Was muss das gekracht haben bei der Bruchlandung der Boeing 777 in San Francisco! Wenn schon eine harte Alltagslandung den Passagieren auf die Wirbelsäule geht, so ist es kein Wunder, dass etliche Insassen des Asiana Flugzeugs in Krankenhäusern behandelt werden mussten. Noch sind sie im Fokus der Presse, ebenso wie die Piloten. Die Berichterstattung wird sich dann noch für eine Weile auf die Ursachen konzentrieren, dann wandert der Fall in die Archive, denn längst ist der Dreamliner-Brand in Heathrow das aktuelle Tagesthema. Aber macht sich eigentlich jemand Gedanken darüber, wie die Fluglotsen fernab im sicheren Tower so einen Crash erleben? Ich habe es durchlebt. Mehrfach. Es ist die Hölle!
Laut Klischee sind Fluglotsen hochgradig stressresistent, cool, ein bisschen Macho, ein bisschen abgebrüht. Ihre Stimme verrät keine innere Regung. Sie sind die Rampensäue des Flughafens, sie haben schon alles gesehen, nichts kann sie mehr überraschen. So die Volksmeinung.
Nun ja, sie haben schon viel erlebt. Es vergeht ja kaum ein Tag ohne irgendwelche gemeldeten Unregelmäßigkeiten, die sicherheitshalber Priorität verlangen. Immer wieder einmal wird das Adrenalin abgerufen, wenn ein Käpten dringend einen Krankenwagen ans Gate haben möchte, oder wenn die Nummer 15 zur Landung vielsagend nachfragt, ob er nicht vorgezogen werden könnte. Auch der Käpten, der mit seiner Hydraulik Schwierigkeiten hat oder dessen Triebwerk unrund läuft, bringt die Spannung im Tower zum Knistern. Aber der erfahrene Lotse weiß, all diese angesagten Notfälle enden immer ganz harmlos mit einer normalen Landung, kein wirklicher Grund zur Aufregung.
An einem betriebsreichen Flughafen beobachten die Lotsen in ihrer Schicht viele hundert Landungen. Harte, weiche, lange, kurze, hopsende. Jeden Tag. Jede Woche. Jeden Monat. Jedes Jahr. Jahrein, jahraus. Und plötzlich passiert es, ohne Ansage, ohne Vorwarnung. Ein Tailstrike vor der Piste, das Fahrwerk bricht weg, die Triebwerke reißen beim Aufschlag ab, die Röhre schlittert die Piste hinunter, fängt Feuer, kommt zum Erliegen. Es geht so schnell, wie man es hier liest. Nach bangen Sekunden öffnet sich eine Tür, noch eine, die Notrutschen entfalten sich. Passagiere flüchten. Pechschwarzer Rauch dringt aus dem Wrack. Der Brand breitet sich aus, die Feuerwehr trifft ein….
In diesen Sekunden befindet sich der Tower in der Chaos Phase. Ohne Vorwarnung werden die Fluglotsen mit einer Extremsituation konfrontiert, die sie womöglich noch nie zuvor erlebt hatten. Das Blut pocht im ganzen Körper, Panik will sich breit machen, die Sprache übersteuert. Alle Telefone klingeln gleichzeitig, alle Funkgeräte plärren, Sirenen heulen, Crash-Bells scheppern, der Noise Level im Tower erinnert für einen Moment an den Wall Street Crash von 1929.
In diese Chaos Phase muss Ordnung gebracht werden, jeder muss sich selbst und seine Aufgabe in den Griff kriegen, sich zur Ruhe und überlegtem Handeln zwingen. Läuft die Rettung? Was tun mit dem landenden Verkehr, der ja noch im Anflug ist. Wer darf noch landen? Welche Piste steht noch zur Verfügung? Wohin mit dem übrigen Verkehr? Koordination mit der Anflugkontrolle. Startbereite Piloten werden darauf dringen, noch schnell rauszukommen, bevor der Flughafen womöglich für Stunden geschlossen wird. Kann man das verantworten? Was, wenn nochmal etwas passiert? Haben wir dann noch genügend Rettungskräfte? Die Löschtanks der Feuerwehrfahrzeuge sind leer. Der Lotse wird es ablehnen, der Käpten wird mit ihm streiten, die Nerven im Tower liegen blank, es kommt zu unschönen Wortwechseln… Rettungshubschrauber fliegen ein, die Presse ruft an, Vorgesetzte kommen auf den Tower, jeder stellt andere Fragen.
Es wird Stunden dauern, bis die Towerlotsen einmal ein paar Minuten für sich alleine haben, bis sie begreifen können, was sie gerade erlebt haben. Dann kommen die Befragungen der Unfalluntersuchungskommission. Das Abfassen der Berichte. Und dann kommen die durchwachten Nächte. Manchmal dauert es Wochen, bis man wieder Schlaf findet. Auch wenn man nach Monaten wieder der Alte ist, so wird man doch nach Jahrzehnten noch daran denken. Ich spüre auch jetzt noch, nach 35 Jahren, wie sich manchmal in meinen Träumen mein Körper verkrampft, wenn ich alles von neuem verarbeite.
Wenn Tag für Tag weltweit viele Millionen Menschen zu Land, zu Wasser und in der Luft bewegt werden, kommt es nun mal gelegentlich zu Unfällen. Es kennzeichnet die Sicherheit des Flugzeugs, dass dies so selten geschieht und wenn, dass dabei so wenig ernsthafte Personenschäden auftreten. Und wenn es denn passiert, ist man an vorderster Front, um zu retten was zu retten ist und um eine Eskalation zu verhindern. Schon deshalb bleibe ich dabei, der Beruf des Fluglotsen ist der spannendste, den ich mir vorstellen kann. Und ich bin dankbar für jeden Tag meines Berufslebens, auch für die härtesten Erfahrungen und die schwärzesten Momente.
Quelle: Ein Beitrag von Andreas Fecker