie sehr der größte Flughafen des Landes als einzige Lebenslinie für die Menschen diente, die von jeglicher Versorgung abgeschnitten waren. Aber der Airport war zerschossen, alle Navigationseinrichtungen zerstört oder geklaut, er wurde sabotiert, die Notstromversorgung funktionierte nicht, Kabel wurden über Nacht gestohlen, es war anfangs ein täglicher Kampf gegen Windmühlen. Frust, Verzweiflung, Wut und Tränen wechselten sich mehrmals am Tag ab. Dazu kamen so frisch nach dem Krieg abgrundtiefer Hass untereinander, Missgunst und das gegenseitige Misstrauen unter den drei Ethnien.


Werbung

Aus Sarajevo Airport wieder eine sichere, funktionierende Einrichtung zu machen, einen reibungslosen Luftverkehr zwischen dem Land und Resteuropa zu ermöglichen, damit die Regierungschefs, Banker und Diplomaten der Welt, die Bevölkerung und ausländische Investoren auch bei schlechtem Wetter sicher einreisen konnten, das war meine Aufgabe. Außerdem mussten die anderen drei Flughäfen Mostar, Tuzla und Banja Luka wieder ausgestattet, in das System eingebunden und die militärische Verantwortung von der SFOR nach und nach wieder in bosnische Hände gelegt werden.

Der Flughafen von Sarajevo war über Jahre hinweg die Nabelschnur für Millionen von Menschen, wie einst Tempelhof während der Blockade.  Fluglärm spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Als dann bald darauf der Kosovokrieg losging, wurde Sarajevo aus Sicherheitsgründen wieder geschlossen. Damit brach die ganze Wirtschaft in Bosnien wieder ein. Meine Zeit auf dem Balkan ging kurz darauf zu Ende. Die letzten Jahre meiner aktiven Dienstzeit verbrachte ich dann im Luftraummanagement und auf Arbeitssitzungen in Brüssel zur Harmonisierung des Luftraums über Europa. Seither schreibe ich Bücher über Luftfahrt. Vor diesem Hintergrund wird man sicherlich besser verstehen, warum ich Flughäfen mit ganz anderen Augen sehe und warum ich „eine gewisse Affinität zur Luftfahrt habe“. Ich wollte nicht einfach „mitschwätzen“, sondern Stellung beziehen, vermitteln, beide Seiten zu Wort kommen lassen, Frieden stiften. Hier nun eine Leseprobe aus meinem Buch, „Fluglärm“, das zwar 2013 einen Journalistenpreis eingefahren hat, von den Fluglärmgegnern aber leider aktiv boykottiert wurde.

Fluglärm ist ein Dauerbrenner, der allerorts heftig diskutiert wird. Dabei sind auf beiden Seiten viele nachvollziehbare Argumente, persönliche, öffentliche, wirtschaftliche und politische Interessen im Spiel, aber auch vorgefertigte Meinungen, Ängste, Emotionen, Unkenntnis, Schlagwörter, Halbwissen, die den klaren Blick auf das Ganze verstellen. Viele Argumente werden von der jeweiligen Gegenseite in Frage gestellt.
Grund genug sich einmal so neutral und umfassend wie möglich zu informieren, denn Fairness ist keine Einbahnstraße. Manche Leser werden sich wiedererkennen und mit Empörung feststellen, dass es auch auf der anderen Seite gute Argumente gibt. Das Buch beleuchtet verbreitete Vorurteile und informiert über komplexe Zusammenhänge. Obwohl Fluglärm in vielen Ländern ein Thema ist, wird im vorliegenden Buch des Öfteren auf die hochaktuellen Brennpunkte in Frankfurt und Berlin Bezug genommen.
Um die unterschiedlichen Positionen zu verdeutlichen, begleiten zwei Personen den Leser durch das Buch, Anton und Patrizia. Anton ist Spediteur und findet Flughäfen toll, Patrizia ist Studentin und findet Flughäfen ätzend. Ihre Aussagen, Schlagworte und Forderungen sind durch blaue und orangefarbene Kästen gekennzeichnet. Diese sind bisweilen politisch nicht korrekt, geben aber die Leidenschaftlichkeit wieder, mit der die Überzeugungen vertreten werden.

