Leseprobe 16 – Funkausfall

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Anlässlich mehrerer ernsten Zwischenfälle in der US-amerikanischen Flugsicherung erscheint mir ein Auszug aus meinem Buch „Beruf Fluglotse“ angebracht. So waren an den sehr verkehrsreichen Flughäfen Newark und Denver jeweils für etwa zwei Minuten der Funk ausgefallen. In den allermeisten Fällen liegt die Ursache an Bord der Maschine. Befindet sich ein Flugzeug „auf Strecke“, ist so ein Ausfall zu verkraften, da es Standardprozeduren gibt, denen die Piloten folgen:
Wenn sich ein Flugzeug schon länger nicht mehr gemeldet hat, wird man es mit einer Radioüberprüfung ansprechen. Erhält der Controller keine Antwort, wird er die Notfrequenz zur Hilfe nehmen und Frequenzen probieren, auf denen die Maschine zuvor geführt wurde. Meldet sich der Pilot noch immer nicht, muss die Flugsicherung nicht nur von einem Radioausfall ausgehen, sondern auch von weiteren Problemen an Bord. Diese können von technischen Ausfällen bis zum Hijacking reichen. Also wird die Flugsicherung fortan diese Maschine genauestens beobachten, den Sicherheitsabstand erhöhen um auf unerwartete Flugbewegungen reagieren zu können.

Hat der Pilot Zugriff auf einen funktionierenden Transponder, wird er den Code 7600 einschalten, das Zeichen für Lost Communication. Er wird außerdem dem festgelegten Funkausfallverfahren folgen. Das beinhaltet zum Beispiel, dass er für sieben Minuten auf der zuletzt zugewiesenen Höhe weiterfliegen wird, um danach gegebenenfalls auf die IFR Mindestreiseflughöhe zu gehen.

Scheint es dem Käpten ratsam, nicht bis zum Zielflughafen weiterzufliegen, kann er auch einen anderen geeigneten Airport ansteuern. Er wird dort über dem Initial Approach Fix 30 Minuten halten, um dem Flughafen Gelegenheit zu geben, sich für seine Landung vorzubereiten. Sowie er dann seinen Anflug beginnt, wird er kurzfristig seinen Transponder auf Code 7700 schalten.

Die Lost Comm Verfahren können hier nur skizziert werden, da sie aus einem umfangreichen Regelwerk bestehen.

Es gibt allerdings auch Fälle, in denen sich Flugzeuge an keine der veröffentlichten Verfahren halten. Da ist dann von einer Entführung auszugehen, das Flugzeug wird als Renegade betrachtet. In Nord- und Süddeutschland (Wittmund und Neuburg) sind Alarmrotten aus Eurofightern oder F-4 Phantom stationiert, die 15 Minuten nach Alarmierung in der Luft sind und Kurs auf den Renegade nehmen. Ihre Aufgabe ist es, an das Cockpit heranzufliegen, die Lage zu beurteilen, gegebenenfalls die Maschine von ihrem Kurs abzudrängen. Den Abschuss als letzte Konsequenz hat das Bundesverfassungsgericht für Deutschland ausgeschlossen.

Ernst wird es, wenn der Funk bodenseitig ausfällt, besonders wenn in Flughafennähe Dutzende von Flugzeugen im Anflug sind, wie immer wieder mal in den USA. Nach dem 11. September 2001 wurde so viel Geld anderweitig benötigt, dass in den USA lebenswichtige Infrastrukturmaßnahmen und technische Anpassung der Flugsicherung weitgehend unterblieben. Die Hardware in der amerikanischen Flugsicherung ist teilweise 40 Jahre alt. Das hat immer gravierendere Folgen:

  • 2004 brach das gesamte Radio und Telefonsystem der Flugsicherung in Südkalifornien ohne Vorwarnung zusammen. Ein Server hatte sich verabschiedet und die gesamte Kommunikation lahmgelegt. Die konsternierten Lotsen riefen über ihre Mobiltelefone Freunde und Bekannte aus anderen Zentralen und Kontrolltürmen an und diktierten ihnen Kontrollanweisungen für mindestens 800 Flugzeuge in ihrem Kontrollbereich.
  • 2006 musste das Center in Anchorage wegen eines Virus abgeschaltet werden.
  • Im September 2007 gab e seine ‘Kernschmelze’ in Memphis, Tennessee, als Radar, Telefon und Funk zusammenbrachen. Der betroffene Luftraum erstreckte sich über sieben Staaten. Und wieder einmal war man auf die privaten Mobiltelefone der Controller angewiesen, die mittlerweile die Nummern der benachbarten Kontrollzentralen schon eingespeichert haben.
  • Im November 2009 brachen zwei Datenserver in Salt Lake City und in Atlanta während der Rush Hour für vier Stunden zusammen. Es hatte Auswirkungen auf das gesamte System. Flugplandaten wurden in dieser Zeit per Email und Fax ausgetauscht.
  • Auch in Newark, Philadelphia und Atlanta waren in den vergangenen Wochen zeitweise keine Radarziele mehr zu sehen.

Mittlerweile ist der Innovationsstau so groß, dass der Aufwand für eine Runderneuerung auf 100 Milliarden Dollar geschätzt wird, die lieber heute als morgen investiert werden sollten. Gleichzeitig gibt es Regenerationsprobleme bei den Controllern. Während der Luftverkehr in den USA wächst, gehen immer mehr Fluglotsen in den Ruhestand und können nicht schnell genug ersetzt werden. Vor allem in den betriebsreichsten Zentralen Atlanta, Chicago, New York und Südkalifornien ist die Personalnot am größten, weil sich die älteren Controller ausgebrannt fühlen und nicht zu überreden sind, über das 56. Lebensjahr hinaus zu arbeiten. Von den 60 Controller-Planstellen in der Newark-New York Region sind derzeit nur 22 besetzt! Die erratischen Eingriffe der Trump-Musk-Regierung in die Personalpolitik der Luftfahrtbehörde FAA sind dabei alles andere als hilfreich. Zwar werden zahlreiche Auszubildende eingestellt, aber es gibt nicht genügend Ausbildungskapazität. Am schlimmsten aber ist, dass die Erfahrung auf der Strecke bleibt.

Zwei Minuten Funk- und/oder Radarausfall bedeuten im Nahbereich, dass ein Flugzeug in dieser Zeit 15 km weiter ist. Und ein anderes auch … Hilflos und unsicher, ob ihn jemand hört rief ein Controller letzte Woche in den Äther: “We just lost all frequencies and communications here,” und fügte dann später hinzu: “Listen up everybody, real careful – anybody besides United 1560, 1043 or 2192, is there anybody else that can hear me on this frequency?” In den USA breitet sich Flugangst aus. Fluglotsen flehen die Öffentlichkeit an, auf Flüge zu verzichten, die nicht unbedingt notwendig sind. Staus und Stornierungen an den Flughäfen tun ein übriges. Solange solche calls an der Tagesordnung sind, gäbe es für die geschätzten 45 bis 90 Millionen Dollar Militärparade zu Trumps Geburtstag vielleicht eine bessere Verwendung!

Mit Auszügen aus „Beruf Fluglotse“ von Andreas Fecker

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