Luftpost 89: Kabinenluft

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Andreas Fecker – Foto: Jochen Mahrholdt / Fecker

Im September 2012 ging eine alte Geschichte durch die Presse, die sich urplötzlich als höchst brisant entpuppte: Ein Airbus A319 der Germanwings befand sich im Anflug auf den Flughafen Köln, als der Co-Pilot einen beißenden Geruch im Cockpit bemerkte. Er setzte wohl die Sauerstoffmaske auf, aber ihm war bereits schlecht geworden. »Lande du den Vogel, ich kann nicht [mehr] fliegen«, stammelte er zum Kommandanten. Doch jetzt spürte auch der Käpten »ein starkes Kribbeln in Händen und Füßen«, die Sinne begannen ihm zu schwinden. Er erklärte beim Tower Luftnotlage, nahm alle seine Kräfte zusammen und brachte das Flugzeug unter Aufbietung der letzten Konzentration auf die Bahn. Nach dem Ausrollen kamen Sanitäter an Bord. Die entsetzten Passagiere wurden Zeuge, wie die beiden Piloten vor ihren Augen zu einem wartenden Krankenwagen begleitet wurden. Nach offizieller Verlautbarung der Airline soll der Geruch von Enteisungsflüssigkeit verursacht worden sein. Der Co-Pilot war danach ein halbes Jahr krankgeschrieben. Statt der Enteisungsflüssigkeit könnten aber auch giftige Öldämpfe über die Zapfluft am Triebwerk ausgetreten sein.

In Luftpost 49 habe ich erzählt, welche Schadstoffe Flugzeugtriebwerke ausstoßen. Weiß man nun, dass die Atemluft für Passagiere und Besatzung an eben diesen Triebwerken abgegriffen wird, leuchtet ein, wie sauber hier gearbeitet werden muss, damit keine Gifte ins Flugzeuginnere gelangen können. Auch wenn ich in meinem Leben wahrscheinlich schon 500 bis 1000 Mal ein Flugzeug benutzt habe und dabei noch nie übelriechende Luft atmen musste, so häufen sich in letzter Zeit doch Meldungen über kontaminierte Kabinenluft, die teilweise sogar bedenklich sind.
Vielleicht wäre die Anzahl der bekannten Vorfälle sogar noch höher, gäbe es ein einheitliches Meldewesen. Airlines, Luftfahrtbundesamt (LBA), und Bundesanstalt für Flugunfalluntersuchungen (BFU) stufen nämlich die Vorfälle jeweils unterschiedlich ein. 2012 wurden dem LBA 201 Fälle mit kontaminierter Kabinenluft gemeldet. Von 79 hatte die BFU Kenntnis erhalten. Aber nur in 14 Fällen konnte eine adäquate Untersuchung vorgenommen werden. Dabei wurden acht schwere Störungen festgestellt. Die Airlines legen da regelmäßig kleinere Zahlen vor (Underreporting?).

Wie kommt es zu kontaminierter Kabinenluft? In großen Höhen herrscht manchmal eine Lufttemperatur weit unter dem Gefrierpunkt. Außerdem ist der Sauerstoffgehalt gering. Daher wird die Luft im Verdichter des Triebwerks abgezapft. Die mit mehreren tausend UPM drehenden Triebwerkswellen sind mehrfach gelagert. Da diese Maschinen Temperaturen zwischen -100 und +1000 Grad aushalten müssen, kann man mit herkömmlichem Kugellagerfett nichts mehr ausrichten. Es werden also synthetische Schmierstoffe verwendet, die aber auch giftige Bestandteile enthalten, zum Beispiel Trikresylphosphat, ein Mittel gegen Lagerverschleiß. Dieses Organophosphat hat bedauerlicherweise neurotoxischen Eigenschaften. Der Schmierstoff wird durch Labyrinth-Dichtungen im Lager gehalten. Der Druck im Lager ist gleich groß wie im Verdichter. Sollte sich aber aus irgendwelchen Gründen der Druck im Lager erhöhen, können diese giftigen Schmiermittel durch eine abgenutzte Dichtung in die Zapfluft für die Klimaanlage geraten. Dann können Atembeschwerden und Vergiftungserscheinungen auftreten mit all ihren Symptomen, die man unter »Aerotoxischem Syndrom« zusammenfasst. Wird die Ursache schnell abgestellt, verschwinden die Auswirkungen wieder. Üblicherweise wird die Luft für das Cockpit und für die Kabine durch unterschiedliche Triebwerke gespeist.

Gibt es weitere mögliche Ursachen? Früher einmal hatten Triebwerke eine TBO (Time between Overhaul) von 5000 Betriebsstunden. Nach dieser Zeit wurden die Triebwerke abgehängt, in die Werkstatt gefahren und überholt. Das kostete ein Haufen Geld. Heute bieten die großen Hersteller Triebwerke mit meiner TBO von 25.000 bis 30.000 Stunden an, und die Aggregate können „on wing“ gewartet werden. Diese Wartungsmöglichkeit am Flügel sind Verkaufsargumente, die eine Airline nicht liegen lässt. Um das überhaupt zu ermöglichen ist ein eingebautes Diagnosesystem notwendig, das mit Hilfe sensibler Sensoren im Flug mit Hilfe von ACARS die Engine Health überwacht. Ein prophylaktischer Austausch der Dichtungen alle 5000 Stunden findet nicht mehr statt, die mittlerweile stark verbesserten Dichtungen müssen bis zur nächsten Wartung halten. Bei dem Kostendruck, dem die Airlines heute ausgesetzt sind, könnte nur durch staatliche Regulierung ein vorsorglicher Austausch erreicht werden. Das Instrument dazu wäre vorhanden, denn in Artikel 23 der VO (EU) 996/2010 über die Untersuchung und Verhütung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt heißt es: „Die Mitgliedstaaten legen Regeln für Sanktionen bei Verstößen gegen diese Verordnung fest. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

Die meisten dem LBA bekannten Störungen mit Fume-/Smell-/Odour-Events in den letzten sieben Jahren traten übrigens bei der Boeing 757 auf (76), die wenigsten bei der Boeing 747 und 777 (je 1). Erst bei der Boeing 787 ist man andere Wege gegangen. Dort kommt die Luft nicht mehr aus dem Triebwerk, sondern von der Strömungsluft über einen elektrischen Verdichter. Auch wenn diese Zwischenfälle auf die Weltflotte der Passagiermaschinen und der Millionen von Starts und Landungen verschwindend gering sind, hier sind die Hersteller ganz klar gefordert, solche Zwischenfälle unmöglich zu machen.

Manchmal tritt beim Boarding Kondensation im Flugzeug auf, diese ist harmlos. Ist der Dunst bläulich oder dringt gar Rauch in die Kabine, dann ist die Ursache nicht die Klimaanlage. Erst wenn es nach verschwitzten Socken stinkt, obwohl der Nachbar seine Schuhe anhat, oder wenn es nach nassem Hundefell, Erbrochenem oder Öl riecht, ist das extrem bedenklich. Rufen Sie dann das Kabinenpersonal.

von Andreas Fecker