Das Ende der Stille
Bestimmte Ereignisse in der Natur sind vom Menschen unbeeinflussbar und laufen teilweise unter ohrenbetäubendem Getöse ab (Meeresbrandung, Wasserfälle, Stürme, Gewitter, Starkregen, Hagel, Tiergebrüll). Darüber hinaus muss sich unser Stillebegriff in Mitteleuropa an einem erträglichen Maß der Industrialisierung und des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenlebens orientieren. Denn das Ende des mittelalterlichen Dorflebens mit seiner heute als idyllischer Ruhe verklärten Stille hörte spätestens mit der Erfindung der Dampfmaschine, der Hammerschmiede und anderer Industrieanlagen auf. Diese erleichterten zwar das tägliche Leben, waren aber allesamt lauter als die Fabriken und Transportmittel der heutigen Zeit zusammen. Und je mehr Menschen heute in einem Ballungsraum zusammenleben, umso höher ist die Verlärmung der Umwelt und umso weniger wird man in der Lage sein, auf einer Wiese zum Beispiel das Summen der Insekten zu hören. Das Sonntagsfahrverbot für Lastwagen am Rande einer Millionenstadt muss bereits als Vergleichsgrundlage für einen industrietoleranten Stillefaktor Null gelten, weil der Absolute Nullwert in unseren Breiten sowieso nicht mehr zu erreichen ist, und weil man sich an das allgegenwärtige Grundrauschen der Industriegesellschaft bereits gewöhnt hat. Die regelmäßig vorbeifahrende S-Bahn wird man kaum noch registrieren. Aber selbst in die einst unberührte Arktis zog der Lärm ein, nicht etwa in Form von vereinzelten Buschfliegern, sondern mit den allerorts präsenten Schneemobilen, mit denen man über die verschneite Tundra flitzen kann.

