LUFTPOST 06: Militärischer Tiefflug

Werbung
Andreas Fecker Foto: Bildarchiv Fecker

Wie man in den abgebildeten Übersichten sieht, wurden in den letzten 20 Jahren ca. 20 Flugplätze der deutschen Streitkräfte und 32 Flugplätze der alliierten Streitkräfte in Deutschland aufgegeben. Auch die Russen zogen von ihren etwa drei Dutzend Flugplätzen ab. Gleichzeitig wurden Waffensysteme ausgemustert, die Luftflotten reduziert. Zwischen Stetten am Kalten Markt und Kyritz an der Knatter wurden Dutzende von Übungsgebieten geschlossen. Lassen wir hierzu am besten einmal einen der Jet-Piloten zu Wort kommen:

»Der allergrößte Teil der Bevölkerung hat eine ganz falsche Vorstellung, worum es beim militärischen Flugbetrieb überhaupt geht. Worauf es bei uns ankommt ist: ’Train as you fight’. Da kann man dazu stehen wie man will. Wir sind ein demokratisches Land. Wenn Regierung und Parlament beschlossen haben, sich eine Bundeswehr zu halten, mit einer Luftwaffe als Teil davon, dann habe ich diesen Teil zu erfüllen. Wenn die Bevölkerung das mehrheitlich nicht will, muss sie das an der Wahlurne artikulieren. Aber solange es eine Luftwaffe gibt, muss man uns – bitte – doch auch die Möglichkeit geben, so zu fliegen, wie es im Einsatz von uns erwartet wird.

Wenn Regierung und Parlament beschließen, mich in den Krieg zu schicken, um einen Diktator am Massenmord an seiner Bevölkerung zu stoppen, dann muss ich in Baumwipfelhöhe fliegen, mit einer Geschwindigkeit knapp unter tausend Stundenkilometern, mit halbvollen Tanks und voller Bewaffnung. Der Boden ist nie weiter als zwei Sekunden von mir entfernt.

Air-Bases 2013 Foto und Karte: Bildarchiv Fecker

Man erwartet von mir, dass ich dabei in stockdunkler Nacht trotz gegnerischem Beschuss ausschließlich militärische Ziele treffe, und dass ich meinen Hundert-Millionen-Euro-Flieger wieder heil zurück nach Hause bringe. Kollateralschäden sind natürlich trotz mangelnder Praxis zu vermeiden. Um genügend Sprit für den Einsatz zu haben, gehen wir nach dem Start noch mal an den Tanker. Ich fliege dabei fünf Meter hinter einem dicken Flugzeug her und sauge mir über eine Leitung ein paar tausend Pfund von dem Saft in meine Tanks. Und wenn wir dann in auseinander gezogener Formation im Konturenflug über das Einsatzgebiet fliegen, sind alle Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Jedes Mal wenn das Oh-Shit-Light angeht, das ist die Warnlampe, die mir anzeigt, dass ich von feindlichem Radar erfasst wurde, weiß ich, dass es jetzt nur noch Sekunden dauert, bis mir eine Flugabwehrrakete ins Triebwerk fliegt. Dann muss ich Abwehrmaßnahmen treffen, ich stoße Täuschkörper und  Magnesiumkugeln aus, schlage Haken, so eng, dass es mir die Eingeweide quetscht.

Da könnt Ihr euch vorstellen, wie einem zu Mute ist, wenn man daheim als Jet-Rowdy beschimpft wird, wenn die Bevölkerung uns Mörder nennt und die Tore zu unserem Geschwader blockiert. Oder wenn unsere Frauen bedroht werden. Ich habe viele Kameraden, die im Training ihr Leben verloren haben, teils weil sie überfordert waren, teils weil sie die Technik nicht beherrscht hatten, teils weil sie die Situation unterschätzt oder sich selbst überschätzt hatten. Viele könnten noch leben, hätten sie mehr Flugpraxis gehabt.

