Leseprobe 36 – Piloten

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Erster Titelbildentwurf vom Autor – Foto: Verlag

Dieses Buch ist Teil meiner Trilogie „Hinter den Kulissen des Luftverkehrs„. Sie besteht aus „Fluglotsen„, „Flughäfen“ und „Piloten„. Ich vermittle darin jeweils Fakten, die ich in eine Hintergrundgeschichte eingebunden habe, damit sich der Inhalt flüssig und unterhaltend lesen lässt. In diesem Band treffen sich drei Piloten, die wegen eines Fluglotsenstreiks auf den Malediven festsitzen: Ein Jumbo Captain der Lufthansa und zwei Bundeswehrpiloten. Einer fliegt einen Transporter, der andere eine Tornado. Jeder hat seinen eigenen Systemstolz. Sie unterhalten sich über ihre total unterschiedlichen Berufe, obwohl sie eines verbindet, das Fliegen.

Vorgeschichte


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Es begann mit einer SMS: „WAS IST BEI EUCH LOS? FLUGLOTSENSTREIK? ICH LACH MICH TOT. HIER IST ALLES OK. RELAX, DADDY. GRUSS AN MAMA. MACH IHR KEINEN STRESS – TOBI“
Friedhelm Zander scrollte die Message vor und zurück. Fluglotsenstreik? Auf den Malediven? Er hatte ja in seinem langen Leben schon viel erlebt. Aber wegen eines beschissenen Fluglotsenstreiks auf den Malediven liegen zu bleiben? Das konnte einfach nicht sein!
Tobi war sein Sohn. Er wollte einmal in Vaters Fußstapfen treten. Er wollte auch Jumbo-Kapitän werden. Oder eines Tages den Airbus A 380 fliegen.
Zander begann wie gewohnt, das Problem zu analysieren:
Er hatte mit seiner Frau fünf Tage Urlaub gemacht. In drei Stunden sollte der Flieger nach Frankfurt gehen.
„Mariella! Tobi hat uns eine Message geschickt. Irgendwo ist ein Fluglotsenstreik.“
Es war sieben Uhr morgens, und sie waren noch in ihrem Hotelzimmer am Packen. Das Taxi hatten sie auf neun Uhr bestellt.
„Und was jetzt?“
„Ich rufe in der Lufthansa Zentrale in Frankfurt an. Die wissen alles.“
Fünf Minuten später wusste auch Käpt’n Zander, dass die Fluglotsen von Male in einen unbefristeten Ausstand getreten waren. Auch alle Chartergesellschaften hatten ihre Flüge auf die Malediven daher gestrichen. Und fast zum Hohn wünschte das Personal der Besatzungseinsatzplanung eine geruhsame Verlängerung seines Kurzurlaubs. Man habe auch schon einen Ersatz für seinen Flug Frankfurt – Rio in drei Tagen.

Friedhelm Zander
Was die meisten anderen Menschen als ein Geschenk empfunden hätten, eine unverschuldete Urlaubsverlängerung auf Kosten der Airline, das empfand Friedhelm Zander als Nötigung. Und er war nicht gewillt sich damit abzufinden.
„Auf geht’s, wir fahren zum Flughafen. Vielleicht ergibt sich etwas mit einer lokalen Airline, oder mit einem Air-Taxi, oder meinetwegen mit einem Schiff nach Sri Lanka.“
„Wollen wir nicht lieber wieder auspacken und noch ein paar Tage bleiben?“
„Kommt gar nicht in Frage. Erstens wollten wir zu unserem Hochzeitstag nach Rio. Zweitens halte ich das Nichtstun länger als eine Woche nicht aus. Drittens kann ich es nun mal nicht ausstehen, wenn mir jemand anders sagt, wann ich fliegen darf und wann nicht. Verstehst Du?“
„Ich weiß, ich weiß. Das ist eine Berufskrankheit von Dir. Du kannst Dich nicht in dein Schicksal ergeben.“
„Nicht, solange ich noch eine Möglichkeit sehe, es in meine Hände zu nehmen. Dafür werde ich bezahlt, Amore!“
„Ich komme ja schon“, lächelte Mariella, Ex-Stewardess der ALITALIA und angetraute Ehefrau des Lufthansa Piloten. Der Käpt’n ihres Herzens hatte in diesen Dingen nun mal das letzte Wort, sie hatte sich längst damit abgefunden.

