LUFTPOST 07: Mathematik im Alltag

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Andreas Fecker Foto: Bildarchiv Fecker

Wie wichtig, wie absolut lebenswichtig logisches Denken und einfache Rechenaufgaben sein können, zeigt ein Zwischenfall, der in die Annalen der Luftfahrt eingehen sollte.

Am 23. Juli 1983 war die Boeing 767 der Air Canada unterwegs von Montreal über Ottawa nach Edmonton. Die Maschine war gerade mal drei Jahre alt und eigentlich vollkommen in Ordnung, bis auf ein kleines Instrument, das am ehesten mit der Tankuhr eines Autos vergleichbar wäre. Der Fehler wurde schon vor dem Start in Montreal entdeckt, konnte aber auf die Schnelle nicht behoben werden. Der Wartungschef bestätigte aber der Crew, dass dies kein Hinderungsgrund sei, solange sie sich selbst mit einem Messstab von der Spritmenge überzeugten.

Dies war auch geschehen und die beiden Piloten hatten sich munter auf den Weg nach Edmonton gemacht. Doch auf halber Strecke blieb zuerst der eine Motor, dann der andere stehen. Das elektronische Cockpit mit den neuesten Bordcomputern der Welt bestückt, versagte seinen Dienst, es wurde still im Flugzeug. Der nächste Flughafen war Winnipeg, 160 Kilometer entfernt. Eine ausklappbare Kleinstturbine sorgte für den notwendigen Strom für den Sprechfunk und die Cockpit-Notbeleuchtung, mehr aber auch nicht.

Mit Hilfe der Flugsicherung wurde die Maschine auf Kurs gebracht. Bald war aber klar, dass man es nicht bis nach Winnipeg schaffen würde. Die Flugsicherung empfahl den beiden in Gimli zu landen, einem kleinen Flugplatz, der früher einmal von der Royal Canadian Air Force benutzt wurde. Gimli hatte jedoch keinen Tower und keine Rettungsdienste und war auch für die Landung einer Boeing 767 unter normalen Umständen nicht geeignet, um wie viel weniger unter diesen! Zu allem Überfluss wurde ein Teil der Bahn gerade dazu benutzt, ein Go-Cart Rennen auszutragen, während die 767 lautlos hereinschwebte. Da auch die Hydraulik ihren Dienst versagte, wurde das Fahrwerk notausgefahren. Das Hauptfahrwerk rastete durch sein Eigengewicht ein, das leichtere Bugfahrwerk klappte nach vorne, rastete jedoch wegen des Fahrtwindes und des hohen Anstellwinkels nicht ein. Mit einer fliegerischen Meisterleistung setzte der Captain die Maschine am Startbahnbeginn auf, das Bugfahrwerk klappte nach hinten weg, die 767 rutschte auf dem Vorderrumpf die Runway entlang, Funken stoben, die Menschen am Boden rannten um ihr Leben.

Das Flugzeug kam auf kürzester Strecke zum Stehen. Die Notrutschen entfalteten sich, das Flugzeug sollte über die Heck-Ausgänge evakuiert werden, da von vorne schwarzer Qualm in die Kabine quoll. Die Heck-Rutschen hingen jedoch fast senkrecht nach unten, da das Heck ja wesentlich höher stand als der Bug. So entstanden die einzigen Verletzungen durch die Evakuierung. Die ersten Männer, die am Boden aufschlugen, mussten den Aufprall der restlichen Passagiere dämpfen. Das ging nicht ohne Knochenbrüche.

Ursache: Zwei Mechaniker hatten die Tankmessungen und Berechnungen in Montreal angestellt. Sie fanden heraus, dass die Maschine vor dem Auftanken noch 7.682 Liter Treibstoff an Bord hatte. Nun sollte es eigentlich eine Kleinigkeit sein, diese Menge von der Menge abzuziehen, die für den Flug gebraucht würde, und den Rest vor dem Start nachzutanken. Doch es gab drei kleine Komplikationen:
Seit jeher haben die Piloten der Air Canada ihre Spritmenge in Pfund berechnet. Bei der neuen 767 der Air Canada wurde der Spritverbrauch aber in Kilogramm ausgedrückt. Dies war so gewünscht, da die kanadische Regierung ja plante, in Kürze das Metrische System einzuführen. Der Messstab in den Flügeltanks zeigte jedoch nicht Pfund oder Kilogramm, sondern Liter an. Nun kam auch noch dazu, dass auf früheren Flugzeugen der Sprit nicht vom Käpten oder dem Co-Piloten berechnet wurde, sondern vom Bordingenieur. Die 767 hatte aber keinen Bordingenieur mehr, da die Bordcomputer ja denselben ersetzten. Und dieser Bordcomputer konnte die Spritmenge nicht errechnen, weil, ja weil – die Tankuhr kaputt war. Und jetzt wussten weder die Mechaniker, noch die Piloten, wer für die Berechnung der Spritmenge zuständig war.

Zusammen berechnete man, wie viel Liter noch hinzugefügt werden müssten, um 22.300 kg Treibstoff zu haben. Irgendjemand schlug den Faktor 1,77 vor, mit dem man früher das Spezifische Gewicht von Kerosin von Pfund/Liter berechnet hatte. Sie hätten aber den Faktor 0,8 nehmen müssen, um auf Kilogramm zu kommen. Schließlich tankte die Crew bei der Zwischenlandung in Ottawa 5000 statt 15000 Liter nach.

Ironischerweise ging den beiden Mechanikern der Air Canada, die nun von Montreal mit dem Auto nach Gimli fuhren, unterwegs der Sprit aus…