Irgendwie gehört sie in den Ferien zu einem entspannten Abendessen im Restaurant dazu: ein gute Flasche Wein. Vorzugsweise aus dem Urlaubsland, in dem man sich gerade aufhält. Denn wie eine Zigarre auf Kuba, ein Whisky im schottischen Hochland, Steaks in Südafrika oder Argentinien, oder ein Tässchen Tee auf Sri Lanka – vor Ort schmeckt es irgendwie doppelt und dreifach so gut. Ein Fläschchen türkischer Wein ist für viele Besucher des Landess, selbst für die Weinkenner unter ihnen, noch immer eine Wahl ohne tiefgreifende Erfahrungswerte. Oft werden auch keine großen Erwartungen an die Güte des alkoholischen Produkts gestellt. Denn Wein aus der islamisch geprägten Türkei? Passt das überhaupt zusammen? Dabei hat der Rebenanbau in der Türkei eine lange Tradition. Archäologisch belegt sind Darstellungen zur Weinherstellung aus dem fünften Jahrtausend v. Chr. und auch die Hethiter haben bereits um 4.000 v. Chr. in der Grenzregion zum heutigen Irak Wein kultiviert. Berühmt und eine begehrte Handelsware waren im Altertum feine Weine aus Byzanz, dem heutigen Istanbul. Im frühen Mittelalter setzte sich jedoch der islamische Glaube durch und die Weinerzeugung wurde mehr und mehr eingeschränkt. Erst unter dem Staatsgründer Kemal Atatürk, der im Ruf eines Weinliebhabers stand, begann die türkische Weinproduktion wieder zu florieren.
Heute ist die Türkei der sechstgrößte Traubenproduzenten der Welt. Denn die klimatischen Bedingungen sind an vielen Orten als durchaus ideal zu bezeichnen. Doch nur drei Prozent der Trauben werden für die Weinproduktion verwendet. Der Löwenanteil geht in die Produktion von Tafeltrauben und Rosinen. Dabei ist die Vielfalt der Rebsorten in der Türkei fast unüberschaubar groß. So gibt es zahlreiche einheimische Rebsorten, die oftmals gar nicht amtlich erfasst sind. Mittlerweile genießen Weine aus der Türkei unter Experten einen hervorragenden Ruf und doch sind sie Außenseiter im internationalen Geschäft. Denn neben einigen Großkellereien, die den aktuell vorherrschenden technischen und auch qualitativen Fortschritt initiierten, gibt es nur wenige, zumeist private Weingüter nach dem Vorbild der französischen Chateaus. Sie alle leiden unter strikten gesetzlichen Restriktionen in Form von sehr hohen Steuern, Marketing- und Werbebeschränkungen und zudem unter den Schwierigkeiten ihre Produkte überhaupt zu exportieren. Die wichtigste Weinanbauregion des Landes liegt an der Ägäis, da diese mehr Feuchtigkeit aufweist als das trockene Landesinnere. Klassische Rebsorten für türkischen Rotweine sind unter anderem Merlot, Gamay, Cabernet Sauvignon und Spätburgunder. Für die türkischen Weißweine sind Emir, Narmice, Hasandede, Riesling, Chardonnay und Sémillon von Bedeutung.
Bozcaada – Die Insel des Weins in der Ägäis
Ein Geheimtipp, um einen Einblick in die Weinkultur der Region zu bekommen, ist die in der nördlichen Ägäis liegende Insel Bozcaada, „die kahle Insel“. Ihre karge Schönheit, der malerische Hafen, die gewaltige Festung und ihre Ruhe zog einst viele Künstler und Intellektuelle an, die das Besondere suchten. Jahrhundertelang war die Insel, die schon Homer in seinem Epos über den Trojanischen Krieg erwähnte, berühmt für ihren köstlichen Wein. Nachweislich wurde hier schon im 6. Jahrhundert v. Chr. Weinanbau betrieben. Auch Herodot spricht Bozcaada ein charmantes Kompliment aus: „Gott hat diese Insel nur darum geschaffen, damit ihre Besucher lang leben können!“
Phönizier, Perser, Griechen, Türken, Byzantiner, Genueser, Venezianer, Franzosen und Briten – sie alle eroberten die kleine Insel und verloren sie auch wieder. Im Jahre 1923 kam das nur neun Kilometer lange Eiland, deren See rundum von einem ständig wehenden Wind rau aufgewühlt wird, in den Besitz der Türkei. Die Bedeutung der Weinproduktion nahm daraufhin deutlich ab. Heute jedoch sind wieder 80 Prozent des bebaubaren Insellandes mit Reben bepflanzt. Überall stößt man auf kultivierte, windgeschützte Weinberge und steinerne Weinkeller. Experten halfen den Winzern dabei, einen nunmehr außergewöhnlich guten Wein zu kelltern. Für die Weingenießer auf Bozcaada war dies die Rückkehr zu einer alten Bestimmung. Stimmungsvolle Weinschänken und Restaurants laden die Besucher in historischen Gebäuden zur Einkehr und zur fröhlichen Weinprobe ein. Der Höhepunkt im Jahr ist das Weinlesefest, das traditionell in der dritten Augustwoche stattfindet und viele Besucher vom Festland anlockt. Vielleicht ein Grund unter vielen, dass die Leser des internationalen Reisemagazins Condé Nast Traveler die Insel Bozcaada 2012 sogar zur schönsten Europas wählten.
Dierk Wünsche
Reiseempfehlung:
Wer mehr vom türkische Wein kennen lernen und ihn unter anderem auf der Insel Bozcaada fachmännisch genießen will:
Öger Tours:
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