Harry Kirst
Harry Kirst zuckte die Schultern, als ihn die Dame am Check-In informierte, dass die gebuchte Maschine heute wegen eines Fluglotsenstreiks nicht fliegen würde. Man sei in Verhandlungen mit der Flugsicherung. Vielleicht ginge später ein Flug nach Colombo, Delhi oder Madras. Er möge doch bitte in der Lounge Platz nehmen, alle Drinks gingen auf Kosten der Airline.
Harry Kirst war viel zu abgebrüht, als dass ein solcher Umstand dazu angetan wäre, seinen Puls zu erhöhen. Er war seit 25 Jahren Transporter-Pilot in der Luftwaffe und flog die Transall fast so lange, wie es sie schon gibt in jeden Winkel dieser Welt. Wüstenpisten, Trauminseln, internationale Flughäfen, Sperrfeuer, arktische Bedingungen, nichts war ihm unbekannt. Gelassen nahm er daher seinen kleinen Koffer und schlenderte in die Lounge, die sich langsam mit aufgeregten Passagieren füllte. Es gab Schlimmeres, als auf den Malediven einen Fluglotsenstreik auszusitzen.

Armin Geyer
„Harry? Bist Du das? – Wahrhaftig! Ich glaube ja nicht was ich da sehe! Was machst Du denn in Male?“
„Urlaub natürlich. Aber jetzt musst Du mir schon auf die Sprünge helfen. Woher kennen wir uns?“
„Aus Grönland. Ich hatte einen Tornado nach Goose Bay überführt und musste in Sondre Strømfjord wegen eines Defekts notlanden. Du hast damals ein neues Triebwerk gebracht, und die Techniker …“
„Ich fass’ es nicht!“ freute sich Harry. „Hilf mir doch mal auf die Sprünge mit Deinem Namen…“
„Armin Geyer.“
„Stimmt, Spitzname Atze, nicht wahr?“
„So nennt mich fast jeder…“
“Du bist ja nicht mehr wieder zu erkennen! Ist das eine Urlaubsmatte, oder bist Du raus aus der Fliegerei?“ Er deutete auf Armins Haare.
„Ich bin seit zwei Jahren raus. Hab eine kleine Consulting-Agentur. Es reicht zum Leben.“
„Mensch, das finde ich toll, dass wir uns hier treffen. Und Zeit haben wir auch, so scheint’s mir. Du bist auch auf dem Flieger nach Frankfurt?“
„Ja.“
„Also, lass uns einen darauf trinken. Und dann musst Du mir erzählen, wie es Dir seither ergangen ist. Ich brenne darauf!“