Aber in Deutschland ist es fast nicht möglich, Tiefflug zu üben. Also weichen wir ins Ausland aus, nach Sardinien, nach Kanada, in die USA, übers Meer. Das hört sich alles an wie die große weite Welt und Urlaub bis zum Abwinken. Im schlimmsten Fall sehen wir unsere Familien aufs Jahr gerechnet gerade mal an zwölf Wochenenden. Und wenn wir beim Tiefstflugtraining in Labrador unseren Hals riskieren, erhalten wir ein Auslandstagegeld von acht Euro. Abzüglich Verpflegungsgeld.

Wir haben mehr Crews als Flugzeuge, aber nicht genügend Flugstunden zur Verfügung. Und mit jedem Geschwader, das geschlossen wird, sitzen mehr Crews auf dem Trockenen. Es beginnt ein Kampf ums Fliegen. Aber derzeit entfallen gerade mal 130 bis 150 Stunden pro Jahr auf jeden einzelnen Piloten. Jeder amerikanische Pilot kommt im Schnitt auf 260 Stunden im Jahr. Bei uns reicht es also gerade mal für die Hälfte! Das ist vielleicht halbwegs genug, um in der Materie zu bleiben, aber sicherlich nicht, um besser zu werden.

Wenn in den USA eine F-15 im Tiefstflug mitten über die Hauptstraße einer Kleinstadt bürstet, erhält der Geschwaderkommodore anschließend Dankesbriefe von den Bürgern, die mit dem Satz enden »God bless America«. Wenn hingegen in Deutschland ein Tornado auch nur in der Nähe eines Kuhdorfes gesichtet wird, erhält der Kommodore Lärmbeschwerden.

Air-Bases 1945-1990 Foto und Karte Bildarchiv Fecker

Was ist so anders in Deutschland? Ist der Bürger zu satt und zufrieden? Woher kommt die Empörung über Staat und Ordnung? Tritt eine Ordnungsmacht zu massiv auf und ist sie zu sichtbar, fühlt sich der Bürger provoziert, er befürchtet die Verschwendung von Steuergeldern. Wird er aber von Rowdies und Schlägern bedroht, erfolgt lautstark sogleich der Ruf nach Totalüberwachung per Video und mehr Präsenz der Polizei auf den Straßen.

Bisweilen werden wir alarmiert, wenn ein Verkehrsflugzeug in unserem Luftraum nicht mehr antwortet. Die Flugsicherung muss dann von einer Entführung ausgehen. Das heißt dann für uns Alarmstart. Weil wir nur noch drei Jagdgeschwader in Deutschland haben, müssen wir so schnell wie möglich die halbe Republik überqueren um nach dem Rechten zu sehen. Das bedeutet Überschall, Durchbrechender »Schallmauer«, und das gibt jedes Mal einen Knall mit darauf folgendem Beschwerdetheater von entrüsteten Bürgern. Es ist natürlich gar nichts gegen den Knall, den der Einschlag einer entführten Boeing in einem Frankfurter Bankenturm hervorrufen würde! So, und wir fliegen dann fünf Meter neben das Cockpit der Passagiermaschine heran und sehen nach, ob da drin alles in Ordnung ist. Das muss man auch erst einmal üben. Können wir aber nicht, dürfen wir nicht, weil sich einer der Passagiere aufregen könnte.

Wenn in der Sommerhitze der sich ständig erwärmenden Erde große Flächen von Waldbränden bedroht werden, erwartet man von den Transallpiloten, dass sie auch mit dem Feuerlöschsatz umgehen können und im Tiefflug 12 Tonnen Löschmasse auf die Brandherde abwerfen können. Ja wie denn, verdammt nochmal, wenn man ihnen nicht die Möglichkeit gibt, Tiefflug zu üben? Drohen uns Islamisten mit Terror im eigenen Land, verfällt der Bürger in Angst und Schrecken und ruft nach dem staatlichen Rundum-sorglos-Paket in Form von Polizei, Verfassungsschutz, Totalüberwachung und womöglich noch die Bundeswehr im Innern. Bedauerlich nur, dass man zuvor die Akzeptanz untergräbt und die finanzielle Ausstattung rechtzeitig kürzt. Ja, auch anzeigenfreudige Frührentner und Hobbybeschwerer belasten mit ihrem Zeitvertreib den Bundeshaushalt. Es ist nicht immer einfach, unserem Land und seinen Bürgern mit Motivation zu dienen.«