Lärmerlebnisse
Techno

Abends um zehn Uhr in einer deutschen Bundeswehrkaserne.  Ich lege mich zurück und lausche Beethovens zweitem Satz aus der Waldsteinsonate, der Introduzione, die der Bayerische Rundfunk gerade überträgt. Sie gehört zum Genialsten, was der alte Ludwig jemals komponiert hat. Zwischen Dur und Moll zart wabernde Klänge, bis sie den Fünfklang der Burgglocken von Waldstein aufgreifen und …
Ich stehe senkrecht im Bett. Mein Zimmernachbar hat den Riemen auf seine Beschallungsanlage geschmissen. Im 120er Takt klopfen die Boxen drauf los, mein 70er Herzschlag, gerade noch entspannt der Klaviermusik eines Genies lauschend, synchronisiert sich. Ich schließe die Balkontüre, doch das Gehämmer ist in den Betonmauern, die Wände vibrieren.
Ich bin genauso aufgebracht wie fasziniert: Wie kann das ein Mensch – freiwillig – länger als 60 Sekunden aushalten! Und dazu noch im gleichen Raum sein!! Ich gehe in den Flur, um mal mit dem Mann zu reden. Da trifft mich fast der Schlag: Die »Musik« kommt gar nicht aus der Nachbarstube, sondern aus einer Kemenate fünf Türen weiter!!! Mein Klopfen wird nicht gehört, wie denn auch. Ich versuche es mit Synkopen, arrhythmisch, dem Takt der »Musik« zuwiderlaufend. Ein freundlicher junger Soldat öffnet und nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass es mir fünf Zimmer weiter noch die Schädeldecke »lupft«. Er schraubt die Lautstärke zurück. (Es müssen mindestens sieben gefühlte Umdrehungen gewesen sein).
Einige Stunden später steht fest, dass ich eingekeilt bin, von Techno umzingelt, denn das ist der Sound der Zeit. Nun bin ich nicht der Typ, der wild um sich schlägt, Türen eintritt und überall einen Veitstanz aufführt oder Sicherungen rausdreht.
Ich erinnere mich an meine Jugend. Auch ich habe Musik gehört, die von meinen Eltern als Belastung empfunden wurde: Beatles, Rolling Stones, Who, Beach Boys, Mamas and Papas. Tja Opa, du wirst langsam alt. Die Jungs wollen nichts anderes als du selbst, damals vor 40 Jahren. Nur hattest du nicht solche Ghettoblaster. Du hattest an deinem Radio halt einen Lautsprecher, das war alles. Heute werden daran Nierensteinzertrümmerer angeschlossen. Das ist gesund. Keine Nierenkoliken mehr möglich. Du wirst mit Sicherheit taub davon, aber eine Verstopfung der Harnleiter dürfte kein Thema mehr sein.
Bei meinem ersten und letzten Besuch in einer bestimmten Diskothek – ein Witzbold hatte mir glaubhaft gemacht, da würden Oldies gespielt – habe ich erkennen müssen, was der Mensch auszuhalten in der Lage ist. Was da aus den Lautsprechern kommt, sind keine Schallwellen, sondern Druckwellen, die die Pneumatik deiner Lungen beeinflussen, die deine inneren und äußeren Organe vibrieren lassen. Jeder Hund würde sich winselnd und heulend mit eingekniffenem Schwanz in die entfernteste Ecke verkriechen. Nicht so der Mensch, ein intelligentes, denkendes Wesen.
Nachtflug?
Bei einer anderen Gelegenheit landete ich nachts um halb eins in Papeete. Mit dem Taxi ließ ich mich zum Hotel fahren, wo ich einen Over-Water-Bungalow gemietet hatte. Kaum lag ich in meiner strohgedeckten Hütte im Bett, hörte ich, wie die Boeing 767 der Air New Zealand, mit der ich angekommen war, offenbar wieder zum Start rollte. Ich war zwar überrascht, dass der Flughafen bis hierher hörbar war, aber nachts kann das wohl passieren, und als pensionierter Fluglotse kann ich ja schließlich das Geräusch einer 767 genau erkennen. Ich wartete auf das Leiser Werden der Motoren nach dem Start, aber nichts dergleichen passierte. Ich wusste, dass auf Grund der Lage von Tahiti ein Großteil des Verkehrs nachts stattfinden musste, war aber doch überrascht, dass es ganz einfach nicht aufhörte. Ich stand auf und trat auf den Balkon. Jetzt erst wurde mir klar, was da dröhnte war nicht der Fluglärm, es war das Rauschen der Brandung am Korallenriff! Ich hatte mich doch tatsächlich vom Brandungslärm übertölpeln lassen! Und das würde ich jetzt sieben Tage, 24 Stunden am Tag genießen dürfen. Denn von einem Nachtbrandungsverbot habe ich bisher noch nichts gehört. Aber Brandungsrauschen soll ja angeblich beruhigend wirken, denn dafür zahlen viele Menschen fünfstellige Summen! Und ganz ehrlich, eine halbe Stunde später hatte ich mich mit dem Geräusch abgefunden und schon setzte die beruhigende Wirkung ein. So einfach kann das offenbar sein.

Aus dem Standardwerk „Fluglärm“ im Motorbuchverlag. In den nächsten Folgen der Leseprobe werde ich weiter Auszüge aus dem Buch hier anbieten. Wem das Thema unter den Nägeln brennt … hier ist unter dem Stichwort FLUGLÄRM eine Auswahl.

Schreibe einen Kommentar
Kommentiere den Artikel. Bleibe freundlich und nett, gerne kritisch und konstruktiv, aber stets sachlich. Wir möchten einen respektvollen Umgang miteinander und behalten uns vor Kommentare zu kürzen oder zu löschen.

Mit dem Klick auf "Kommentar senden" wird unserer Datenschutzerklärung und der Speicherung angegebener und personenbezogener Daten zugestimmt. Dies ist notwendig um Spam zu verhindern. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.