Eine Wette
Während sie sich an einen freien Tisch setzten, fiel ihnen das Ehepaar auf, das die Lounge betrat.
„Harry, schau mal die beiden! Wetten, dass der Mann die meiste Zeit seines Lebens vorne links im Cockpit irgendeiner Airline verbringt?“
„Ich tippe eher auf einen Finanzberater.“
„Im Leben nie! Der fliegt eine Boeing 747. Jede Wette!“
„Na gut, Atze. Frag’ ihn. Wenn Du Recht hast zahle ich die nächste Runde.“
„Witzbold, alle Drinks sind hier frei… Wenn ich Recht habe und der fliegt einen Jumbo, kriege ich von dir einen Fünfziger. Wenn er einen anderen Beruf hat, kriegst Du einen von mir.“
„Die Wette gilt.“
„Ich spreche ihn an.“
„Jetzt bin ich aber gespannt!“
Während sich Harry interessiert zurücklehnte, stand Armin Geyer auf und trat auf das Ehepaar zu.
„Bitte verzeihen Sie. Sind Sie zufällig Kapitän bei der Lufthansa?“
Friedhelm Zander und seine Frau schauten ihren Gegenüber erstaunt an.
„Ja, Boeing 747. Was soll das?“
„Mein Freund und ich sind ebenfalls Piloten, und wir haben gerätselt, ob Sie auch in der Branche sind…“
„So?“ fragte Zander mit einem Blick auf die beiden freien Plätze am Tisch. „Das ist ja interessant. Können wir uns zu Ihnen setzen?“
„Mit Vergnügen.“
Harry öffnete kopfschüttelnd seine Geldbörse und fischte einen Fünfzig-Euro-Schein heraus.
Verstohlen schob er seinem Freund den Geldschein zu. Wettschulden werden sofort bezahlt.
Während das Ehepaar Platz nahm, blickte Käpt’n Zander dem Ex-Tornadopiloten nachdenklich ins Gesicht. Dieser steckte soeben unauffällig den Geldschein in die Brusttasche seines Hemdes.
„Sagen Sie, habe ich Sie nicht schon einmal irgendwo gesehen?“, fragte Zander.
„Na klar. Ich saß auf dem Hinflug neben Ihnen. Sie haben irgendetwas in Ihrem Flugbuch nachgeschaut.“
‚Du Sack!’ dachte Harry bei sich und ballte die Fäuste unter dem Tisch. ‚Ich hätte es wissen müssen! Das werde ich Dir noch heimzahlen!’
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde fragte Zander: „Und Sie fliegen … was?“
„C-160 Transall, bei der Luftwaffe. Übrigens, ich bin der Harry“, antwortete Harry.
„Tornado. Bis vor kurzem, und ich bin der Atze“, sagte Armin.
„Tja“, stellte der Lufthansa Käpt’n daraufhin fest, „dann sind wir zwar alle Piloten, haben aber sonst so gut wie gar nichts gemeinsam.“

Auszug aus „Piloten“ von Andreas Fecker im Geramond Verlag. Das Buch ist mittlerweile vergriffen, aber im Antiquariat noch erhältlich.

Eine Lesermeinung hat mich sehr gefreut: Alles, was man über diesen geheimnisumwitterten Beruf wissen möchte, steht in diesem Buch. Dabei sind die Fakten wie bei Fecker gewohnt, amüsant, lebendig und nachvollziehbar verpackt. Haarsträubende Geschichten aus dem Fliegerleben wechseln sich mit netten Anekdoten ab. Dabei verliert er nie den Blick fürs Ganze. Als besonders faszinierend empfand ich den Einblick in andere Facetten des Pilotenberufes. Die Himmel ist eben nicht nur voll von Jumbokapitänen. Auch Bundeswehrpiloten kommen zu Wort. Ihre Leistung wird – ganz offensichtlich – meist geringgeschätzt. „Instrumente der deutschen Außenpolitik“ nennt sie Fecker und erklärt das mit Beispielen aus der weltweiten Katastrophenhilfe, wo Deutschland stets eine Rolle spielt.
Was steckt hinter dem Buch? Der Autor ist oder war früher einmal Fluglotse. Ich habe nicht den Eindruck, dass er versucht, dem Pilotenberuf den Zauber zu nehmen. Vielmehr schwingt in dem Buch ein nüchterner, partnerschaftlicher Respekt mit. Und dieser gegenseitige Respekt zwischen Flugsicherung und Fliegerei vermittelt mir den Eindruck, dass ich mich sicher fühlen kann, wenn ich das nächste Mal in ein Flugzeug steige. Die zahlreichen Illustrationen gehören zum Besten, was ich je gesehen habe. Sie wurden nicht etwa wahllos eingestreut, sondern ergänzen wirkungsvoll den Text. Druck und Einband sind qualitativ hochwertig. Alles in allem nicht nur ein gelungenes Buch, sondern eine Bereicherung für die Allgemeinbildung.

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